In Schweinfurt gehen sie immer noch zum Sachs. 1895 ist die Firma als "Schweinfurter Präzisions-Kugellagerwerke Fichtel & Sachs" gegründet worden. Vor rund zehn Jahren wurde sie mit der ZF Friedrichshafen AG verschmolzen. Sachs ist also nur noch eine Marke. Der Name lebt jedoch in den Herzen der Menschen hier fort. 125 Jahre alt wird das Unternehmen in diesem Jahr. Es war eine ordentliche Feier geplant, sie ist erst einmal der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen.
Eher zufällig war der Radrennfahrer Ernst Sachs 1894 nach Schweinfurt gekommen. Er hatte sich bei einem Radrennen in Frankfurt verletzt, ging zur Kur nach Bad Kissingen, fand in Schweinfurt in einem Fahrradgeschäft einen Job. Dort entwickelte der 27-jährige Mechaniker die Freilaufnabe, die die Firmengeschichte eines Unternehmens begründen sollte, das mit über 9000 Beschäftigten nicht nur das größte in Schweinfurt, sondern eines der größten in Nordbayern ist.
Kein großer Erfinder, aber ein guter Vermarkter
Sachs war kein großartiger Erfinder, wie Andreas Dornheim in seiner Familiengeschichte schreibt. Der gelernte Werkzeugmacher verstand es jedoch, vorhandene Komponenten genial zusammenzufügen und mit viel Gespür für Marketing auf den Markt zu bringen. So erschienen 1903 in den wichtigsten Zeitungen Anzeigen mit dem Titel "Auf Tour". Eine Gruppe von Radfahrern war in den Alpen unterwegs und bewies, wie effektiv eine Torpedoschaltung funktionierte. Für die wirtschaftliche Seite sorgte Karl Fichtel, der einer vermögenden Schweinfurter Familie entstammte. 1911 ist er gestorben.
Ernst Sachs kam aus einfachen Verhältnissen. Die fehlende Bildung war eine Belastung. Der am 22. November 1867 am Bodensee Geborene wollte mehr sein. Sachs erwarb dank des wirtschaftlichen Erfolgs Schloss Mainberg in der Nähe von Schweinfurt, baute es nicht ganz geschmackssicher, aber mit viel Geld historisierend um, stand kurz vor der Erhebung in den Adelsstand, was jedoch durch eine Intrige verhindert wurde. Das Schloss wechselte mehrfach den Besitzer, wurde unter anderem von einem Schwindler erworben, der versprach, auf Glatzen Locken wachsen zu lassen. Heute gilt es als sanierungsbedürftig.
1929 trennte Sachs sich vom Kugellagergeschäft, setzte auf die Motorisierung breiter Massen. Der legendäre 98-Motor wurde auch noch nach dem zweiten Weltkrieg gebaut. Zwei Millionen Mal. Der einstige Radrennfahrer engagierte sich weiter im Radsport, lieferte aber auch Komponenten für die legendäre Silberpfeile von Mercedes. Noch heute ist Sachs, oder richtig ZF, im Motorsport unterwegs. Die größten Triumphe wurden mit Michael Schumacher in der Formel 1 eingefahren.
Der Sohn - ein fragwürdiger Spender und umstrittener Stifter
Mit seinem Nachfolger hatte Ernst Sachs weniger Glück. Willy erwies sich zwar wie sein Vater als großzügiger Stifter: Ernst-Sachs-Bad, die heutige Kunsthalle, das Willy-Sachs-Stadion. Schon 1933 war er in die NSDAP und in die SS eingetreten. Freundschaftlich verbunden war er mit Heinrich Himmler und Hermann Göring, er spendete der Partei großzügig.
Sachs gab sich sehr volkstümlich, war gegenüber Frauen wohl auch übergriffig. Auch darum ging die Ehe mit Elinor von Opel in die Brüche. Um das Sorgerecht für die beiden Söhne kam es zu heftigen juristischen Auseinandersetzungen. Ein Entführungsversuch der in die Schweiz verzogen Ernst Wilhelm und Gunter durch die Gestapo scheiterte.
Nach dem Krieg wurde Willy Sachs unter aus heutiger Sicht fragwürdigen Umständen als Mitläufer reingewaschen. Immer wieder wurde gefordert, ihm die Ehrenbürgerschaft Schweinfurts abzusprechen - und jetzt ganz aktuell wieder. In der 90er Jahren diskutierte sogar der damalige Vorstand von Mannesmann Sachs darüber, zu Willy Sachs auf Distanz zu gehen. Am 1 . Dezember wird der Schweinfurter Stadtrat über das Entziehen der Ehrenbürgerwürde und die Umbenennung des Stadions entscheiden.
1956 nahm sich Willy Sachs das Leben. Er war erpressbar worden, in eine Abtreibungsgeschichte verwickelt. Danach haben die Sachs-Erben verkauft. Ernst Wilhelm war nach kurzer Zeit als Vorstandschef gescheitert, Gunters Interesse galt mehr den Frauen, dem Sport oder der Kunst - in welcher Reihenfolge auch immer. Legendär ist sein Hubschrauberflug über das Anwesen seiner später Anvertrauten Brigitte Bardot in Saint-Tropez. Bei dem er es Rosen regnen ließ. Die Ehe hielt gerade einmal drei Jahre. 2011 nahm er sich das Leben, aus Furcht, an Demenz erkrankt zu sein.
Ein Erbstreit - und viel Futter für den Boulevard
Nachdem Ernst Wilhelm 1977 in einer Lawine ums Leben gekommen war (es gab Spekulationen, dass er den Tod bewusst suchte) kam es zu einem Erbstreit mit dessen Witwe Lo, weil Willy Sachs die Söhne nur zu Erbverwaltern eingesetzt hatte. Für die Boulevardpresse war dies ein gefundenes Fressen.
1978 gingen Aktien zunächst an die Salzgitter AG, später die Mehrheit an Mannesmann. Der neue Eigentümer verhob sich jedoch im Handygeschäft, wurde von Vodafon geschluckt. Der Telekommunikationsspezialist hatte wenig Interesse in der "alten Technologie". Sachs kam wieder auf den Markt, landete in einem Konsortium von Siemens und Bosch und wurde schließlich von ZF übernommen. Das war ein Deal, den das damalige Management um den Vorstandsvorsitzenden Hermann Sigle unbedingt wollte, um sicherzustellen, dass das Unternehmen nicht zerschlagen würde. Zu dieser Zeit hatte sich Sachs bereits vom Motorenbau und den Fahrradkomponenten verabschiedet.
ZF entsandte mit Hans-Georg Härter einen Mann aus Passau an den Main, der hier nichts einriss, sondern mit den vorhandenen Mitarbeitern, das Unternehmen profitabel neu aufstellte.
Die Zukunft: nicht der Verbrennungsmotor
Inzwischen stellen sich dem Sachs jedoch neue Herausforderungen. Dem Verbrennungsmotor läutet die Sterbensglocke. Spätestens 2040 soll damit Schluss sein. Die E-Mobilität ist inzwischen zu einem wichtigen Standbein in Schweinfurt geworden. Mitarbeiter aus den herkömmlichen Bereichen Stoßdämpfer und Kupplungen sollen in die neue Zeit hineingeführt werden. Bis 2022 gilt ein Kündigungsschutz.
Zur Beurteilung der Person Ernst Sachs: Als er sich 1929 vom Kugellagergeschäft trennte war es nur seinem Einsatz zu verdanken, dass der Hauptsitz nicht nach Berlin, sondern nach Schweinfurt verlegt wurde. Wer weiß, was heute sonst noch hier wäre.