
Ein Hauch von Denver und Dallas liegt in der Luft, wenn man sich alte Schweinfurter Aufnahmen anschaut: Wie Ölbohrtürme wuchsen in Schweinfurt ab 1900 Industrieschornsteine empor, im ruralen "mittleren Westen" des Kaiserreichs. "Man versteht nicht, warum die Fabriken hier stehen", sagt Dr. Stephan Bleek. Der Referent des Geschichts-Stammtischs Nr. 8 hat eine charmante Erklärung: "Irgendetwas muss die Stadt an Herzlichkeit haben." Dazu gesellten sich unscheinbare, aber präzise Tüftler wie Friedrich Fischer und Wilhelm Höpflinger, die 1890 eine Kugelschleifmaschine patentiert hatten.
Bleek lebt bei München, ist gebürtiger Bielefelder und Enkel von Hermann Barthel, der mit Geheimrat Georg Schäfer "FAG Kugelfischer" zum Global Player entwickelt hat. Die Kufistory startet in altfränkischen Gassen, wird durch die Luftangriffe auf die Rüstungshochburg Schweinfurt zur Weltkriegsgeschichte und mit dem Einmarsch der US-Armee am 11. April 1945 eine Zäsur finden.
Dokumentarfilmer Bleek hat gerade für das Stadtarchiv Bilder der letzten Kriegstage zusammengestellt. Historiker Thomas Horling begrüßt zum lockeren Treffen der Geschichtsfreunde im Kolpinghaus. Das Interesse ist groß. Das Thema sei ein "Highlight", sagt Horling: Er selbst ist noch von der Hermann-Barthel-Straße aus zur Schule gefahren.
Nach Schweinfurt kam der Fachmann für Kühlaggregate eher zufällig
Die Geschichte vom Aufstieg eines armen Waisenkinds zum Industriellen erinnert an David Copperfield. Hermann Barthel wurde am 24. November 1875 geboren, als Sohn eines Lehrers im schlesischen Wüttendorf. Die Eltern starben früh. Hermann lernte Schlosser in Breslau, sammelte als Geselle Technikerfahrung in München. Zwischendurch führte eine Lehrreise in die Schweiz.
Nach Schweinfurt kam der Fachmann für Kühlaggregate eher zufällig. 1902 taucht er in den Meldelisten als Techniker auf, der in der Metzgerei Kast arbeitete, Spitalstraße 19. Eigentlich wollte er nach Berlin, wo eine Schwester lebte und die Maschinenbaufirma Borsig lockte. Die Liebe durchkreuzte den Plan: Hermann lernte die 15 Jahre junge Helene kennen, Tochter des in der Judengasse ansässigen Bauschlossers Georg Schäfer. Bald schon durfte Hermann am Stammtisch der lokalen Metallbaugrößen Platz nehmen, in der Weinstube Gösswein am Fischerrain. Schäfer Senior erkannte das zeichnerische und technische Talent seines Schwiegersohns, der ihm fünf Enkel bescherte.

Zusammen mit Adolf Kuffer gründete das Duo 1906 ein innovatives "Startup" in Sachen Isolierrohre und Kugellager. Das neue Schlüsselprodukt Wälzlager begann auf dem Markt zu rotieren. Drei Jahre später wurde Friedrich Fischers Kugelfabrik integriert. Die Bankiersfamilie Kirchner steuerte fast eine Million Reichsmark bei. Bald schon regelte ein reichsweites Kugellager-Kartell das boomende Geschäft. Im Krieg mussten Otto und Wilhelm Kirchner einrücken, aber die Metallsparte lief während der Materialschlachten gut. Oft hatten die Senkrechtstarter vom Main Glück. Der Brand der alten Fabrik in der Spinnmühle 1911 bescherte ihnen die dringend benötigte Versicherungssumme, die Hyperinflation 1923 fraß ihre Schulden auf.
Gefährlicher war da schon die "rote" Revolution von 1918/19, später der schwedische Konkurrent VKF (SKF), der ab 1928 den Markt mit preisgünstigen Kugeln überrollte. Bis auf die FAG. Patent-Zauberer Barthel hielt mit Rationalisierung und Technik dagegen, insbesondere robusten, doppelreihigen Tonnenlagern. Geliefert wurde bis nach Japan und in die Sowjetunion.
Ab 1933 ging es rapide aufwärts, dank Hochrüstung im "Dritten Reich". Barthels Verhältnis zur NSDAP scheint, trotz Mitgliedsbeiträgen nach 1936 und Anpassung, dennoch ambivalent gewesen zu sein, sagt sein Enkel.
Auf Schloss Klingenberg bei Wipfeld residierte der Unternehmer im Mainberg-Stil, den nahenden Bombenkrieg ahnend. Viel Glamour gab es nicht, Barthel arbeitete hart für den Betrieb. Mit Juniorchef Georg Schäfer, dem Zweiten, kam es bald zum Generationenkonflikt. Barthels Hang zu Widerspruch und "schöpferischer" Kontroverse missfiel in jedem Fall den Nazis, die reibungslose Aufrüstung wünschten. Barthel wurde Ende 1938 aus der Firma gedrängt, wehrte sich auf dem Rechtsweg. Juristen beider Seiten führten "zuviel" Judenfreundlichkeit von Schäfer wie Barthel ins Feld, sei es gegenüber Verkaufsdirektor Hugo Holzapfel oder dem jüdischen Schrotthändler Wertheimer.
Genug Stoff für einen Familienroman
Wie die Schäferfamilie war auch Barthel sozial sehr aktiv, als Stadt- und Kommerzienrat, im Bauverein oder in der Gesellschaft Harmonie. 1941 stirbt er, schwer krank, an den Folgen einer OP in München. Da hatte der Geschasste bereits die Bielefelder Dürkopp-Werke übernommen. Zuletzt wird lebhaft debattiert. Ein Bewohner der Barthelvilla, an Stelle des späteren Horten, kann sich an die nächtliche Demontage durch Plünderer erinnern, 1948. Vieles von der Geschichte um Hermann Barthel, den Mann im Hintergrund von FAG, liegt noch im Dunklen. "Vergessen wäre schlimmer", sagt Bleek. Einen Familienroman, den gäbe der Stoff schon jetzt her.