
Ein nebliger Mittwochmorgen um kurz nach 7 Uhr am Weinberg in Strahlungen: Zwischen den Reben herrscht emsiges Treiben. Auch der kleine Theo tapst herum. Warm eingepackt in eine mit Sternen verzierte Jacke– den Kopf schützt eine Mütze mit bunten Fahrzeugen darauf – schiebt er Traube um Traube in den Mund. "Mmh", sagt er kauend, die Beeren scheinen zu schmecken. "Das ist mal ein anderes Frühstück vor dem Kindergarten", meint seine Mutter und lacht.

Auch wenn Theo lieber die Trauben nascht, als sie wie seine Eltern Cansin und Bastian Steinbach in Eimer zu legen: Mit seinen fast zwei Jahren hilft auch er bereits mit bei der Lese in Strahlungen – auf seine Art. Insgesamt rund 30 Personen arbeiten an diesem Morgen am Strahlunger Mönchsberg. Dort, wo die Aussicht weit über das Dorf hinaus bis in die Rhön reicht, wurde bereits vom Ende des 13. bis ins 19. Jahrhundert hinein Wein angebaut.
Seit 2015 wird der Weinberg am Ortsrand wieder bewirtschaftet, und das komplett ehrenamtlich. Die Rebzeilen gehören Gesellschafterinnen und Gesellschaftern aus Strahlungen und Umgebung. Auch Landrat Thomas Habermann ist Mitglied der Winzergenossenschaft und besitzt Rebstöcke auf dem rund 2500 Quadratmeter großen Weinberg. Oberhalb davon können übrigens Paare in idyllischer Umgebung heiraten.
Nach dem Lesen bringen Helfer die Trauben zum Weingut Schmitt nach Bergtheim
Bei der ersten Lese wird die frühreife Sorte Solaris gepflückt, die drei weiteren – Regent, Müller-Thurgau und Scheurebe – sollen Mitte September folgen. Bevor es losgeht, weist Bürgermeister Johannes Hümpfner, einer der Initiatoren des Projekts "Weinbau in Strahlungen", die Helfer ein.

Dann machen sich die Ehrenamtlichen auf den Weg zu ihren Rebstöcken. Dass es zu Erntebeginn noch früh am Tag ist, hat einen Grund: Würden die Helfer zu spät beginnen, könnten die geernteten Trauben aufgrund der Wärme bereits gären. "Das wäre schlecht für die Qualität", weiß der Bürgermeister. Zumal die Trauben nach der Ernte zum Weingut Schmitt nach Bergtheim gebracht werden müssen, was noch einmal eine gute Stunde dauert. Dort wird der Wein gekeltert und abgefüllt. Anbau, Pflege und Lese übernehmen die ehrenamtlichen Weinbauern selbst.
In diesem Jahr soll der Wein für das Weinfest in Strahlungen reichen
Dank der Beratung durch die Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) und von Winzern wie den Schmitts aus Bergtheim kennen die sich inzwischen gut aus. "Wir machen alles mit der Hand und arbeiten ökologisch. So spritzen wir nicht mit Herbiziden, sondern mit einem Gemisch auf Backpulver-Basis", erklärt der Bürgermeister.
Netze schützen die Reben vor Wespen, aus demselben Grund hängen an den Zeilen der Familien Becker und Hein Flaschen mit einer gelben Flüssigkeit. "Das ist Cola drin, Zucker, Spülmittel und Bier. Aber gutes Bier muss es sein, die Wespen sind wählerisch", scherzt Herbert Hein und schmunzelt.
Der Rebensaft soll in diesem Jahr erstmals auch beim Strahlunger Weinbergfest am 16. und 17. September ausgeschenkt werden. "Bisher waren es rund 1700 Flaschen. Weil jeder Gesellschafter etwas für den Eigenbedarf mitnehmen wollte, blieb nicht viel übrig. Aber dieses Jahr wird der Wein auch für unser Weinbergfest reichen", verspricht Bürgermeister Hümpfner.

2023 stimme die Qualität des Lesegutes. Mit dem Refraktometer ermitteln die Strahlunger Weinbauern einen durchschnittlichen Wert von 91 Öchslegrad, was für eine hohe Qualität spreche. Die Trauben werden laut dem Bürgermeister wohl etwa 800 Liter Solaris-Wein ergeben.
Warum die Weinlese in Strahlungen ein "Familienunternehmen" ist
Doch zuvor heißt es für die Helfer: fleißig ernten und faule Trauben aussortieren. Für Andrea Becker ist es die erste Weinlese. "Bei den letzten Terminen musste ich arbeiten oder bin im Bett geblieben. Ich bin halt eine Langschläferin", erzählt sie, während sie prüfend ihren Blick über die gerade geernteten Trauben schweifen lässt. Dann legt sie die Trauben in ihren "Pril-Blumen"-Eimer ("Den habe ich schon ewig!"). "Aber 7 Uhr ist doch noch eine 'gaadliche' Zeit. Und man macht es gern, wenn man später das Resultat sieht", so Becker. Der Strahlunger Wein werde sehr geschätzt.
Die Eltern des Bürgermeisters pflücken ebenfalls Trauben. Seine Frau kümmert sich um das Wiegen der Ernte, Sohn Finn (10 Monate) verfolgt das Geschehen von seinem Kinderwagen aus. Paul (10 Jahre) und Leo Schmitt (8) sind mit ihrem Vater Markus an dessen Weinstöcken zugange. Philipp Heuring hat seine Frau Christina und den vier Monate alten Sohn Ben mitgebracht. "Das ist ein Familienunternehmen", fasst er zusammen.

Er lacht und fügt hinzu: "Die Erntehelfer werden auch immer jünger. Das liegt wohl am Fachkräftemangel". Für den eigenen Wein nehmen die ehrenamtlichen Weinbauern das frühe Aufstehen und die Arbeit in Kauf und spannen schon die Jüngsten mit ein. Auch wenn mancher von ihnen die Trauben lieber isst, als sie in den Eimer zu legen.