Seit Jahrzehnten fördert der Freistaat die Dorfentwicklung. Unzählige Straßen und Dorfplätze wurden aufgehübscht, Gemeinschaftshäuser eingerichtet und Gebäude saniert. Der soziale Aspekt war hierbei immer nur ein Teilbereich. Genau er soll nun bei einem Modellvorhaben in Unterfranken im Mittelpunkt stehen. Das Amt für Ländliche Entwicklung (ALE) und die Gemeinde Dingolshausen gehen das Projekt gemeinsam an.
Denn selbst in kleineren Kommunen gibt es immer weniger Begegnungen zwischen den Menschen und Generationen. Treffpunkte werden vielerorts seltener. Auch der demografische Wandel sowie die veränderten Familien- und Arbeitsstrukturen machen sich im gesellschaftlichen Leben zusehends bemerkbar. Besonders spüren dies Vereine, die allerorten über Mitgliederschwund klagen.
Die Leute wieder zusammenzubringen
"Unser Ziel ist es, das soziale Miteinander zu stärken und die Leute zusammenzubringen. Das wollen wir jetzt mal versuchen", erklärt Johannes Krüger, der zuständige Abteilungsleiter für den Bereich Land- und Dorfentwicklung. Es gehe ausdrücklich nicht um Baumaßnahmen, und auch weniger darum, Vereine am Leben zu erhalten.
Vielmehr möchte sein Amt im Rahmen des auf zwei Jahre angelegten Pilotprojektes die Bürgerinnen und Bürger ins Gespräch bringen , sodass diese im Idealfall eigenständig Aktionen entwickeln. "Wir hoffen eine Aufbruchstimmung zu erzeugen und, dass sich die Leute für ihre Mitmenschen engagieren oder Neubürger integriert werden und dass der Gemeinsinn gestärkt wird."
Warum ist Dingolshausen als Modellkommune ausgewählt worden? Die Gemeinde, die zusammen mit dem weitaus kleineren Ortsteil Bischwind rund 1400 Einwohner zählt, ist ein Musterbeispiel für eine gelungene Dorfentwicklung. Zweimal schon, 2005 und 2010, wurde die Gemeinde Kreissieger beim Wettbewerb "Unser Dorf soll schöner werden".
Diesmal geht es nicht um Baumaßnahmen, sondern um soziale Themen, die Bürgermeisterin Nicole Weissenseel-Brendler am Herzen liegen. In einem Interview im Sommer hatte sie das fehlende Miteinander kritisiert: "Dieser Gemeinschaftssinn, besonders in den letzten zwei Jahren, ging verloren", sagte sie damals.
Den negativen Auswirkungen der Pandemie entgegentreten
"Vorher hat es in vielen Gemeinden noch gut funktioniert, nach der Pandemie aber nicht mehr", meint sie. Mit Johannes Krüger sei im Vorjahr eher beiläufig die Idee entstanden. Sie möchte den Menschen auch außerhalb der Gemeinde Mut machen. "Wenn es uns gelingt, Nachahmer zu finden, würde uns das sehr freuen."
Erste Ideen wurden bereits umgesetzt
Nach dem Beschluss des Gemeinderates gab es im April ein Auftakt-Seminar. Der Förderzeitraum hat aber erst im September begonnen, einige Ideen der Teilnehmenden wurden dennoch schon umgesetzt. Projekte können aus zwei Fördertöpfen der ALE finanziert werden, teils bis zu 61 Prozent der Kosten.
Ziel der Sozialen Dorfentwicklung ist es auch, dass die Umsetzung aus der Mitte der Bürgerschaft erfolgt. Dafür ist die Gemeinde aus Sicht der Bürgermeisterin prädestiniert: Man habe schon früher Neues umgesetzt, und die Leute würden mutig Herausforderungen annehmen.
Gelungen scheint dies mit dem Kapellschoppen. Ein Treffpunkt, den die Mitbürgerinnen Ann-Kristin Eisenhauer und Sophie Brendler auf die Beine gestellt haben. Von einem Riesenerfolg sprechen Weissenseel-Brendler und ihr Stellvertreter Norbert Götz, weil es aus einem privaten Engagement entstanden ist.
Ein weitere Idee ist eine örtliche Whatsapp-Gruppe. Sie dient als Info-Plattform von Bürgern für Bürger. Es gibt nur drei Administratoren, die Beiträge einstellen können, so verwässern die Bekanntmachungen nicht. Interesse besteht außerdem an der Gründung eines Dorfvereins in Bischwind.
Offizieller Startschuss mit dem Dorfgespräch am 16. November
Um Ideen und Stimmen einzufangen, haben drei Frauen eine Video-Gruppe gegründet. Sie befragen seit längerer Zeit ihre Mitmenschen. Ein erster Zusammenschnitt wird beim ersten Dorfgespräch am Donnerstag, 16. November, um 19 Uhr im Veranstaltungszentrum Freiraum präsentiert. Es ist quasi der offizielle Startschuss für die Soziale Dorfentwicklung.
Im Rahmen des Treffens wird ein Koordinierungskreis gewählt, der über Anträge für neue Projekte mitentscheiden darf. "Idealerweise aus allen Bevölkerungsschichten", hofft Krüger. An diesem Abend, so sein Wunsch, kommen viele Menschen ins Gespräch, "vielleicht Leute, die sich seit 20 Jahren grüßen, aber sonst nicht unterhalten".
Unter der Leitung eines Moderators soll es um drei Fragen gehen: Was verbindet uns als Gemeinschaft? Welche Hindernisse müssen überwunden werden, um Gemeinschaft neu zu leben? Und was braucht es, um das Dorfleben in Zukunft lebenswert zu gestalten?
Die Bürgermeisterin und ihr Stellvertreter gehen "völlig offen" in den weiteren Prozess. Sie wollen ausdrücklich nicht vorangehen, wollen sich deshalb auch nicht zu Erwartungen und insbesondere zu konkreten Ideen äußern. Diese sollen einzig aus der Bevölkerung heraus entstehen. Und sie hoffen, mit dem Pilotprojekt Mitbürger zu erreichen, die bislang eher abseits in der Gemeinde präsent sind. "Wir lassen uns überraschen", so Norbert Götz.