34 Jahre – in diesem Alter denken viele daran, eine Familie zu gründen oder ein Haus zu bauen. Wenige stellen sich Anfang 30 vor, in der Lokalpolitik mitzumischen. Anders Nicole Weissenseel-Brendler. Die 34-Jährige mischt dort nicht nur mit, sie steht seit einem Jahr als Bürgermeisterin an der Spitze der Gemeinde Dingolshausen. Übrigens: Eine fünfköpfige Familie hat sie auch und lebt in Bischwind auf einem landwirtschaftlichen Hof.
Ohne ihre Vorgeschichte zu kennen, lässt sich schwer ergründen, weshalb Weissenseel-Brendler Nachfolgerin von Lothar Zachmann wurde. 24 Jahre lang war dieser Bürgermeister – und hinterließ zweifelsohne Fußspuren, die es erst mal zu füllen gilt. Noch dazu ist Weissenseel-Brendler keine "echte" Dingolshäuserin; erst 2015, als ihr Mann den elterlichen Hof in Bischwind übernahm, ist sie von Traustadt in den kleineren der beiden Ortsteile gezogen, der seit der Gebietesreform im Jahr 1978 noch nie einen Bürgermeister im Dingolshäuser Rathaus gestellt hat.
Überraschend deutlicher Wahlsieg
"Eigentlich habe ich mich 2019 auf meine Kandidatur zur Kreistagswahl konzentriert", sagt Weissenseel-Brendler. Dann sprachen sie Dingolshäuser an, doch auch als Bürgermeisterkandidatin anzutreten. Ihre Zusage liegt daran, dass sie Lokalpolitik gut kennt. Zwölf Jahre saß sie im Donnersdorfer Gemeinderat, sechs Jahre im Schweinfurter Kreistag. Und sie sah ihre Chance, "hier anzukommen", sagt sie rückblickend. Dass sie im März 2020 mit fast 66 Prozent der Stimmen ihre Mitbewerberin deutlich übertroffen hat, damit habe sie nicht gerechnet, sagt sie ein gutes Jahr später.
Dass sie, wie es ihr Wähler aus Dingolshausen nach der Wahl gesagt haben, eigentlich aus dem "falschen" Dorf kommt, dürfte die 34-Jährige erst recht anspornen, eines ihrer großen Ziele zu erreichen: Sie möchte, dass Bischwind und Dingolshausen mehr zusammenwachsen. "Für mich als Zugezogene waren beide Ortsteile immer gleichwertig", sagt Weissenseel-Brendler. Sie wünscht sich, dass das irgendwann in den Köpfen aller 1400 Einwohner der Gemeinde fest verankert ist.
Sie verteilt die Gemeinde-Post persönlich
Ihr sei es wichtig, die Menschen in der Gemeinde zu erreichen, mit ihnen zu kommunizieren – und "ihre" Gemeinde besser kennen zu lernen. Deshalb fahre sie alle Post der Gemeinde selbst aus, sagt sie. Sie möchte am Ende ihrer Amtszeit alle Namen der Einwohner kennen. Ein hochgestecktes Ziel, vor allem, solange die Corona-Pandemie die Begegnung mit Menschen auf ein Minimum reduziert. Das Menschsein, der Smalltalk mit jemanden, den man zufällig auf der Straße trifft, geht verloren, nimmt Weissenseel-Brendler es wahr.
Sie erkennt den sich erodierenden Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde, wenn reihenweise und über viele Monate hinweg Feste und Vereinsveranstaltungen abgesagt werden. So war es ihr wichtig, vergangenes Jahr trotz Einschränkungen im Juli wenigstens die Krönungsfeier für Weinprinzessin Laura Grünewald stattfinden zu lassen – als erste im Landkreis während der Corona-Zeit, unter freiem Himmel. "Es geht darum, den Menschen etwas Normalität zu geben", erklärt die Bürgermeisterin. Die Krönungsfeier war übrigens der erste Anlass für sie, als Gemeindeoberhaupt wenigstens vor ein paar Gästen live zu sprechen.
Für Visionen braucht es Begegnungen
Auch für die Arbeit des Gemeinderats wären mehr Begegnungen außerhalb der offiziellen Sitzungen wichtig, sieht Weissenseel-Brendler ein Dilemma. Denn: Um Visionen und Leitziele festzulegen, wo die Gemeinde in 15, 20 Jahren stehen möchte, brauche es die zwischenmenschliche Ebene bei Workshops – in der Realität, und nicht in virtuellen Räumen.
Sie kann sich vorstellen, dass nach der Pandemie alte Werte des Zusammenlebens der Menschen an Wert wieder gewinnen. So möchte sie in der Gemeinde mehr Begegnungsorte für die Generationen schaffen, auch im Freien. Weitere wichtige Aufgaben sieht sie darin, die Freizeitfläche unterhalb des Bastelbergs an der renaturierten Volkach wie geplant auszubauen, unter anderem mit einer Kneipp-Anlage. Weiter nennt sie die Baugebiete in Bischwind und Dingolshausen, die Sanierung des Dingolshäuser Sportheims, und die der Friedhöfe in beiden Ortsteilen als Projekte, die anstehen oder schon laufen.
"Eigentlich ist es ein Vollzeitjob"
Und wie sind die ganzen Aufgaben als Bürgermeisterin mit ihrem Hauptberuf – zwölf Wochenstunden im Vertrieb eines Unternehmens – unter einen Hut zu bringen? Es ist schwierig, gibt sie zu. Minimum 30 Stunden pro Woche habe sie bisher im Nebenamt als Bürgermeisterin, für das sie auf dem Papier Montag bis Mittwoch fest eingeplant hat, gearbeitet. Es gab aber auch schon Wochen, die mehr als doppelt so vielen Stunden gekostet haben. "Eigentlich ist es ein Vollzeitjob", gibt sie zu, mit ungeregelten Dienstzeiten. Da freut es sie, dass ihre kleinen Kinder (2, 3, 6) sie weiter so wahrnehmen, wie sie sie vor der Wahl gekannt haben. "Mama ist nicht anders geworden, das mache ich ihnen immer wieder klar", sagt die 34-Jährige.