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Dingolshausen
Bürgermeisterin aus Dingolshausen kritisiert Missstände: "Man wird mit Bürokratie zugeschüttet bis an die Decke"
Nicole Weissenseel-Brendler ist nach erst drei Jahren im Amt verärgert. Der Druck auf Bürgermeister nehme zu, sagt sie. Ob sie wieder kandidiert, weiß sie nicht.
Dingolshausens Bürgermeisterin Nicole Weissenseel-Brendler weiß noch nicht, ob sie 2026 nochmals für das Amt kandidieren wird. Die vergangenen drei Jahre haben Spuren hinterlassen und dafür gesorgt, dass sie zur Halbzeit der Wahlperiode ihren Unmut öffentlich machte.
Foto: Josef Lamber | Dingolshausens Bürgermeisterin Nicole Weissenseel-Brendler weiß noch nicht, ob sie 2026 nochmals für das Amt kandidieren wird.
Stefan Pfister
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:51 Uhr

Es war eine Aussage, die für helle Aufregung in Dingolshausen (Lkr. Schweinfurt) sorgte. "Ich persönlich muss gestehen, dass ich bei der Frage, ob ich 2026 wieder für das Amt der 1. Bürgermeisterin zur Verfügung stehe, kein eindeutiges Ja herausbringen kann." Diese Worte schrieb Nicole Weissenseel-Brendler (36) anlässlich einer Halbzeitbilanz zu ihrer ersten Amtszeit im Amtsblatt. Sie wisse nicht, ob sie sich das nochmal antun könne. Nachdem einige Zeit verstrichen ist, hat die Redaktion mit ihr über die Gründe für ihre Brandrede, die Reaktionen darauf sowie darüber gesprochen, ob sie ihre Meinung zwischenzeitlich geändert hat. Die Mutter von drei Kindern äußert sich zudem zur Vereinbarkeit von Familie und Bürgermeisteramt, das sie ehrenamtlich führt.

Frage: Was waren Ihre Beweggründe für die sehr offenen Worte?

Nicole Weissenseel-Brendler: Eine Halbzeit ist immer der beste Zeitpunkt, um zu sagen: Jetzt schauen wir mal zurück, wo sind wir jetzt und wo wollen wir hin. Und wenn etwas nicht passt, dann ist das der Zeitpunkt, wo man das Schiff noch herumziehen kann.

"Grundsätzlich muss man sagen, dass es kein Miteinander mehr ist. Jeder macht sein eigenes Ding."
Nicole Weissenseel-Brendler zum fehlenden Gemeinschaftssinn
Viele hat diese Deutlichkeit überrascht.

Weissenseel-Brendler: Ja, diese Art ist nicht konventionell in der Politik. Mir war es aber ein großes Anliegen, offen und ehrlich kundzutun: Da sind Missstände.

Was hat Sie vor allem gestört?

Weissenseel-Brendler: Grundsätzlich muss man sagen, dass es kein Miteinander mehr ist. Jeder macht sein eigenes Ding. In Krisenzeiten muss man zusammenstehen. Man muss aber sagen, das ist ein Phänomen, das überall zu erkennen ist, dass der Gemeinschaftssinn oft fehlt. Dieser Gemeinschaftssinn, besonders in den letzten zwei Jahren, ging verloren. Und dann muss man sagen, dass dieser Bürokratiewust immer mehr bei uns Gemeinden zu einer Riesenblase anschwillt.

Als frühere Kreisrätin und Vereinsvorsitzende wussten Sie aber, was auf Sie zukommt, als Sie sich um das Bürgermeisteramt beworben hatten.

Weissenseel-Brendler: Natürlich, aber es wird immer mehr. Da Statistiken, hier Datenschutzerklärungen, da ein Haftungsding. Man wird mit Bürokratie zugeschüttet bis an die Decke. Als Bürgermeisterin schlägt man sich damit Nächte um die Ohren und fragt sich: Ist das tatsächlich Sinn der Sache? Diese Zeit, die ich hier investiere, kann ich nicht in die Gemeinde und in konkrete Projekte vor Ort investieren.

'Als Bürgermeisterin schlägt man sich damit Nächte um die Ohren und fragt sich: Ist das tatsächlich Sinn der Sache?' Nicole Weissenseel-Brendler ärgert sich über die ausufernde Bürokratie.
Foto: Josef Lamber | "Als Bürgermeisterin schlägt man sich damit Nächte um die Ohren und fragt sich: Ist das tatsächlich Sinn der Sache?" Nicole Weissenseel-Brendler ärgert sich über die ausufernde Bürokratie.
Das ärgert Sie ungemein?

Weissenseel-Brendler: Nicht nur die Bürokratie, auch der Druck auf uns Bürgermeister steigt. Ständig flattern Briefe rein, und immer mehr zur Haftung. Wenn ein Kind zum Beispiel im See von Dingolshausen ertrinken würde, wäre ich mit in der Haftung; oder wenn einer von einem Baum im öffentlichen Wald erschlagen wird. Früher war das händelbar. Wenn man sich mit dem Förster unterhält, dann sagt der: Der Baum sieht heute gut aus – und nächste Woche stürzt aber der Ast ab. Wir haben zwar eine Versicherung, aber ich glaube nicht, dass die in solchen Fällen hilft. Man liest immer wieder, dass ein Bürgermeister vor Gericht steht. Es ist für uns ein absoluter Druck zu wissen, dass man "ohne händelbaren Grund" vor Gericht gestellt werden kann, für das man letztlich nichts kann.

"Man liest immer wieder, dass ein Bürgermeister vor Gericht steht."
Nicole Weissenseel-Brendler zum Thema Haftung im Amt
Und hier wünschen Sie sich klare Regelungen?

Weissenseel-Brendler: Ja. Denn diese Haftung wird immer mehr auf uns abgewälzt. Das bekomme ich auch von erfahrenen Kollegen in Gesprächen mit.

Das belastet Sie?

Weissenseel-Brendler: Natürlich, weil man eine unwahrscheinliche Verantwortung hat, die nicht mehr im Verhältnis ist. Ich appelliere an die Politik, dass überdacht wird, ob das noch so richtig sein kann. Man hat das Gefühl, immer mehr Sachen werden weggedrückt, von der Bundespolitik an die Landespolitik und weiter an uns. Es ist wichtig, dass wir den Mund aufmachen!

Was stört Sie in dieser Hinsicht noch?

Weissenseel-Brendler: Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Jedes Kind, das ab dem Schuljahr 2026/2027 eingeschult wird, soll in den ersten vier Schuljahren Anspruch auf einen Ganztagsplatz bekommen. Verantwortlich dafür sind wir als Kommune. Aber es sind noch gar keine Gebäude da, dazu kommt der Personalmangel bei Pädagogen, Lehrern, Erziehern. Aber das Gesetz tritt in Kraft! Es ist von oben entschieden worden und wir können schauen, wie wir es umsetzen. Schon jetzt müsste man an Schulen mehr soziale Projekte machen. Personell aber nicht leistbar! Dazu fordern Lehrer und Elternbeirat: Wir brauchen FSJler (Anmerkung: Person, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert), damit eine Fahrt ins Schullandheim oder eine Exkursion überhaupt noch möglich ist, oder manchmal der Schwimmunterricht oder normaler Unterricht nicht ausfallen muss. Und der FSJler muss bezahlt werden, und zwar von den Kommunen, weil die Bildungspolitik nicht funktioniert.

Der Glaube ist Bürgermeisterin Weissenseel-Brendler von der Christlichen Wählergemeinschaft Bischwind wichtig. Einer ihrer Lieblingsplätze ist die örtliche Kapelle 'Maria - Hilfe der Christenheit'.
Foto: Josef Lamber | Der Glaube ist Bürgermeisterin Weissenseel-Brendler von der Christlichen Wählergemeinschaft Bischwind wichtig. Einer ihrer Lieblingsplätze ist die örtliche Kapelle "Maria - Hilfe der Christenheit".
Wie waren die Reaktionen auf Ihre deutlichen Worte und Kritik?

Weissenseel-Brendler: Ausschließlich positiv, bis auf wenige Ausnahmen. Das hat mich beeindruckt.

Was erhoffen Sie sich von dieser "Hallo-wach-Rede"?

Weissenseel-Brendler: Für mich war es wichtig, die Menschen aus ihrer Illusion wachzurütteln, dass, wenn vorne einer steht als Häuptling, dass der schon alles macht. Wir brauchen jetzt ein Bewusstsein, dass wir gemeinsam Verantwortung für unsere Gemeinde übernehmen. Gleichzeitig war es ein Appell an die Politik, wie sie sich das in Zukunft mit den Gemeinden vorstellt: Ob sie weiterhin diese riesigen bürokratischen Lasten uns aufbürden will und ob sie an der Haftung festhalten will. Auch diese ellenlange Förderanträge kann keiner mehr stemmen.

"Es ist an der Zeit, dass sie in Zukunft mehr und mehr auf der Bühne sichtbar werden."
Nicole Weissenseel-Brendler zu Frauen im Bürgermeisteramt
Es ist seitdem einige Zeit ins Land gezogen: Hat sich schon etwas verändert?

Weissenseel-Brendler: Ich habe Verbesserungen gespürt. Plötzlich hat die Kommunikation viel offener stattgefunden. Es kamen unzählige Menschen auf mich zu und haben gesagt: Wie können wir dich unterstützen? Was können wir denn machen?

Das heißt, Sie haben schon eine Entscheidung getroffen, was Sie 2026 machen?

Weissenseel-Brendler: Nein.

Sie sind eine von nur vier Bürgermeisterinnen im Landkreis, darunter die einzige in den beiden Verwaltungsgemeinschaften Gerolzhofen und Kolitzheim im Schweinfurter Süden. Im Amtsblatt haben sie davon gesprochen, dass es nicht einfach ist, als berufstätige Mutter Bürgermeisterin zu sein. Wie herausfordernd ist dieses Amt für Sie persönlich?

Weissenseel-Brendler: Es ist natürlich herausfordernd. Mein Vorteil ist, dass meine Familie mir den Rücken stützt und einiges abfedert. Vor allem war das in den ersten zwei Jahren so, als ich noch berufstätig war, bis zu meiner Elternzeit, die im Oktober begonnen hat.

Würden Sie anderen Frauen empfehlen, sich für ein Bürgermeisteramt zu bewerben?

Weissenseel-Brendler: Ja, auf jeden Fall! Machbar ist es auf alle Fälle, für Frauen und Mütter. Man muss nur strukturiertes Arbeiten gewohnt sein, Organisationstalent haben und gewisse Strukturen im Privatleben schaffen. Aber das braucht man in jedem Beruf. Ich fände es schön und wichtig, wenn es mehr Frauen gibt, die mutig wären, groß denken und sich für die Zukunft ihrer Gemeinde und vor allem unserer Kinder einbringen. Viele Frauen sind schon unwahrscheinlich aktiv, machen ganz viel im Hintergrund. Es ist an der Zeit, dass sie in Zukunft mehr und mehr auf der Bühne sichtbar werden.

Zur Person

Nicole Weissenseel-Brendler ist 36 Jahre alt, verheiratet und Mutter dreier Kinder. Die Wirtschaftsfachwirtin (IHK) arbeitete bis zum Beginn ihrer Elternzeit im Oktober 2022 als Angestellte. Daneben haben sie und ihr Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb im Nebenerwerb und Kfz-Betrieb.
Im März 2020 trat sie bei den Kommunalwahlen für die Christliche Wählergemeinschaft Bischwind an und wurde mit fast 66 Prozent zur 1. Bürgermeisterin von Dingolshausen gewählt. Zuvor war sie Gemeinderätin in Donnersdorf sowie Mitglied im Kreistag.
Quelle: spf
 
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  • Ottmar Söllner
    Sehr geehrte Frau Weissenseel-Brendler: Sie und viele andere Bürgermeister sind das Opfer jahrzehntelanger CSU-Politik. Beispiel das Lehrerproblem: oft nur angestellt von Sommerferien bis Schuljahresende also keine Festanstellung, warum hat man nicht schon vor Jahrzehnten bei der Aufstellung von neuen Baugebieten keinen Wert auf eine zentrale Energieversorgung gelegt? Es gibt noch eine Vielzahl von Problemen, welche ich hier nicht aufzählen kann, da die Zeichenzahl begrenzt ist. Dem Klimawandel hätte man schon vor Jahren in Angriff nehmen müssen. Versuche mit Wasserstoff habe ich schon in den 70er Jahren gemacht. Aber damals legte man auf diesen Energieträger keinen Wert.
    Übrigens zolle ich Ihnen größten Respekt, dass Sie sich dieser gewaltigen Aufgabe stellen und wünsche Ihnen alles Gute.
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  • Frank Widmaier
    verstehe sie voll und ganz....

    aber.... irgendwie traurig traurig
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