
Architekt Stefan Schlicht aus Schweinfurt ist Vorsitzender des Bund Deutscher Architekten (BDA) im Bezirk Unterfranken und besonders begeistert von allem, was ursprünglich ist. Und doch hat es einen bedeutenderen Grund, warum er meint, dass Architekten und Planer, öffentliche Auftraggeber, Immobilien-Besitzer und Wohnungsbaugesellschaften dem Abriss-Wahn mehr entgegen setzen, sanieren und umgestalten statt neu bauen müssen: den Klimaschutz. Die Baubranche verbraucht mehr Energie und schleudert mehr CO2 in die Umwelt, als viele denken. Ein Interview über den Wandel, der dringend nötig ist, die Identität unserer Heimat, schwarz-weiße Einheitslandschaften in Siedlungen und die "riesen Verantwortung" der Architekten und Auftraggeber.
Stefan Schlicht: Erstens eine persönliche Überzeugung, zweitens ein zwingendes Muss in der Baubranche. Ich denke, das ist auch angekommen. Ressourcen werden knapp, Materialien sind nicht lieferbar, die Preise werden immer teurer – da findet dann vielleicht zwangsweise ein gewisses Umdenken statt, muss man mehr mit dem Bestehenden arbeiten.
Schlicht: Ja, wenn auch irgendwie durch die Hintertüre. Dass es einen gesellschaftliche Druck in Sachen Klimaschutz gibt, trägt auch dazu bei. Es wäre zu kurz gedacht, wenn wir da nur an Gebäude dämmen oder Photovoltaik auf dem Dach denken, wenn es um Umweltschutz geht, um Klimaschutzziele. Ein viel wichtigerer Faktor, der noch zu wenig gesehen wird, ist den Bestand zu erhalten und weiter zu nutzen. Das ist eine natürliche Ressource. Wir verbrauchen 50 Prozent Energie für die Errichtung eines Gebäudes und dann nochmal 50 Prozent der Energie für den Lebenszyklus. Das heißt, wenn wir den Bestand erhalten und auf Stand bringen, erreichen wir eine Ersparnis von 50 Prozent. Der Energiebedarf einer ganzen Generation. Das weiß man auch. Trotzdem gibt es noch zu wenig Verantwortung für den Bestand und Identifikation mit dem Bestand.
Schlicht: Alle. Und an erster Stelle Architekten und Planer. Uns sehe ich da in einer Riesenverantwortung. Ob es um Private geht oder Kommunen, der erste Ansprechpartner ist der Architekt oder der Stadtplaner. Sie sind die Experten, die sich des Themas annehmen, den Auftraggeber überzeugen und begeistern müssen, mit dem Bestand zu arbeiten, Argumente dafür gibt es viele.
Schlicht: Wir bauen auf der Welt so viel, dass wir weit mehr Ressourcen aufbrauchen, als eine Erde bieten kann. Unser behutsamer Umgang mit der Ressource Bestand trägt maßgeblich zum Klimaschutz bei. Das Bauen ist weltweit für 30 Prozent des CO2-Austoßes verantwortlich und für 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs. Es verbraucht 50 Prozent der Ressourcen, und 60 Prozent des Abfallaufkommens stecken im Bauen. Über 50 Prozent der weltweiten klimaschädlichen Emissionen kommen aus dem Bauwesen. Dies ist auch im aktuellen Bericht der Bundestiftung Baukultur zu lesen. Danach entspricht der jährliche Bauabfall in Deutschland rund 74 Millionen Tonnen; das entspricht rechnerisch dem Materialbedarf von circa 422.000 Wohnungen.
Schlicht: Ja, und das ist genau der Punkt. Es steckt so viel Ressource im Bestand. Vielleicht entspricht er nicht immer den vermeintlichen Bedürfnissen, aber dafür hat man doch kreative Partner, uns, die Planenden, die aus dem Vorhandenen neue Bedürfnisse schaffen können. Wir müssen auch zurückkommen auf die Frage, was wir eigentlich brauchen. Braucht man beispielsweise wirklich so viele Quadratmeter Wohnfläche? Der Wohnflächenbedarf ist in den letzten drei Jahrzehnten um ein Drittel auf 47 Quadratmeter pro Kopf angewachsen.
Schlicht: Er endet in der Deponie und bestenfalls im Straßen- und Erdbau. Das ist gewissermaßen ein Downcyclen, aber immerhin. Dass zum Beispiel Abbruchmaterial wie Beton, Steine und Ziegel als Recycling-Beton im Hochbau wiederverwendet wird, ist bisher eher noch die Ausnahme. Hier sind uns andere europäische Länder um Jahre voraus.
Schlicht: Sanieren ist in annähernd in 100 Prozent der Fälle möglich. Wir beweisen dies täglich in unserer Arbeit. Man kann mit allem etwas machen, die Bedürfnisse decken und gleichzeitig Identität erhalten. Einfache Scheunen, die früher als Lager dienten, werden zu Wohngebäuden oder Büchereien; Leerstände zu sozialen Treffpunkten. Das Haus von den Großeltern, vermeintlich zu klein und zu niedrig, bietet ungeahnten Entfaltungsspielraum. Es gibt unzählige Best-Practice Beispiele bei der Umnutzung des Bestandes. Man muss es nur wollen und hierfür tragen Planende, private und öffentliche Auftraggeber eine große Verantwortung.

Schlicht: Nein, wir brauchen da eine Kostenwahrheit, müssen die Ressource Bestand mit in die Vergleichsrechnung einbeziehen. Der bereits erfolgte CO2-Verbrauch des Bestandes muss und wird in künftigen Berechnungen Berücksichtigung finden. Spricht man über Sanierungen, wird heute nur einseitig verglichen, werden die Sanierungskosten den Neubaukosten gegenübergestellt. Viele Kolleginnen und Kollegen, Auftraggeberinnen und Auftraggeber wollen sich nicht mit dem Bestand beschäftigen. Abreißen und neu bauen ist vermeintlich einfacher, wirtschaftlicher. Ein Bild unserer Wegwerfgesellschaft.
Schlicht: Ich würde sagen, da werden Dinge nicht zu Ende gedacht. Die CO2-Bilanz des Bestandes muss einfach mit in diese Kosten-Vergleichsrechnung. Außerdem gibt es für kommunale Auftraggeber und deren Projekte Fördermittel, die Sanierungen unterstützen. "Umbauen muss sexy werden", fordert der bayerische Landesverein für Heimatpflege die Umbaukultur; in die gleiche Richtung geht der Bund deutscher Architekten mit seinem "Haus der Erde. Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land". Wir brauchen Beispiele und Vorbilder, dazu können Kommunen beitragen, und darüber hinaus braucht es attraktive Rahmenbedingungen wie erhöhte Steuerbegünstigungen, eine geförderte Bauberatung, einhergehend mit Fördermitteln, die auch Privatleute unterstützen.
Schlicht: Eine Umbaukultur. Der Herroth ist nur ein Beispiel von vielen ähnlicher Quartiere landauf, landab. Er ist Zeitzeugnis, Teil der Stadtgeschichte. Farbige Häuser mit Satteldächern und anderswo überall verloren gegangenen handwerklichen Details. Allerorten wünschen wir uns ein Umdenken der Entscheidungsträger im Sinne der Umbaukultur. Eine Bewertung nicht nur aus rein wirtschaftlichen Gegenüberstellungen, sondern auch aus materieller, baukultureller und gesellschaftlicher Sicht. Eine echte Kostenwahrheit bringt der Einbezug der grauen Energie, des CO2-Verbrauchs des Bestandes, der bereits vorhanden ist. Heute heißt das nicht, dass in derartigen Quartieren alles so bleiben muss. Es darf anhand der Bedarfe weitergebaut werden. Überall werden durch Architekten und Stadtplaner Konzepte erarbeitet, die sich mit der Sanierung und dem "Weiterbauen" beschäftigen. Sanieren, anbauen, dazwischen bauen, neue Wohnformen schaffen. Raum für Familien, Senioren, Paare, Singles, für alle, mit Durchgrünung und hoher Freiraum- und Aufenthaltsqualität. All diese Möglichkeiten bieten diese Quartiere. Auf Planerseite ist es die Aufgabe, die Bedarfe ernst zu nehmen, kreativ zu sein und die echten Kosten zu vergleichen.
Schlicht: Wenn wir abreißen, verzeichnen wir nicht nur einen Materialverlust, sondern auch einen baukulturellen Verlust in den Dörfern und Städten. Drei Prozent der Gebäude machen die Identität eines Ortes aus. Wenn diese drei Prozent aus Leerstandsgründen, Ideenlosigkeit der Nutzungsfindung, mangelnder Pflege oder aus vermeintlicher Unwirtschaftlichkeit abgebrochen werden, nimmt man den Orten ihre Seele, ihre einmalige Identität.
Schlicht: Absolut. Jedes Dorf hat seine eigene Individualität, seine eigene Stärke. Das Erscheinungsbild macht auch viel aus. Wenn man meint, man muss alles neu und "modern" machen, dann ist das der falsche Weg. In vielen Orten spürt man da eine Orientierungslosigkeit, die auch sichtbar wird. Ein leerer, morbide gewordener Ortskern ohne Funktionen. Und an den Rändern: die gleichen Gebäude, alles in schwarz-weiß. Wenn ich mit verbundenen Augen in Neubaugebiete gefahren würde und, dort angekommen, mich umschauen und sagen soll, wo ich hier bin, dann werde ich die weißen Häuser mit ihren anthrazitfarbenen Fenstern und den unterschiedlichsten Dachformen, samt anthrazitfarbener Auffahrt und den schwarzen Weber-Grill sehen und sagen: Ich weiß es nicht. Auf der Suche nach verlorengegangener Identität fahren wir dann in alte italienische Dörfer und Städte und finden es schön.
Ich sage nur Brandschutz, klar bei bestehen Gebäuden kein Problem, aber noch etwas dazu bauen oder aufstocken kann verdammt schwer werden. Abgesehen davon, kann es auch passieren, falls wirklich der Abriss besser wäre, so aus eben genannten Grund nicht mehr im Ortskern gebaut werden darf. Eben weil oft Hauswand an Hauswand, kaum oder kein Abstand zum Nachbarn.
Mitunter kann das sehr schwierig sein und man muss sich auch als Bauherr mehr als informieren und dann noch Willens sein. Oder halt in eines der neuen Baugebiete ausweichen, wo es diesen keine Probleme gibt.
Auch mir spricht Herr Schlicht aus der Seele.
In Ostdeutschland "sanierte" man kurz nach der Wende auf westdt. Art Plattenbauten mit Anbringung von Wärmedämmung (WD) und ließ es schnell bleiben : Schimmel & Algen!
Überall kaputtsanierte Häuser mit zerstörter Bausubstanz und schlechtem, Krebs förderten Raumklima!
Jetzt ist bei WD Raumlüftung Pflicht, da diffusionsdicht: mit einem Rattenschwanz von Technik & Stromverbrauch! Bei Neubauten dasselbe: Bauträger meist Gasbeton & Styropor("Stangenbenzin"). WD ist kurzlebig, muss entsorgt werden (Sondermüll?).
Der BDA sollte ENDLICH öffentlich machen:
1. Berliner Politik wurde von WD-Lobby unterwandert: K-Zahl ist aber nicht alles, sondern nur EIN Faktor
2. WD ist auch heute nicht nötig, was viele Bauherrn nicht wissen
3. Massive Ziegelwände reichen auch (z.B. 42,5 cm) sind diffusionsoffen, mit besten Raumklima, halten ewig, überstanden Kriege, z. B. Frauenkirche München
- aber sie haben weder eine Lobby, noch sind sie sexy/im Mainnstream/im Zeitgeist
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Herr Schlicht das so gesagt hat, wenn doch, hat er sich wohl versprochen.