Ein Samstag in der Schweinfurter Fußgängerzone im Advent. Die Menschen eilen geschäftig durch die Stadt, der alljährliche vorweihnachtliche Stress ist ihnen anzusehen. Normalerweise würden sie am roten Zelt am Georg-Wichtermann-Platz vorbei gehen, doch das Bürgerbegehren "Bezahlbar Wohnen in Schweinfurt" lässt viele stoppen.
An diesem nasskalten Samstag stehen die Initiatoren des im Oktober gegründeten Bürgerbegehrens selbst am Stand, unterhalten sich mit den Menschen, geben Auskunft, lassen sich Geschichten von Wohnungssuchen erzählen, die ein ganz anderes Licht auf den Wohnungsmarkt in Schweinfurt werfen, als es Stadtverwaltung und Wohnungsbaugesellschaft SWG schildern.
Jochen Keßler-Rosa, Geschäftsführer der Schweinfurter Diakonie, erzählt eine Geschichte, die ihm ein Vermieter erzählte. Der habe eine kleine Anzeige für eine Wohnung in Schweinfurt, die er vermieten wollte, geschaltet. "Er hatte 400 Rückmeldungen", so Keßler-Rosa. Karl-Heinz Körblein weiß von einem anderen Fall, bei dem sich 140 Interessenten für eine Wohnung gemeldet haben. Es gibt auch viele Geschichten, in denen Mieter erzählen, wie sie vergeblich versuchten eine passende Wohnung zu finden, sich Absage um Absage einhandelten. "Es ist wirklich interessant, was man so erzählt bekommt", findet Frank Firsching.
Wie ist das denn nun in Schweinfurt, gibt es Wohnungsnot, gibt es Verhältnisse wie in der Großstadt? Und was möchte das Bürgerbegehren erreichen?
Verhältnisse wie in Berlin oder München, wo man entweder gar keine oder sehr teure Wohnungen findet, gibt es in Schweinfurt natürlich nicht, das wollen die Initiatoren auch klarstellen. Dennoch stiegen laut ihren Berechnungen zwischen 2014 und 2018 die Mietpreise in der Stadt um 15,5 Prozent, was eine Erhebung von empirica-systeme zeigte. Dazu kommt ein weiteres Problem: Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt deutlich. Vor 20 Jahren gab es in Schweinfurt 5616, laut Stadtverwaltung auf eine Anfrage der Linken waren es im Februar 2019 aktuell nur noch 2920 Wohnungen mit Sozialbindung. In den nächsten zehn Jahren sinkt die Zahl weiter, 2029 sind es dann nur noch 1912 Sozialwohnungen, wenn keine neuen gebaut werden.
Für das Bürgerbegehren sind Sozialwohnungen ein Anker im Wohnungsmarkt
Aus Sicht der Initiatoren ist diese Entwicklung in Verbindung mit steigenden Mieten ein großes Problem: "Der soziale Wohnungsbau stellt ein Preiskorrektiv dar", heißt es in der Broschüre des Bürgerbegehrens. Sozialwohnungen sorgten dafür, dass nicht noch mehr Mieter auf dem freien Wohnungsmarkt für noch mehr Nachfrage sorgen, was die Preise weiter treiben würde. Frank Firsching spricht dem sozialen Wohnungsbau in diesem Kontext "Ankerfunktion" zu.
Das Bürgerbegehren fordert, dass die Stadt bis 2026 mindestens 600 Sozialwohnungen in bedarfsgerechten Größen baut. Das könne die Stadt selbst als Bauherr tun, oder die SWG, die Hospitalstiftung oder ein anderer Investor im Auftrag. Zur Finanzierung verweisen die Initiatoren auf großzügige Förderprogramme des Freistaates Bayern.
Ein Indikator, dass das Bürgerbegehren viele Menschen anspricht, ist die Zahl der Unterschriften. Im Moment geht es deutlich Richtung 2000. Die notwendige Anzahl von Unterschriften von Wahlberechtigten aus der Stadt (zirka 2600), damit es bei der Verwaltung eingereicht werden kann und daraus ein Bürgerentscheid entsteht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit erreicht. Da es bayernweit nicht möglich ist, bei der Kommunalwahl am 15. März 2020 auch Bürgerentscheide abstimmen zu lassen, findet die Abstimmung wohl erst im Frühsommer nächsten Jahres statt.
Jochen Keßler-Rosa wünscht sich, dass das Thema Wohnen in Schweinfurt insgesamt betrachtet wird durch die Stadt. Bisher gab es keinen Kontakt zwischen Verwaltung und den Initiatoren, bei den Haushaltsberatungen hatte Oberbürgermeister Sebastian Remelé unter anderem die Linken-Stadträte Sinan Öztürk und Frank Firsching, die Mitinitiatoren des Begehrens sind, angegriffen, ihnen Populismus vorgeworfen. "Das Thema ist für die Zukunft der Stadt enorm wichtig und das Problem wird immer größer", so Keßler-Rosa. Der Bau von Sozialwohnungen alleine sei nur ein Teil der Lösung, ist er sich bewusst.
Die vom OB geäußerte Kritik, wäre der Bürgerentscheid erfolgreich, würde das eine 200 Millionen-Euro-Investition für die Stadt bedeuten und alle anderen bereits geplanten Projekte blockieren, können Keßler-Rosa und Frank Firsching nicht nachvollziehen. "So denkt ein Kameralist", erwidert Keßler-Rosa trocken. Er verweist auf zwei Aspekte: Die Förderung durch den Freistaat Bayern in Höhe von 30 Prozent der Kosten pro Quadratmeter für den Neubau von Sozialwohnungen und, dass diese sich natürlich über die Mieteinnahmen refinanzieren: "Ich würde mir da kaufmännisches Gespür wünschen", so Keßler-Rosa.
Dem Bürgerbegehren haben sich schon zahlreiche Gruppierungen in der Stadt als Unterstützer angeschlossen. Im Januar, so Frank Firsching, will man ein Unterstützerbündnis gründen, dem jeder beitreten kann, und bei einer größeren Veranstaltung über die Ziele informieren.