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Schweinfurt
Aufgewachsen im Krieg: Wie Karl Wittstadt unter Bombenhagel seine Kindheit in Schweinfurt erlebte
Karl Wittstadt war noch ein Kleinkind, als er den Zweiten Weltkrieg erlebte. In seinen Kopf brannten sich damals Bilder ein, die er bis heute nicht vergessen hat.
Karl Wittstadt ist inmitten des zweiten Weltkriegs in Schweinfurt geboren. Heute lebt er in Obereisenheim.
Foto: Marius Flegler | Karl Wittstadt ist inmitten des zweiten Weltkriegs in Schweinfurt geboren. Heute lebt er in Obereisenheim.
Marius Flegler
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:50 Uhr

Karl Wittstadt aus Obereisenheim wurde im Jahr des Kriegsausbruchs, 1939, in Schweinfurt geboren. Lange Zeit hatte er vieles, das er in der durch Kugelhagel und Bomben verursachten Hölle erlebt hat, verdrängt. Die Bilder des Ukraine-Kriegs wühlen ihn auf, wie er sagt. Vor seinem geistigen Auge erscheinen ihm heute die Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg wieder, den er als Kind hautnah in Schweinfurt miterlebt hat.

Wittstadt war der einzige Sohn seiner Eltern, die an der Stadtgrenze in Oberndorf die alte Gaststätte "Frühlingsgarten" betrieben. An seinen Vater, so sagt er, hat er nur noch eine greifbare Erinnerung: Bevor er 1943 an die Front geschickt wurde, hatte er sich den kleinen Karl noch einmal zur Seite genommen, als dieser gerade wild in der Wohnung "herumturnte": "Ich sehe ihn noch in Uniform vor mir und habe im Ohr, wie er zwar lieb und nett, aber auch streng sagte: Ich muss jetzt wieder fort. Du bleibst bei Mama und du hast es zu unterlassen, dich so aufzuführen." 

Aufgewachsen ohne Vater 

Der Vater musste an die Front in der ehemaligen Sowjetunion, wo er auf dem Staatsgebiet der heutigen Ukraine in Alexandrowka im Kampf fiel und beerdigt wurde. Karl Wittstadt besitzt noch heute das kleine Foto des Grabs, das die Kameraden der verwitweten Mutter damals geschickt hatten. Erst in den letzten Jahren hat er "eine Reise dorthin ins Auge gefasst" und begonnen zu recherchieren, wo der Ort, der heute einen anderen Namen trägt, überhaupt liegt, sagt Wittstadt. Jetzt, wo dort der Krieg wütet, ist ihm das allerdings nicht möglich.   

Weshalb er sich das als junger Mensch nie vorgenommen hatte, kann er nicht sagen. Vielleicht, weil er als ausgebildeter Schlosser-Meister, studierter Ingenieur und später als Revisor und Projektleiter bei SKF immer sehr ausgelastet war. Dazu seine Vereinstätigkeit im Handball. Vielleicht aber auch deshalb, weil er die schrecklichen Erinnerungen, die in ihm schlummerten, nicht wieder hochkochen lassen wollte. Denn wirklich verarbeiten konnte er den Schrecken des Krieges während er aufwuchs nicht: "Auch von der ersten Nachkriegszeit herrscht eine große Wissenslücke. Meine Großeltern, meine Mutter und auch das ganze Umfeld waren in den Mantel des Schweigens gehüllt – das war eigenartig." 

Alte Fotos aus Karl Wittstadts Familienbesitz: Oben links: In der alten 'Metzgerei Kast' arbeitete Wittstadts Vater. Unten links: Der junge Karl Wittstadt nach dem Krieg. Rechts: Gäste im Garten der Gaststätte der Familie, sowie die Vorderansicht des alten Gasthauses mit Belegschaft. 
Foto: Karl Wittstadt Archiv | Alte Fotos aus Karl Wittstadts Familienbesitz: Oben links: In der alten "Metzgerei Kast" arbeitete Wittstadts Vater. Unten links: Der junge Karl Wittstadt nach dem Krieg.

Wittstadt erzählt, dass ihn der Besuch einer Ausstellung zu den "Kriegswirren Schweinfurts" im Schweinfurter Rathaus vor einigen Jahren besonders aufgewühlt hat: "Ich habe da eine ganze Menge Bilder gesehen und bin einfach heulend raus, weil ich als Bub Schweinfurt im Krieg verdammt nah miterlebt habe." Nach vielen Jahrzehnten wurde ihm erst zu diesem Zeitpunkt wieder bewusst, welche Grausamkeiten er als Kind mit eigenen Augen gesehen hatte. 

Als Kind von Kriegsflugzeugen unter Beschuss genommen

Einige Erinnerungen haben sich bei ihm eingebrannt. So etwa an einen Gang zum Amt mit seiner Mutter. Als die beiden gerade die Rückertstraße entlang liefen, kam der Bombenalarm. Die einzige Schutzmöglichkeit in diesem Bereich sei ein Keller unter der ehemaligen Brauerei Hartmann gewesen: "Es hat nur noch geknallt und gescheppert." Der Keller war vollgestopft mit Schutzsuchenden, die eng aneinander gedrängt im aufgewirbelten Staub um ihr Leben fürchteten. 

Als alles vorbei war und die Wittstadts wieder auf die Rückertstraße traten, war diese nur noch "ein einziger Trümmerhaufen." Dem jungen Karl Wittstadt bot sich damals ein Bild des Grauens: Überall Rauch, Qualm und Schreie. Menschen rannten umher, es herrschte ein "heilloses Durcheinander." Dazu ein "unvergesslich beißender Geruch", erinnert sich Wittstadt. Die Stadt lag in Schutt und Asche.

"Wir waren einfach immer unterwegs und hatten nur eine einzige Verpflichtung: Bei Alarm zu rennen."
Karl Wittstadt, aufgewachsen im Zweiten Weltkrieg

Einen zweiten einprägsamen Moment erlebte er außerhalb der Stadt. Mit einer Schar an Jungen und Mädchen spielte Wittstadt an einer Brücke am Höllenbach, da tauchten auf einmal zwei Flieger aus Richtung Deutschhof am Himmel auf. Ehe sich die Kinder versahen, gingen sie in den Tiefflug und eröffneten das Feuer auf die Gruppe, die sich gerade noch rechtzeitig unter der Brücke verschanzen konnte. Durch die schnelle Reaktion blieben alle Kinder unverletzt, erzählt er: "Wir waren einfach immer unterwegs und hatten nur eine einzige Verpflichtung: Bei Alarm zu rennen." 

Bei diesem Angriff müsse die Schweinfurter Flugabwehr mindestens eines der Flugzeuge vom Himmel geholt haben, vermutet Wittstadt. Der neugierige Junge und seine Freunde entdeckten es, als sie gerade nach Hause rannten, auf einer großen Wiese: "Der Pilot saß noch darin." Ob tot oder lebendig – er weiß es nicht. An die Wrackteile, die noch nach dem Krieg überall in den angrenzenden Gärten verstreut herumlagen, erinnert er sich noch genau. 

 
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Kommentare
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  • Werner12
    Letzter Satz im Artikel : Hatte der Pilot einen Frack an?
    Oder woher kamen die' Frackteile"
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • ralf.zimmermann@mainpost.de
    Vielen Dank für den Hinweis, wir haben den Fehler korrigiert.

    Mit freundlichen Grüßen

    Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
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