
Viele Menschen sind einsam, haben Kummer oder gar Existenzangst. An Weihnachten ist es ganz besonders schlimm. Für manche ist Weihnachten das Fest der Einsamkeit. Manchmal braucht man dann einen Menschen, mit dem man einfach nur mal reden kann. Im Gesprächsladen am Schweinfurter Marktplatz gibt es Menschen, die Zeit haben, die zuhören, mit denen man einfach mal reden kann, über Gott und die Welt, über eine Erkrankung, übers Älterwerden oder über Familienprobleme. Die Gespräche sind anonym, vertraulich und kostenlos. "Zu uns kann jeder kommen, der ein Gespräch will", sagt Lorenz Hummel, der seit September 2020 den Gesprächsladen leitet. Bei einem Besuch erzählt er, welche Sorgen die Menschen haben und wie sich die Probleme verändert haben.
Lorenz Hummel: Herzlich willkommen, schön, dass Sie da sind. Wie können wir Ihnen helfen?
Hummel: Manche fangen gleich an zu reden, andere sind unsicher, wollen sich erst mal informieren und nehmen einen Flyer mit. Manche wollen auch nur unsere Ausstellung besuchen. Zweimal im Jahr präsentieren sich hier regionale Künstlerinnen und Künstler. Aktuell zeigen wir Werke von Kindern der Montessori-Schule.
Hummel: Viele wollen einfach nur reden, weil sie einsam sind. Es geht um Krankheit, Sorgen, Ängste. Manche haben kein Geld und deshalb Not. Andere haben Geld und trotzdem Angst. Oft gibt es Probleme innerhalb der Familie. Es sind immer ganz neue Situationen, auf die ich mich einstellen muss. Einige unserer Klienten und Klientinnen haben auch Depressionen. Wir sind aber keine Therapeuten, wir können die Menschen nur in ihrem Alltag begleiten.
Hummel: Seit ich da bin, das ist seit Mitte der Corona-Pandemie, steigt die Nachfrage stetig. In diesem Jahr haben wir bis jetzt schon 1700 Kontakte und fast 1300 intensive Gespräche geführt.
Hummel: Es gibt keine zeitliche Begrenzung. Manchmal sitzen wir eine bis eineinhalb Stunden, in Ausnahmefällen auch mal zwei Stunden zusammen, manchmal auch nur 20 Minuten.
Hummel: Die Corona-Pandemie und die großen Krisen der Welt sind gar nicht so oft das Thema, sie verstärken aber die persönlichen Ängste. Es kommen zunehmend Menschen, die sich in echten Krisen befinden. Zum Beispiel, weil sie Existenzsorgen oder Zukunftsangst haben. Oder weil sie den Suizid eines Freundes miterlebt haben. Heuer hatten wir über 170 akute Krisengespräche.
Hummel: Es sind ganz unterschiedliche Menschen, von Jung bis Alt. Schwerpunktmäßig sind es aber Menschen zwischen 40 und 70 Jahren. Studierende sind kaum dabei. Sie sind weniger in der Stadt unterwegs und finden uns deshalb auch seltener. Gerade hier besteht meiner Erfahrung nach aber Bedarf. Die jungen Leute stehen unter Leistungsdruck, sitzen alleine in ihren Zimmern und sorgen sich um ihre Zukunft. Da tut es gut, eine neutrale Person zum Reden zu haben.
Hummel: Nein. Aber ich erinnere mich an eine sehr schöne Begegnung mit einem jungen ausländischen Ingenieur. Er kam in den Gesprächsladen, einfach nur um mit jemanden Deutsch zu reden. Er hatte sich die Sprache für seine neue Arbeitsstelle in Schweinfurt angeeignet, doch in der Firma wurde Englisch gesprochen. Wir haben dann etwas Smalltalk gemacht (lacht). Am Ende ging es aber auch um Probleme, die ausländische Fachkräfte bei uns haben.
Hummel: Es gibt viele Gespräche, die haften bleiben. Ich höre auch Lebensgeschichten, die mich verfolgen, die nicht so leicht abzuschütteln sind. Zum Beispiel die einer jungen Frau, die von Kind auf schlimme Schicksalsschläge erleben musste – das reichte von Kindesmissbrauch über häusliche Gewalt bis zu Stalking.

Hummel: Ich suche nach schönen Elementen, nach den Kraftpunkten im Leben. Gemeinsam suchen wir dann nach Wegen aus der Krise und loten die nächsten Schritte aus. Ich erteile aber keine Ratschläge. Wir wollen vielmehr Denkanstöße geben, Sorgen und Ängste laut auszusprechen. Es gibt aber auch Situationen, in denen ich sprachlos bin. Manchmal hilft dann ein Perspektivwechsel. Oder wir sitzen da und schweigen, halten das Leid einfach mal aus.
Hummel: Ich lasse vieles hier, die Anonymität unserer Besucherinnen und Besucher ist da sehr hilfreich. Wir tauschen uns zudem regelmäßig im Team aus. Die Supervision ist sehr wichtig.
Hummel: Die Stelle war ausgeschrieben, und ich wollte mich nochmal einer neuen Herausforderung stellen. Gespräche waren mir schon immer wichtig. Seit 2007 bin ich ja auch Geistlicher Begleiter.
Hummel: Es gibt Leute, die das Schild neugierig macht und hereinkommen. Andere laufen mehrmals vorbei, bis sie sich trauen, die Tür zu öffnen. Und dann gibt es noch diejenigen, die geschickt werden. Zum Beispiel vom Hausarzt, wenn es um die seelische Gesundheit von Patientinnen und Patienten geht. Auch Bestattungsinstitute verweisen auf uns. Sterben und Tod sind ein großes Thema, ein Schwerpunkt bei uns. Im Gesprächsladen können sich Menschen in ihrer Trauer begleiten lassen.
Hummel: Während der Corona-Pandemie hatten wir mehr Anrufe, jetzt nimmt es wieder etwas ab. Die telefonische Möglichkeit für ein Gespräch nutzen manchmal ältere Menschen, für die der Weg in die Stadt beschwerlich ist. Oder Auswärtige, für die der Weg zu weit ist. Ich habe zum Beispiel eine junge Frau aus Frankreich, die regelmäßig anruft. Es gab auch mal einen Anrufer aus Kiel und eine Klientin aus Göttingen, die bewusst ein Gesprächsangebot außerhalb ihres persönlichen Umfeldes gesucht haben.
Hummel: Es gibt Menschen, die immer wieder kommen oder den Gesprächsladen phasenweise aufsuchen, zum Beispiel alle zwei Monate. Manche befinden sich in psychologischer Betreuung und haben zwischen ihren Sitzungen zusätzlichen Gesprächsbedarf. Es gibt auch Leute, die in Krisenzeiten täglich vorbeischauen. Jeder und jede darf so oft hierherkommen, wie es ihm oder ihr guttut.
Hummel: Sie sind total wichtig, weil die sozialen Netzwerke in unserer Gesellschaft immer löchriger werden und die digitalen Netzwerke Familie oder Nachbarschaft nicht ersetzen. Es sind nur Scheinnetzwerke. Denn wenn echte Krisen auftreten, nützen sie oft nichts. Wir sind zusätzlich auch ein Vernetzungsangebot. Wir helfen Leuten, denen es schlecht geht und die nicht wissen, wohin sie können. Neulich zum Beispiel kam ein junger Mann, bei dem es erst mal nur um Beziehungsprobleme ging. Am Ende haben wir ihn an die Schuldnerberatung verwiesen.
Hummel: In der Regel nicht. Unsere Tür ist immer offen. Manchmal muss man etwas Wartezeit mitbringen. Manchen Menschen ist es wichtig, zu einer bestimmten Zeit einen Gesprächspartner zu bekommen und vereinbaren deshalb vorher einen Termin.
Hummel: Wenn ich merke, das Gespräch dreht sich im Kreis, versuche ich es dem Ende zuzuführen. Und wenn doch noch ein neuer Aspekt aufploppt, rate ich, mit diesem Thema nochmal wieder zu kommen. Auch beim nächsten Besuch werde ich sagen: "Herzlich willkommen, schön dass Sie da sind."