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Schweinfurt
Ausbildung in der Region Main-Rhön: Das Handwerk boomt, es fehlen die Azubis
Als Ausbildungsberater der Handwerkskammer in Schweinfurt hat Roland Maul unzählige Azubis auf ihrem Weg ins Erwerbsleben begleitet. Ein Gespräch über Ausbildung im Wandel.
Noch hat er das Steuer in der Hand, zum Jahreswechsel übergibt Ausbildungsberater Roland Maul (rechts) seine Aufgaben an David Niklaus (links). Der Ausbildungsakquisiteur und Karriereberater wird Nachfolger von Maul und sich als solcher auch neuen Herausforderungen stellen. Eine neue technische Herausforderung für Azubis im Bildungszentrum Schweinfurt ist zum Beispiel dieses große vollelektrische Motorrrad, an dem die beiden hier zu sehen sind.
Foto: Helmut Glauch | Noch hat er das Steuer in der Hand, zum Jahreswechsel übergibt Ausbildungsberater Roland Maul (rechts) seine Aufgaben an David Niklaus (links).
Helmut Glauch
Helmut Glauch
 |  aktualisiert: 21.12.2019 02:11 Uhr

30 Jahre Ausbildungsberater der Handwerkskammer für Unterfranken am Bildungszentrum Schweinfurt und zuständig für die Region Main-Rhön, was in Zahlen ausgedrückt aktuell knapp 3000 Azubis bedeutet. 30 Jahre Berater in allen Fragen rund um die Berufsausbildung für Betriebe und Ansprechpartner für Jugendliche und deren Eltern. Die Tätigkeit von Roland Maul, der sich einst als Elektrotechniker-Meister, Betriebswirt des Handwerks und Ausbilder für diesen zeitaufwendigen Job qualifiziert hat, ist damit nur grob umrissen. Denn darüber hinaus sitzt er in zahlreichen Gremien und Arbeitskreisen, betreut Prüfungsausschüsse der Kammern, entwickelt und setzt Ideen zur Nachwuchsförderung um. Zum Jahresende geht der 63-Jährige, der so vielen jungen Leuten auf dem Weg ins Erwerbsleben geholfen hat, in Ruhestand.  Ein Ruhestand auf Raten, denn in Meisterprüfungsausschüssen wird er weiter vertreten sein und auch seiner Aufgabe als Schöffe am Landgericht will er sich weiter widmen.  Wir haben mit ihm über die Veränderungen in der Arbeitswelt und auf dem Ausbildungsmarkt gesprochen. 

Frage: Ausbildungsberatung, das klingt nach Berufsberatung, ist aber etwas ganz anderes. Sie beraten junge Menschen, die ihre Wahl getroffen haben. Wo liegen die Schwerpunkte ihrer Arbeit, wie gut wird das Angebot überhaupt genutzt?  

Roland Maul: Ausbildungsberater sind Generalisten der Kammern. Wir fördern und überwachen die Ausbildung, besuchen Betriebe, geben Antworten auf alle Fragen von A bis Z, von Ausbildungsvergütung bis Zeugnis. Von den 127 Handwerksberufen werden 90 in der Region angeboten. Ganz wichtig ist unsere Rolle als Schlichter, wenn es Probleme zwischen Azubi und Betrieb oder Ausbilder gibt. In 95 Prozent der Konflikte kann eine Einigung erzielt werden, was eine enorme Entlastung der Arbeitsgerichte bringt. Handwerk ist bunt und vielfältig. Genauso vielfältig können die Probleme sein. Nicht nur deshalb werden die Angebote der Ausbildungsberater gut genutzt. Junge Leute sind heute gut über ihre Rechte aufgeklärt. Früher, als Ausbildungsplätze rar waren, kämpften die Azubis im Konfliktfall um ihre Stelle. Heute wechseln sie schneller, wenn sie nicht klar kommen. 

Schweinfurt, Stadt der Industrie, des Handwerks und der mittelständischen Betriebe. Während früher viele Bewerber für einen Ausbildungsplatz zur Verfügung standen, suchen heute Betriebe oft händeringend Nachwuchs. Was ist da passiert?  

Maul: Da hat sich ein Ungleichgewicht zwischen akademischen Bildungswegen und dualer Berufsausbildung entwickelt. Das Handwerk boomt, es fehlen die Azubis. Die Nachfrage  nach Handwerkern steigt, die Zahl der besetzten Ausbildungsstellen ist gesunken. Bei den nicht vermittelten Bewerbern fehlt es mitunter aber auch an Ausbildungsreife. Schulabgänger wollen sich nicht sofort auf einen Beruf festlegen, das durchlässige Bildungssystem ermöglicht viele Optionen im Hinblick auf die Karriere. Das ist einerseits verlockend, macht andererseits die Entscheidung schwerer. Immer noch gibt es Vorurteile gegenüber Handwerksberufen, Eltern planen vermehrt eine akademische Laufbahn für ihren Zögling, was die jungen Leute natürlich auch beeinflusst.

Mitunter hört man aus dem Handwerk Klagen über wenig qualifizierte Bewerber, denen die Grundlagen für eine Ausbildung eigentlich fehlen. Ist da etwas dran oder sind das Einzelfälle? Was unterscheidet einen Azubi von 1989 von einem des Jahres 2019.  

Maul: Wir sind stolz auf unsere Azubis im unterfränkischen Handwerk. Unsere Junghandwerker haben beim Leistungswettbewerb des Deutschen Handwerks erneut hervorragende Leistungen erzielt. Sorgen macht mir dennoch die mangelnde Ausbildungsreife mancher Jugendlicher. Einige Betriebe haben reagiert, sind bei der Einstellung toleranter geworden, nehmen Unterstützungsangebote wie die assistierte Ausbildung in Anspruch. Auf der anderen Seite sind auch die Anforderungen der Unternehmer gestiegen. Insofern dürfen wir nicht alles über einen Kamm scheren. Jugendliche sind heute anders als 1989, Eltern erziehen anders, moderne Medien spielen eine Rolle. Geblieben ist der Grundsatz, jungen Menschen mit positiver Grundhaltung zu begegnen, denn sie streben nach wie vor in ihrer persönlichen Entwicklung nach Anerkennung und Wertschätzung. Wie auch immer, wir müssen die Herausforderungen annehmen, wir können uns die Azubis nicht malen. Ganz nebenbei: Schon vor 30 Jahren haben die Unternehmer über die Qualität der Azubis geklagt.   

Brotzeit holen, das Auto des Chefs waschen, Azubis als Notnagel, um Personalengpässe zu überbrücken. Diese Klischees haben sich sicher alle längst überholt, oder doch nicht? Wo drückt der Schuh, wenn junge Leute sich an die Ausbildungsberatung wenden?     

Maul: Ehrlich gesagt gibt es fast nichts, was es nicht gibt, schließlich menschelt es in den Betrieben. Zwischenmenschliche Probleme sind immer noch der Hauptgrund für Ausbildungsabbrüche. Allerdings gibt es nie nur eine Wahrheit, Wahrheit kommt nämlich von Wahrnehmung. Die meisten Unternehmer haben verstanden, einige sind noch im Lernprozess. Die wenigen Beratungsresistenten haben ein Problem. Gravierende Fälle sind Einzelfälle, die von der Handwerkskammer im Rahmen ihrer hoheitlichen Aufgaben unterbunden werden. Ausbildung ist teuer geworden, lohnt sich nur, wenn die jungen Leute nach dem Motto "Nachwuchs gewinnen und binden" nicht abbrechen und nach der Lehre bleiben.

Ausbildung ist partnerschaftlicher, aber auch bürokratischer geworden. Wie müssen die Weichen gestellt werden, damit auch in Zukunft im Handwerk genug qualifiziertes Personal vorhanden ist? 

Maul: Wir sind da schon richtig gut aufgestellt, alle an der Ausbildung Beteiligten arbeiten gut vernetzt und konstruktiv miteinander. Schüler und Multiplikatoren noch besser erreichen, neue Ideen wie externes Ausbildungsmanagement und passgenaue Besetzung erproben, auf Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung hinarbeiten. Aus- und Weiterbildung sind nicht nur eine Alternative zum Studium, sondern eine wertgleiche Option. Stichwort Akademisierung: Ich habe das Gefühl, dass hie und da bereits eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist, die aber noch nicht überall angekommen ist. Verhaltensforscher sprechen von etwa zehn Jahren, bis die in den Köpfen ankommt. 

Bleibende Erinnerung an einen Vorzeige-Azubi. Der Tunesier Salim Ben Salah absolvierte vor einigen Jahren in Schweinfurt eine Lehre als Maler- und Lackierer. Der auch auf dem Kunstsektor äußerst begabte junge Mann hat das Foyer der Handwerkskammer künstlerisch umgestaltet und für das Büro von Roland Maul diesen farbenfrohen vierteiligen Baum geschaffen.
Foto: Helmut Glauch | Bleibende Erinnerung an einen Vorzeige-Azubi. Der Tunesier Salim Ben Salah absolvierte vor einigen Jahren in Schweinfurt eine Lehre als Maler- und Lackierer.
 
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