Führten verspätet gemeldete Corona-Fälle dazu, dass die Sieben-Tage-Inzidenz im Raum Schweinfurt nicht die tatsächliche Situation abbildete? Recherchen dieser Redaktion zeigen, dass die vom Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichten Zahlen wochenlang unvollständig waren, da sie nachträglich gemeldete Infektionen nicht berücksichtigten. Später veröffentlichte Statistiken legen nun offen, dass zwischen den tagesaktuellen Werten und den Zahlen, die auch Nachmeldungen mit einbeziehen, massive Abweichungen bestehen. Dabei stechen Stadt und Landkreis Schweinfurt im unterfränkischen Vergleich deutlich heraus.
Die vom RKI gemeldeten Infektionszahlen im Raum Schweinfurt bewegen sich seit Wochen entgegen des bundesweiten Trends auf einem hohen Niveau. Gerade die Stadt machte kürzlich mit Spitzenwerten über 300 negativ auf sich aufmerksam. Kaum vorstellbar also, dass die Sieben-Tage-Inzidenz hier noch weitaus höher hätte ausfallen können. Doch genau das war offenbar der Fall.
Denn das RKI veröffentlichte nun Zahlen, die einen Rückschluss auf große Unterschiede zwischen den jeweils tagesaktuell gemeldeten Werten und den mit Nachmeldungen aktualisierten Inzidenzen zulassen. Bezogen auf die vergangenen vier Wochen hielt sich diese Abweichung in den meisten Städten und Landkreisen Unterfrankens in Grenzen.
Unvollständige Inzidenzen: 318 statt 166
Seit Anfang April wichen die Zahlen in Schweinfurt jedoch stark voneinander ab. So meldete das RKI etwa am 21. April eine Sieben-Tage-Inzidenz von 166,6 in der Stadt Schweinfurt. Die Korrektur ergab nachträglich eine Inzidenz von 318,2. Wochenlang waren die Abweichungen immens, wie Recherchen dieser Redaktion zeigen.
Auch im Landkreis waren die Abweichungen deutlich größer als in anderen Gebieten Unterfrankens. Doch wie kann das sein? Und hätte man mit diesem Wissen nicht schon viel früher härtere Maßnahmen ergreifen müssen?
Auf Anfrage dieser Redaktion bestätigt eine Sprecherin des bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), dass die Neuinfektionen "teilweise etwas verspätet" gemeldet werden. Die Zahl der Infizierten ist für die Berechnung der Sieben-Tage-Inzidenz ausschlaggebend. Die konkreten Gründe für den Meldeverzug im Raum Schweinfurt seien dem Landesamt nicht bekannt. Daher antwortete die Sprecherin pauschal auf die Nachfrage: In Regionen mit "dynamischem Infektionsgeschehen" könne es vorkommen, "dass die zuständigen Gesundheitsämter an ihre Belastungsgrenzen kommen".
Gesundheitsamt Schweinfurt wusste von Abweichungen
In diesen Fällen nehmen die Behörden der Sprecherin zufolge eine Priorisierung vor. Die Kontaktverfolgung stehe an erster Stelle, weil weitere Ansteckungen verhindert werden können, wenn man mögliche Corona-Infizierte rechtzeitig ausfindig mache. Die Nachmeldung von Fällen sei im Vergleich dazu "weniger relevant".
Die LGL-Sprecherin gibt außerdem zu bedenken, dass Schweinfurt mit rund 54 000 Einwohnern eine verhältnismäßig kleine Gebietskörperschaft sei und einzelne nachgemeldete Fälle die Inzidenz stärker beeinflussen, als in größeren Städten und Landkreisen. Auch technische Probleme bei der Übermittlung könne man nie ausschließen. "Dazu ist uns aus Schweinfurt aber aktuell nichts bekannt", so die Sprecherin.
Auf Nachfrage dieser Redaktion bestätigt das Gesundheitsamt Schweinfurt, über die aktualisierten Zahlen des RKI Bescheid zu wissen. "Das Gesundheitsamt hat im April 2021 die im Zuständigkeitsbereich registrierten Corona-Fallzahlen an das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit teilweise mit zeitlichen Verzögerungen übermittelt", sagt Pressesprecher Andreas Lösch.
Grund dafür sei zum einen ein Software-Update im Gesundheitsamt gewesen, das zu Übertragungsproblemen geführt habe. So konnte das LGL die Daten des Gesundheitsamtes "vorübergehend nicht empfangen". Zum anderen sei die Software-Umstellung mitten in der Pandemie und zeitgleich mit der dritten Infektionswelle erfolgt, die die Region Schweinfurt besonders hart getroffen hat, so Lösch.
Technische Probleme führten zu Fehler in der Meldekette
Durch den Fehler in der Meldekette konnte auch das RKI die entsprechenden Daten vom LGL nicht empfangen. "Diese wurden schließlich nachträglich übermittelt, nachdem das Gesundheitsamt alle technischen Probleme lösen und alle Arbeitsschritte anpassen konnte", so Lösch. Dies habe einige Zeit in Anspruch genommen. Laut Gesundheitsamt seien die Probleme mittlerweile behoben.
Doch welche Auswirkungen haben die korrigierten Zahlen überhaupt? "Die nachträglich durch das RKI angepassten Inzidenz-Werte spielen rückwirkend mit Blick auf die damals gültigen Maßnahmen keine Rolle mehr", sagt Lösch. Das bestätigt auch das RKI. Die Inzidenzwerte des Berichtstages werden also "eingefroren".
Die Nachmeldungen sind laut Gesundheitsamt Schweinfurt in ihrem Ausmaß "nicht als geringfügige, sondern als relevante Abweichungen" zu betrachten. Hatten die Meldefehler also Folgen für das Infektionsgeschehen? "Es lässt sich im Nachhinein nicht ermitteln, welche tatsächlichen Auswirkungen die Diskrepanz zwischen den besagten Werten auf die mittel- und langfristige Entwicklung der Fallzahlen hatte", so Lösch.
Das Landratsamt wusste bereits im März über Probleme bei der Datenübermittlung durch die Software-Umstellung Bescheid, was auch der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde. Welche massiven Abweichungen jedoch damit zusammenhängen könnten, ging aus dieser Meldung nicht hervor.
Gesundheitsamt will Erkenntnisse analysieren
Laut Angaben des Gesundheitsamts liege der Fokus "prioritär auf der schnellen Kontaktierung und Isolierung von positiv getesteten Personen". Dies sei auch in besagtem Zeitraum "lückenlos" erfolgt. Man habe weiterhin die nicht übermittelten Fälle "sorgfältig" aufgearbeitet und nachgemeldet.
Kurz nachdem das Gesundheitsamt auf die Anfrage dieser Redaktion geantwortet hatte, versendete die Behörde eine umfangreiche Pressemitteilung zu dem Thema. "Die sich daraus ergebenden, sich nachträglich stark unterscheidenden Inzidenzwerte haben das Gesundheitsamt dazu veranlasst, die sich aus der Nachbetrachtung ergebenden Erkenntnisse zu analysieren und via Pressemitteilung öffentlich mitzuteilen."
Indes bestätigte die Stadt Schweinfurt, über die erheblichen Abweichungen informiert gewesen zu sein. Man verweise hierbei jedoch auf das Statement des Gesundheitsamtes.
Bei einem Softwarewechsel hat ein Betriebsleiter durch ein paralleles Testsystem die techn. Betriebssicherheit gewährleisten zu lassen. Die Mitarbeiter sind auf einem Trainingssystem mit der neuen Software zu schulen. Wenn diese zwei Voraussetzungen erfüllt sind, darf ein Chef erst den Systemwechsel ins Echtsystem freigeben.
Dass techn. Infrastruktur und Anwendungssoftware per se kein Problem darstellten, haben viele Landkreise Bayerns mit kontinuierlichen Meldungen bewiesen. Letztlich gab es für SW auch keine techn. Störungen, da auch SW, wie im RKI Dashboard zu sehen, jeden Tag (leider nicht alle zur Tageseingabe fälligen) Meldungen absetzen konnte.
Die Ablaufsicherheit der Prozesse - insbesondere die vor der Dateneingabe - scheint nicht gegeben gewesen zu sein.
Ich wünsche dem Gesundheitsamt, dass es durch seriöse und stabile Dienstleistung bei der Bevölkerung bald wieder zu Ansehen findet.
Müssen jetzt Schüler nachträglich daheim bleiben oder Geschäfte nachträglich schließen.
War doch gut das die Zahlen nicht gepasst haben die Menschen waren bestimmt viel entspannter.
Und wer glaubt das demnächst die Biergärten auf machen dürfen der soll nochmal über die Geschichte vom Zitronenfalter und dem Zitronen falten nachdenken. Da gibt's dann kurz vorher wieder irgendwelche Grenzwerte damit auch ja keine treffen stattfinden dürfen.
Was läuft da ab im Gesundheitsamt
Schweinfurt liegt doch in Bayern, oder?!
Da erfolgt eine Quarantäneanordnung erst mit einem Zeitverzug von fast 2 Wochen, obwohl umgehend das Gesundheitsamt in Kenntnis gesetzt wurde und sogar persönlich der längere Kontakt mit einer positiv getesteten Person mitgeteilt wurde.
Immer nur das Gejammer mit Belastungsgrenze und alle überfordert...
Wenn alle so arbeiten würden, wäre jedes private Unternehmen in kürzester Zeit Pleite!
Lange nichts mehr von Ihnen gelesen, deshalb bin ich umso erfreuter wieder einen ..... wie fast immer... .treffenden Kommentar zu lesen.
Ja, unsere Verwaltungen sind zum einen völlig überfordert, die Technik sowie Herangehensweise veraltert.
Allerdings muss ich die Beschäftigten dort in Schutz nehmen. Sie tun was sie können, kommen an ihre Grenzen, ohne daran Schuld zu sein. Sie halten sich nur an ihre Vorgaben, welche von ganz oben kommen. Wie heißt es doch so schön: "Der Fisch fängt schon am Kopf das stinken an".
Die ganze Rechtfertigung ist ein Skandal. Wenn ein Fall da ist, braucht es keinen Klick mehr. Jedenfalls wäre das Technik seit 10 Jahren in der freien Wirtschaft. In den Amtsstuben schreibt man aber lieber Briefe an Kontakte und bittet um schnelle Antwort per frankierten Rückschlag.