Der Lebkuchenmann, Hauptfigur des vorweihnachtlichen Stabpuppen-Schattenspiels der Kinder der Wohngruppe Regenbogen des Caritas-Jugendhilfezentrums Maria Schutz in Grafenrheinfeld, wird am Ende verspeist. Der Fuchs macht sich über die in den Fluss gefallene Leckerei her. Kein Happy End für den Lebkuchenmann auf der Betttuch-Leinwand.
Im wirklichen Leben wird alles für die Kinder der Wohngruppe getan, dass es ihnen nicht so geht wie dem Lebkuchenmann. Sie alle kommen aus familiären Verhältnissen, "wo es zu Hause einfach nicht mehr ging", wie es Caroline Fledering, seit 35 Jahren Erzieherin und zuständig für die Regenbogen-Gruppe, ausdrückt. In der Gruppe finden sie Freundschaft, Gemeinschaft, Struktur und sie werden angenommen wie sie sind.
Wie schauen Kinder und Jugendliche auf die Welt?
Ganz normale 12- bis 15-Jährige, die sich wie alle Teenager dieser Welt in einer Phase befinden, in der Erwachsensein in Sichtweite ist, es aber auch schön ist, noch Kind sein zu dürfen. Was hat Corona, was haben die Krisen und der Krieg mit diesen jungen Menschen gemacht, die mitunter noch einen halben Kopf kleiner waren, als die Pandemie ausbrach? Wie schaut diese Generation, der doch die Zukunft gehören soll, auf diese Welt und das Klima? Beides im Wandel und wie es scheint nicht zum Guten.
Die Wohngruppe Regenbogen hat an einem Adventssonntag eingeladen, ein paar Nachmittagsstunden mit ihnen zu verbringen. Erzieherin Angela Heusinger, seit 2008 in Maria Schutz, steht am Herd in der Küche, aus der der Duft nach Kinderpunsch durch die ganze Etage zieht. Der Esstisch ist weihnachtlich gedeckt, reichlich Gebackenes wartet auf Naschkatzen. Nati (12), Hannah (14), Moesha (15), Michael (15) und seine Schwester Naemi (13) sitzen im Aufenthaltsraum und spielen eine Partie "Rummikub", später gesellt sich noch Nele (13) zu ihnen. Kein Handy, keine DVD, ein echtes Brettspiel. "Ja, wir spielen sowas gerne", versichert Michael.
Erinnerung an eine Zeit der Tränen und der nervigen Schnelltests
"Ich fand es sehr oft sehr nervig, dass wir ständig Schnelltests machen mussten", so Michael, auf die Frage in die Kinderpunsch-Runde, wie das so war in den zurückliegenden Jahren mit Corona und Co. "Jeden zweiten Tag testen, das hat genervt", bestätigt auch Nati und ergänzt, dass er die ewige Masken-Tragerei ganz schön doof fand.
Corona hatten sie alle schon und man spürt in der Runde, dass sie dieses Thema endlich zu den Akten legen wollen. Kinder seien in dieser Hinsicht ganz gut in der Bewältigung von Krisen, so die Erfahrung von Angela Heusinger, weshalb Corona bei ihnen auf dem Weg ins Vergessen sei. Und doch gab es zu dieser Zeit auch Tränen, als zum Beispiel ein Mädchen in Quarantäne musste, weil die Schnelltests mehrfach positiv waren, der PCR-Test, die Infektion aber nicht bestätigte.
Eine Zeit, in der pädagogische Gruppenarbeit so gut wie nicht möglich war und es viel Frust gab, bis alle einen funktionierenden Laptop fürs Homeschooling hatten, so Heusinger. Positiv getestete Kinder mussten in ihren Zimmern bleiben, durften nur auf die Toilette, wenn niemand auf dem Flur war. Eine Zeit, in der man Kinder in Quarantäne notgedrungen Handy oder Spielkonsole ließ, wovor man sie eigentlich schützen will, weil die Erzieher mit Homeschooling zu tun hatten.
Bescheidener Weihnachtswunsch 2021 "Corona soll endlich vorbei sein"
"Kinder am Lachen halten, war schwierig", erinnert sich die Erzieherin. Da wurde etwa mit Maske und Abstand und Blickkontakt durch die Scheibe "Stadt, Land, Fluss" gespielt. "Mein Weihnachtswunsch war voriges Jahr, dass Corona endlich vorbei ist", erzählt Naemi. Auch Hannah hatte diesen Weihnachtswunsch und ist sich noch nicht sicher, ob sie sich heuer vielleicht wünschen muss, dass sowas nie wieder kommt.
Naemi, die später einmal die Welt entdecken und als Hotelfachfrau auf einem Kreuzfahrtschiff – am liebsten auf der "Aida" – arbeiten möchte, hört Nachrichten, weiß, was in der Welt passiert. Angst vor der Zukunft hat sie aber nicht. "Ich finde es schade, dass die Welt so kaputt gemacht wurde, dass überall Plastik rumliegt, immer noch zu viele Bäume gefällt werden und Menschen wegen Abgasen krank werden", so die 13-Jährige. Deshalb kann sie auch irgendwie nachvollziehen, dass manche jungen Leute in ihren Aktionen drastische Mittel wählen, wie sich an der Straße festkleben, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Denn nur durch Reden ändere sich leider nichts.
Wie Umweltschutz und Energiesparen ins tägliche Leben gepackt werden
"Ich finde es sehr schade, dass sich das Klima so verändert", sagt auch Hannah. "Wir müssen wirklich wollen, dass sich etwas verändert, viele Menschen reden nur darüber, machen aber nichts oder zu wenig." In der Gruppe und im täglichen Handeln seien Umweltschutz und Nachhaltigkeit große Themen, so Erzieherin Angela Heusinger. Licht ausmachen, wenn man den Raum verlässt, Stoßlüften statt offener Fenster, diese Basics des Energiesparens haben die Kinder längst verinnerlicht. Man würde auch gerne mehr unverpackte Lebensmittel einkaufen, aber die seien oft teurer als verpackte und man müsse auch aufs Budget achten.
Und welche Träume gibt es für die eigene Zukunft? Hannah, von der alle in der Gruppe sagen, dass sie eine tolle Singstimme hat, die aber selber noch nicht so recht an sich glaubt, kann sich vorstellen Maler und Lackiererin zu werden. "Ich habe das mal gesehen und fand es spannend", meint die 14-Jährige. Moesha, die sich für viele Dinge interessiert, die an beinahe allen im Kinderheim gemachten Angeboten teilnimmt, sich aber auf kein Lieblings-Hobby festlegen will, wünscht sich eines Tages selbst Erzieherin zu werden. Auch Nati, der nicht fotografiert werden darf, verkündet im Brustton der Überzeugung: "Ich werde mal Erzieher, Fußball-Kommentator wäre aber auch nicht schlecht." "Ich kann mir vorstellen Künstler zu werden", so Michael, der später seine wirklich gelungenen Bleistiftzeichnungen zeigen wird.
Heiliger Abend mit Kindermette und Glockenklang vor dem Gang zum Christbaum
Und wie steht es um Weihnachten, nur noch Geschenke und Kommerz, oder doch noch ein christliches Fest der Besinnung? Eher Letzteres, so die Kinder, nicht nur, weil Maria Schutz ein von der Caritas getragenes Kinderheim ist. "Wir freuen uns auf Weihnachten", sind sich alle einig und die, die nicht für ein paar Tage zu ihren Angehörigen gehen, wollen auch die Kindermette besuchen.
Der Heilige Abend im Kinderheim, der läuft so ab, wie das zumindest früher in vielen Familien Brauch war. "Nach Kindermette und gemeinsamen Abendessen gehen wir alle in unsere Zimmer und warten bis die Glocke erklingt. Dann dürfen wir ins Wohnzimmer, wo der Baum steht und darunter unsere Geschenke liegen", erzählt Michael. Den Baum schmücken alle Kinder gemeinsam am Tag vor dem Fest. "Dann zünden wir alle eine Kerze an, stellen die an die Krippe und jeder wünscht sich was", ergänzt Naemi.
Kinder wollen in politische Entscheidungen einbezogen werden
Und was würden sie den Damen und Herren aus der großen Politik ins Tagebuch schreiben? "Wenn irgendwelche Entscheidungen getroffen werden, auch mal die Kinder fragen, was die davon halten", so die einhellige Meinung in der Wohngruppe Regenbogen. Und doch können sich alle nicht so recht vorstellen, dass einer von den Entscheidungsträgern genau das tut – nämlich auf die Meinung von Kindern zu hören.
Manchmal tut sich aber doch etwas zum Wohle von Kindern, die in einem Heim aufwachsen. "Solche Kinder mussten, wenn sie eine Ausbildung machten, bisher 75 Prozent ihrer Ausbildungsvergütung an den Staat abgeben. Vor einem Jahr hat sich das geändert, jetzt dürfen sie 75 Prozent behalten", so Erzieherin Caroline Fledering.
Inzwischen haben sich die Teller mit den vorweihnachtlichen Leckereien und der Topf mit dem Kinderpunsch merklich geleert. Die vorweihnachtliche Runde ist vorbei, jetzt folgt gleich die kleine Adventsfenster-Feier im Freien für alle Kinder. Auf dem Programm steht, genau wie ein paar Tage zuvor beim Maria-Schutz-Adventsdorf, das Stück vom "Lebkuchenmann". Die Kinder schnappen sich ihre Stabpuppen und die Leinwand für das Schattenspiel. "Beim ersten Mal waren wir noch aufgeregt, jetzt können wir das", verkündet Nati voller Zuversicht.
Es ist Weihnachten 2022, und hinter der Leinwand stehen ganz normale Kinder, die gelernt haben, die Herausforderungen einer nicht mehr so normalen Welt anzunehmen und sich dennoch trauen, von der Zukunft zu träumen.