Am 24. Februar hat die Invasion russischer Truppen in die Ukraine begonnen. Plötzlich herrschte Krieg in Europa. Fassungslos und bestürzt verfolgten die Menschen die Nachrichten. In Ostheim liefen an diesem Abend die Drähte heiß. Bio-Landwirt Martin Ritter bat Freunde um Hilfe: Er wollte umgehend Frauen und Kinder von einem landwirtschaftlichen Partner-Betrieb aus der Ukraine nach Deutschland holen. In Sicherheit. Doch damit nicht genug: Was als schnelle Hilfe begann, hat sich in kurzer Zeit zu einem großangelegten Hilfseinsatz für das kriegsgebeutelte Land ausgeweitet.
Die Versorgungslage wird von Tag zu Tag dramatischer. Martin Ritter hat daher eine breit angelegte Lieferkette mit dringend benötigten Hilfsgütern in die Ukraine initiiert. Sein Freund Alexander Trost unterstützt ihn dabei nach Kräften. In einem Gespräch mit dieser Redaktion schildert Trost, was im Rhönstädtchen in kürzester Zeit auf die Beine gestellt wurde, um den Menschen im Kriegsgebiet zu helfen. Lastwagen bringen Tonnen von Lebensmitteln, Medikamenten und Hygieneartikeln über die polnische Grenze direkt ins Land. "Hilfe, die da ankommt, wo sie so dringend gebraucht wird."
Hilfsaktion startete an der polnisch-ukrainischen Grenze
Begonnen hat alles mit der schnellen Rettung von Frauen und Kindern aus dem angegriffenen Land. Eine Hilfsaktion für Freunde. Bio-Landwirt Martin Ritter betreut in der Ukraine einen Betrieb mit ökologischem Landbau und reist dazu mehrmals im Jahr in das osteuropäische Land. Am 25. Februar hatte seine Fahrt einen schrecklichen Hintergrund. Gemeinsam mit Alexander Trost, Michael Ahrens und Tanja Metz wartete er an der polnisch-ukrainischen Grenze, um die Angehörigen der Arbeiter aus der Landwirtschaft abzuholen. Die sieben Frauen und sechs Kinder hatten sich nach einem Hilfsangebot aus Ostheim sofort auf den Weg in den Westen gemacht.
Drei Tage lang, erzählt Alexander Trost, mussten die Frauen und Kinder in einem langen Stau bei Minusgraden in ihren Autos ausharren, bis sie die Grenze passieren konnten. Im Ferienheim in Oberwaldbehrungen haben sie Obdach gefunden, ebenso wie zehn weitere Geflüchtete aus der Ukraine, die in der vergangenen Woche in Sicherheit gebracht wurden.
Wie "Ostheim hilft" aus dem Boden gestampft wurde
Die Hilfsbereitschaft in der Region ist enorm. Auch vonseiten der Stadt Ostheim, bedankt sich Alexander Trost. Bürgermeister Steffen Malzer hat, ebenso wie einige Stadtratsmitglieder, sofort seine Unterstützung angeboten. Seine Stellvertreterin Karina Werner betreut die Frauen und Kinder vor Ort. Sie sucht nach Möglichkeiten, dass die Geflüchteten Deutsch lernen und die Kinder die Schule sowie einen Kindergarten besuchen können. Ihre einfühlsame Art baut Brücken und hilft laut Trost mit, dass die Frauen und Kinder sich hier einleben können.
Für Martin Ritter und seine Helfer ist der Einsatz für die Menschen in der Ukraine damit aber noch nicht zu Ende. Kurzerhand wurde die Aktion "Ostheim hilft" aus dem Boden gestampft, um langfristig Hilfe leisten zu können. Freunde und Familie, Bürgerinnen und Bürger, Landwirte, Geschäftsleute, der Bayerische Bauernverband (BBV) und große Konzerne arbeiten auf Initiative des Ostheimers am Aufbau einer kontinuierlichen Lieferkette für Lebensmittel und Sachgüter. Neben Ehefrau Inge ist Tochter Tina Ritter dabei eine wichtige Stütze: Sie kümmert sich um die Lieferscheine und die Zollpapiere und sorgt so für eine reibungslose Abwicklung der Hilfstransporte.
Hilfe kommt von allen Seiten
Berge von Hilfsgütern stapeln sich derweil in Ostheim. Bei der Firma Leyh und im Bauhof werden sie gelagert, bevor sie in Lastwagen verladen und auf die Reise geschickt werden. "Die Logistik des Großhandels Leyh ist für uns beim Umschlagen der Waren eine unverzichtbare Hilfe", sagt Alexander Trost. Auch die Firma Geis aus Bad Neustadt ist im Boot, unterstützt bei der Logistik und nimmt den Helfern teilweise Transporte ab. Beim Umschlagen der Waren in Breslau stellt die Firma zudem ihre Lager zur Verfügung, so Trost. Besonders wertvoll sind auch die umfangreichen Kontakte von Martin Ritter auf dem Bio-Sektor, so dass der Strom von Hilfsgütern insbesondere aus der Lebensmittelbranche nicht abreißt.
Haltbare Lebensmittel wie Nudeln und Knäckebrot, Wasser, aber auch Babynahrung und Verbandsmaterial werden von Ostheim in die Ukraine transportiert. Neun Lastwagen sind bereits im Land angekommen, sechs weitere Fahrten sind fix geplant, sagt Alexander Trost. Die Waren werden direkt zum landwirtschaftlichen Partnerbetrieb von Martin Ritter im Westen der Ukraine geliefert und von dort aus an Gemeinden und Organisationen in der Region verteilt. "Die Übergabe erfolgt ausschließlich an Vertrauenspersonen, so dass wir sicher sein können, dass die Spenden an der richtigen Stelle ankommen", versichert Trost.
500 Schlafsäcke für Geflüchtete in der Ukraine gekauft
Und immer wieder gibt es neue Entwicklungen, auf die die Helfer reagieren müssen, wie er beschreibt. "Aktuell ist es so, dass der Flüchtlingskorridor nach Polen besser funktioniert. Daher wurden nun auf dem landwirtschaftlichen Betrieb, den Martin Ritter betreut, Übernachtungsmöglichkeiten für bis zu 500 Menschen geschaffen. Aktuell ist es nachts bis zu minus sieben Grad kalt und es bläst ein starker Ostwind. Die gefühlte Kälte liegt bei einem Vielfachen. Wir konnten für die Flüchtlinge nun 500 Schlafsäcke kaufen, dass die Menschen, die übernachten müssen oder wollen, zumindest einigermaßen warm schlafen können."
Für solch schnelle Hilfen sammelt die Initiative "Ostheim hilft" Spenden. Den rechtlichen Rahmen dafür bietet der Verein „Kultur ...FÜR... humanitäre Hilfe“ als solide Basis für die Einnahme und Kontrolle der Gelder. Der Vereinsvorsitzende Michael Diestel hatte Martin Ritter dafür spontan seine Hilfe angeboten.
Chaos in der Ukraine wird immer größer
"Wir sind sehr dankbar für die Masse an Hilfsgütern, die uns gespendet werden", sagt Alexander Trost. Doch ob es bei der Menge bleiben wird, je länger der Krieg andauert, ist ungewiss. Daher werden die Spenden auch für den Zukauf weiterer Lebensmittel, insbesondere Babynahrung, gebraucht. Zudem fallen aufgrund der gestiegenen Dieselpreise hohe Kosten für den Transport der Güter an. "Unser Ziel ist es, auf lange Sicht mindestens einen Lkw pro Woche mit Hilfsgütern in die Ukraine zu schicken", sagt Alexander Trost. "Wenn wir das schaffen, ist viel geholfen."
Alexander Trost hofft dabei darauf, dass die Lieferkette aufrecht erhalten werden kann. Denn der Krieg rückt näher an den landwirtschaftlichen Partnerbetrieb in der Ukraine heran. Am vergangenen Mittwoch wurden in weniger als zwei Kilometern Entfernung die ersten Raketen-Einschläge verzeichnet. "Laut unseren Informationen wird das Chaos in der gesamten Ukraine immer größer", sagt der Ostheimer. Umso mehr wird daher Hilfe gebraucht. "Wenn aber dabei das Leben der Helfer bedroht ist, finden wir andere Wege, um die Bevölkerung zu unterstützen", stellt er klar.
Geflüchtete möchten wieder nach Hause
Indes ist die emotionale Belastung der geflüchteten Frauen und Kinder in Ostheim enorm. Sie wissen nicht, ob sie ihre Männer und Väter, die im Kampf ihr Land verteidigen, wiedersehen oder ob sie noch ein Zuhause haben, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren können. Und das wollen sie in jedem Fall, wie Alexander Trost weiß. "Asyl beantragen möchten die Familien nicht", sagt er. Sie sind dankbar für die Hilfe, möchten aber wieder zurück in die Ukraine. Und darin sieht er eine weitere Aufgabe der Initiative "Ostheim hilft": Auch wenn der Krieg vorbei ist, wird weiterhin Unterstützung gebraucht. "Und wir wollen dabei mithelfen."
Wer das Engagement der Ostheimer unterstützen möchte, spendet an den Verein Kultur für humanitäre Hilfe, IBAN DE39 7935 3090 0000 5579 34, Verwendungszweck: #ostheimhilft. Spendenquittungen werden auf Wunsch ausgestellt.