Große, runde Tränen kullern über die Wangen von Marion Gerstner. "Es ist so traurig, dass der Fritz nicht mehr da ist", sagt die Trappstädterin. Mit der linken Hand hat sie die rote Einkaufstasche fest gepackt, mit der rechten wischt sie die Tränen aus den Augen. Kein Fritz mehr, das heißt auch: kein Dorfladen mehr. Noch ein paar Mal öffnet Tochter Michaela Degen den kleinen Laden in der Torhausstraße 16. Doch am 4. November ist Schluss. Dann ist Trappstadts Dorfladen nur noch Erinnerung.
Wo vor einem Supermarkt die Einkaufswagen gewöhnlich in Reih und Glied stehen, warten an diesem Dienstag die Rollatoren sauber in Linie vor der Eingangstreppe. Drinnen im kleinen Geschäft mit den Dingen des Alltags macht Marion Gerstner das, was sie seit 32 Jahren gerne macht im Dorfladen: einen kleinen Plausch abhalten mit den Mitbewohnerinnen. "Hier hat immer einer Zeit gehabt. Man konnte über alles reden. Auch, wenn man mal ein Problem zu besprechen hatte", sagt Marion Gerstner.
Über Zipperlein und alles andere gesprochen
Aus ihrem Reden hört man die thüringischen Wurzeln der Seniorin heraus. Vor 32 Jahren ist die Frau aus Masserberg bei Hildburghausen ins Grabfeld gekommen und in Trappstadt heimisch geworden. In all den Jahren ist ihr der Dorfladen ans Herz gewachsen. In den schmalen Gängen, wo heute leere Chiquita-Bananen-Haken hängen, kam man sich als Dorfbewohner näher und man war sich nahe. Natürlich hat man über die Zipperlein gesprochen, aber auch über die ernsteren gesundheitlichen Probleme.
"Der Dorfladen, das waren immer der Fritz und die Hannelore", erinnert sich Marion Gerstner, das Geschäft war immer mit den beiden Niedts verbunden. Das weiß auch die Trappstädterin Rosi Bötsch. 84 Jahre ist sie alt und hat schon als kleines Mädchen den Dorfladen erlebt. "Ich war als Kind schon dort, habe Sahne gekauft, Brot und Brötchen, was man halt so braucht", erzählt die Frau. Sogar sonntags hatte der Dorfladen in seinen Blütejahren geöffnet.
Sonntags die Sahne an die Tür gebracht
"Ich weiß noch, wie ich einmal angerufen habe, weil ich noch Sahne für eine Torte brauchte", erinnert sich Rosi Bötsch. "Ich stell' dir die Sahne vor die Tür, bezahlen tust du nächste Woche", habe ihr Fritz Niedt geantwortet. So war er halt, der Fritz. "Nie schlecht gelaunt", wie Rosi Bötsch weiß, und immer für die Kundschaft da.
Vor acht Jahren ist Hannelore Niedt gestorben, die bis dahin mit ihrem Fritz den Laden betrieben hatte. Die Lücke schloss seitdem Tochter Michaela Degen, die schon immer mal im Laden ausgeholfen hatte. Seit Vaters Tod Anfang September dieses Jahres öffnet sie alleine an drei Tagen die Woche das Geschäft. Bis eben zum 4. November.
Lange Familientradition endet
Dann endet die lange Familientradition. Gegründet hat den Dorfladen ihr Großvater Willi Roth. Mit seiner Frau Rufina war er 1932 nach Trappstadt gezogen. Er hatte zuerst ein kleines Fuhrunternehmen betrieben, die Frau verkaufte derweil Kuh-Ketten. 1936 zogen sie in das jetzige Haus in der Torhausstraße 16 und eröffneten die "Kolonialwarenhandlung W. Roth", wie es auf einer alten Postkarte heißt.
1967 wurde an der Stelle einer alten Scheune schließlich der Dorfladen errichtet, wie man ihn heute noch kennt. Bis in die Siebzigerjahre hinein gab es sogar eine kleine Tankstelle mit Zapfsäule. "Ich geh' zum Roth Einkaufen", war damals das geflügelte Wort.
Später übernahmen Tochter Hannelore und Schwiegersohn Fritz Niedt die Geschäfte. Das wurde richtig angepackt, denn Fritz Niedt arbeitete hauptberuflich im Schichtbetrieb bei SKF in Schweinfurt. Dreimal in der Woche hatte der Dorfladen geöffnet, damals gab es auch eine Geschirr- und Haushaltswaren-Ecke mit Präsentkörben. Samstags gab es regelmäßig Leberkäs-Brötchen aus Ermershäuser Produktion. Die genossen einen legendären Ruf in Trappstadt und füllten den Laden noch mehr. Am letzten Öffnungstag am 4. November werden die Leberkäs-Weck noch einmal in großer Zahl über den kleinen Tresen gereicht werden.
Das Thema Nachhaltigkeit wurde im Trappstädter Dorfladen schon gelebt, als es dafür noch keinen Begriff gab. Michaela Degen holt den Stoß von Stofftüten hervor. Jede einzelne von ihnen trägt den Namen einer Kundin oder eines Kunden. "Die Leute bekamen eine neue Tasche mit ihrem Einkauf mit und gaben eine andere für den nächsten Einkauf ab", erklärt Michaela Degen das Kreislaufsystem, um Plastiktüten zu sparen.
In den vergangenen zwölf Jahren gab es neben Hannelore, Fritz und Tochter Michaela noch einen vierten Mitarbeiter. Hund Eddi, ein kleiner Münsterländer, der im Zwinger neben dem Eingang die Kundschaft begrüßte, mal schwanzwedelnd, mal bellend. "Natürlich, der Eddi, der wird mir auch fehlen", sagt Marion Gerstner mit Wehmut in der Stimme.
Nach dem Tod von Hannelore hielten Fritz und Michaela die Geschäfte alleine aufrecht. Mit dem Tod von Vater Fritz Niedt Anfang September im Alter von 85 Jahren war klar, dass Michaela Degen das Geschäft nicht weiterführen würde. Sie ist beruflich als Krankenschwester stark eingebunden.
Nach dem 4. November ist also endgültig Schluss. Keine Dinge mehr für den täglich Bedarf, keine frischen Backwaren aus Ermershausen und kein Leberkäse mehr. Es wird hernach trotz Leberkäs' ein trauriger Tag. Rosi Bötsch weiß es jetzt schon: "Es werden Tränenbäche fließen".