Es war eine Aussage, die für helle Aufregung in Dingolshausen (Lkr. Schweinfurt) sorgte. "Ich persönlich muss gestehen, dass ich bei der Frage, ob ich 2026 wieder für das Amt der 1. Bürgermeisterin zur Verfügung stehe, kein eindeutiges Ja herausbringen kann." Diese Worte schrieb Nicole Weissenseel-Brendler (36) anlässlich einer Halbzeitbilanz zu ihrer ersten Amtszeit im Amtsblatt. Sie wisse nicht, ob sie sich das nochmal antun könne. Nachdem einige Zeit verstrichen ist, hat die Redaktion mit ihr über die Gründe für ihre Brandrede, die Reaktionen darauf sowie darüber gesprochen, ob sie ihre Meinung zwischenzeitlich geändert hat. Die Mutter von drei Kindern äußert sich zudem zur Vereinbarkeit von Familie und Bürgermeisteramt, das sie ehrenamtlich führt.
Nicole Weissenseel-Brendler: Eine Halbzeit ist immer der beste Zeitpunkt, um zu sagen: Jetzt schauen wir mal zurück, wo sind wir jetzt und wo wollen wir hin. Und wenn etwas nicht passt, dann ist das der Zeitpunkt, wo man das Schiff noch herumziehen kann.
Weissenseel-Brendler: Ja, diese Art ist nicht konventionell in der Politik. Mir war es aber ein großes Anliegen, offen und ehrlich kundzutun: Da sind Missstände.
Weissenseel-Brendler: Grundsätzlich muss man sagen, dass es kein Miteinander mehr ist. Jeder macht sein eigenes Ding. In Krisenzeiten muss man zusammenstehen. Man muss aber sagen, das ist ein Phänomen, das überall zu erkennen ist, dass der Gemeinschaftssinn oft fehlt. Dieser Gemeinschaftssinn, besonders in den letzten zwei Jahren, ging verloren. Und dann muss man sagen, dass dieser Bürokratiewust immer mehr bei uns Gemeinden zu einer Riesenblase anschwillt.
Weissenseel-Brendler: Natürlich, aber es wird immer mehr. Da Statistiken, hier Datenschutzerklärungen, da ein Haftungsding. Man wird mit Bürokratie zugeschüttet bis an die Decke. Als Bürgermeisterin schlägt man sich damit Nächte um die Ohren und fragt sich: Ist das tatsächlich Sinn der Sache? Diese Zeit, die ich hier investiere, kann ich nicht in die Gemeinde und in konkrete Projekte vor Ort investieren.
Weissenseel-Brendler: Nicht nur die Bürokratie, auch der Druck auf uns Bürgermeister steigt. Ständig flattern Briefe rein, und immer mehr zur Haftung. Wenn ein Kind zum Beispiel im See von Dingolshausen ertrinken würde, wäre ich mit in der Haftung; oder wenn einer von einem Baum im öffentlichen Wald erschlagen wird. Früher war das händelbar. Wenn man sich mit dem Förster unterhält, dann sagt der: Der Baum sieht heute gut aus – und nächste Woche stürzt aber der Ast ab. Wir haben zwar eine Versicherung, aber ich glaube nicht, dass die in solchen Fällen hilft. Man liest immer wieder, dass ein Bürgermeister vor Gericht steht. Es ist für uns ein absoluter Druck zu wissen, dass man "ohne händelbaren Grund" vor Gericht gestellt werden kann, für das man letztlich nichts kann.
Weissenseel-Brendler: Ja. Denn diese Haftung wird immer mehr auf uns abgewälzt. Das bekomme ich auch von erfahrenen Kollegen in Gesprächen mit.
Weissenseel-Brendler: Natürlich, weil man eine unwahrscheinliche Verantwortung hat, die nicht mehr im Verhältnis ist. Ich appelliere an die Politik, dass überdacht wird, ob das noch so richtig sein kann. Man hat das Gefühl, immer mehr Sachen werden weggedrückt, von der Bundespolitik an die Landespolitik und weiter an uns. Es ist wichtig, dass wir den Mund aufmachen!
Weissenseel-Brendler: Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Jedes Kind, das ab dem Schuljahr 2026/2027 eingeschult wird, soll in den ersten vier Schuljahren Anspruch auf einen Ganztagsplatz bekommen. Verantwortlich dafür sind wir als Kommune. Aber es sind noch gar keine Gebäude da, dazu kommt der Personalmangel bei Pädagogen, Lehrern, Erziehern. Aber das Gesetz tritt in Kraft! Es ist von oben entschieden worden und wir können schauen, wie wir es umsetzen. Schon jetzt müsste man an Schulen mehr soziale Projekte machen. Personell aber nicht leistbar! Dazu fordern Lehrer und Elternbeirat: Wir brauchen FSJler (Anmerkung: Person, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert), damit eine Fahrt ins Schullandheim oder eine Exkursion überhaupt noch möglich ist, oder manchmal der Schwimmunterricht oder normaler Unterricht nicht ausfallen muss. Und der FSJler muss bezahlt werden, und zwar von den Kommunen, weil die Bildungspolitik nicht funktioniert.
Weissenseel-Brendler: Ausschließlich positiv, bis auf wenige Ausnahmen. Das hat mich beeindruckt.
Weissenseel-Brendler: Für mich war es wichtig, die Menschen aus ihrer Illusion wachzurütteln, dass, wenn vorne einer steht als Häuptling, dass der schon alles macht. Wir brauchen jetzt ein Bewusstsein, dass wir gemeinsam Verantwortung für unsere Gemeinde übernehmen. Gleichzeitig war es ein Appell an die Politik, wie sie sich das in Zukunft mit den Gemeinden vorstellt: Ob sie weiterhin diese riesigen bürokratischen Lasten uns aufbürden will und ob sie an der Haftung festhalten will. Auch diese ellenlange Förderanträge kann keiner mehr stemmen.
Weissenseel-Brendler: Ich habe Verbesserungen gespürt. Plötzlich hat die Kommunikation viel offener stattgefunden. Es kamen unzählige Menschen auf mich zu und haben gesagt: Wie können wir dich unterstützen? Was können wir denn machen?
Weissenseel-Brendler: Nein.
Weissenseel-Brendler: Es ist natürlich herausfordernd. Mein Vorteil ist, dass meine Familie mir den Rücken stützt und einiges abfedert. Vor allem war das in den ersten zwei Jahren so, als ich noch berufstätig war, bis zu meiner Elternzeit, die im Oktober begonnen hat.
Weissenseel-Brendler: Ja, auf jeden Fall! Machbar ist es auf alle Fälle, für Frauen und Mütter. Man muss nur strukturiertes Arbeiten gewohnt sein, Organisationstalent haben und gewisse Strukturen im Privatleben schaffen. Aber das braucht man in jedem Beruf. Ich fände es schön und wichtig, wenn es mehr Frauen gibt, die mutig wären, groß denken und sich für die Zukunft ihrer Gemeinde und vor allem unserer Kinder einbringen. Viele Frauen sind schon unwahrscheinlich aktiv, machen ganz viel im Hintergrund. Es ist an der Zeit, dass sie in Zukunft mehr und mehr auf der Bühne sichtbar werden.
Übrigens zolle ich Ihnen größten Respekt, dass Sie sich dieser gewaltigen Aufgabe stellen und wünsche Ihnen alles Gute.
aber.... irgendwie traurig