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Schweinfurt
Burnout auf dem Bauernhof: Sind psychische Erkrankungen längst epidemisch?
Bei einem Informationsabend im Pfarrzentrum St. Kilian ging es um das Thema psychische Erkrankungen in der Landwirtschaft – und welche Wege es zur Bewältigung gibt.
Das Reden war der erste Rettungsanker: Ökolandwirt Christoph Rothhaupt (links) berichtete in St. Kilian von Wegen aus der Depression, hier neben Landseelsorger Wolfgang Scharl und MdL Paul Knoblach.
Foto: Uwe Eichler | Das Reden war der erste Rettungsanker: Ökolandwirt Christoph Rothhaupt (links) berichtete in St. Kilian von Wegen aus der Depression, hier neben Landseelsorger Wolfgang Scharl und MdL Paul Knoblach.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:29 Uhr

Um eine verkannte Volkskrankheit, früher bekannt als Schwermut oder Melancholie, ging es in einem Vortrags- und Diskussionsabend im Pfarrzentrum St. Kilian. Eingeladen hatte Paul Knoblach, MdL der Grünen. Seine Sorge: Bei erkrankten Landwirtinnen und Landwirten gebe es eine signifikant höhere Rate im Vergleich zu anderen Berufskrankheiten. Depressionen, Angstzustände und Burnout seien weiter verbreitet als in der Durchschnittsbevölkerung, mit entsprechender Tendenz zur Frühverrentung. Lediglich 54 Prozent erhielten in dieser Berufsgruppe keine der drei Diagnosen.

Das Interesse war groß. Über 40 Besucherinnen und Besucher waren gekommen. Es wurde nachgefragt oder von persönlichen Erfahrungen berichtet. "Darüber reden" – laut der anwesenden Fachleute ist das die beste Soforthilfe bei einer Erkrankung, die meist mit dem Rückzug aus sozialen Kontakten einhergeht. Knoblach brachte als Landtagsabgeordneter Vorwissen mit. Der Ökolandwirt aus Garstadt war 35 Jahre lang Krankenpfleger im Psychiatrischen Krankenhaus Werneck.

In drei Kurzvorträgen wurde klar: Der erste Schritt aus der Schwermut ist der schwierigste. Der Abend sollte Impuls sein, ein Thema überhaupt erst einmal anzusprechen, das häufig noch von Stigmatisierung umgeben sei.

Steine aus seinem Rucksack genommen

Christoph Rothhaupt, ein betroffener Nebenerwerbslandwirt, ist aus den Schatten getreten. Wer sich den Arm breche, gehe selbstverständlich in Behandlung, die dann ihre Zeit brauche, so der frühere Milchbauer. Der Bad Neustädter wünscht sich diese Einstellung auch bei einer angeknacksten Seele. Nach dem Tod seines Vaters 2014 ist er in das tiefe Loch einer Depression gefallen. Das Gespräch mit der "Ländlichen Familienberatung für Landwirtschaft (LFB)" der Diözese Würzburg habe ihn gerettet, die Krise ihn sogar zu einem anderen Menschen gemacht.

Mittlerweile hat Rothhaupt "Steine aus seinem Rucksack genommen", wie er es nennt. Dazu gehört, dass er sich, schweren Herzens, von den besonders arbeitsintensiven Kühen getrennt hat, zu Gunsten von Biolandbau.

Niederschwellige Angebote nutzen

"Höfedenken" ist für den Würzburger LFB-Berater Wolfgang Scharl ein typisches Phänomen: "Sei nicht der, der den Betrieb kaputtmacht" bekämen viele Nachfolger zu hören. Der Beruf sei zudem eng mit dem Familienleben verquickt. "Wir versuchen ein niedrigschwelliges Angebot zu sein", sagt Scharl, neben weiteren Beratungsstellen und den Medizinern.

Der dritte Referent des Abends ist Dr. Gerald Zöller, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, der lange Jahre in der Klinik Werneck tätig war. Depressionen gingen mit einem massiven Schwund an Lebensfreude einher, weiß Zöller. Die Krankheit könne bereits Kinder treffen, beruhe oft auf genetischer Veranlagung und breche in akuten Belastungssituationen aus: "Depressionen sind Erkrankungen einer Dienstleistungsgesellschaft."

Appetit-, Schlaf- und Antriebslosigkeit wären übliche Symptome. Frauen würden ihre Probleme eher beklagen, Männer häufig müde und gereizt reagieren. Zöller konstatiert zudem "Neigung zur Perfektion" bei Menschen, die in der Regel "charakterlich vorzüglich" und keinesfalls oberflächlich seien. Die Angehörigen würden mitleiden.

Ungern gesprochen werde über die Suizidrate, sagte Zöller. Es gebe medikamentöse Behandlung, auch wenn die Stoffwechselstörung Ergebnis, nicht Ursache sei. Wichtig wäre es, nach einer Therapie dranzubleiben. Sport könne helfen, Musik oder die Natur, Stichwort "Waldbaden". Was gar nichts bringe, so Zöller, seien Durchhalteappelle wie "Reiß' dich zusammen."

Zukunftssorgen und Überlastung

Im Gespräch wird die Agrarpolitik als mitverantwortlich gesehen für Zukunftssorgen und Überlastung. "Wachsen oder weichen", das habe man den jungen Landwirten beigebracht, beklagt ein Diskutant: "Nur Leistung zählt." Viele vermissen gesellschaftliche Wertschätzung für "Arbeit, Arbeit, Arbeit" bei rasch mitwachsendem Verwaltungsaufwand.

Eine Landwirtin berichtet von einem Generationenkonflikt auf dem Hof. Scharl bietet das persönliche Gespräch an. 16 Wochen war ein weiterer Betroffener krank, davon sechs Wochen in klinischer Behandlung: "Wer an die Öffentlichkeit geht, wird merken, wer wirklich die Freunde sind." Seine Frau arbeite auf einer Kinderintensivstation, er habe sie nicht zusätzlich belasten wollen. Nun arbeite er als Forstwirt. 

"In Frankreich sterben jeden Tag zwei Bauern", sagt ein Zuhörer zum besonders heiklen Thema Suizide. Wo die Zahlen in Deutschland herkämen? Die hohe Erkrankungsrate sei wissenschaftlich belegt, sagt Knoblach, es gehe nicht darum, den Berufsstand schlecht zu machen. Der Abend solle dazu beitragen, Menschen für das Problem zu sensibilisieren.

Christoph Rothhaupt hat sich zunächst per Dokumentarfilm geoutet, im Glauben, dass in seinem Berufsstand nur wenige "Arte" schauen. Kurz darauf war er vom Zuspruch überrascht, den er gerade von den "großen" Landwirten im Ort erfahren habe.

Information: Für sofortige Hilfe können Betroffene sich an die Ländliche Familienberatung der Diözese Würzburg wenden, Telefon (0931) 386 63 725. Wer selbst Suizidgedanken hat oder jemanden kennt, der Suizidgedanken äußert, findet im Akutfall per Telefon unter (0800) 1110111 oder (0800) 1110222 oder 116123 Hilfe. Online im Chat oder per Mail unter online.telefonseelsorge.de. Das Rund-um-die-Uhr-Angebot ist deutschlandweit kostenfrei, anonym.

 
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