Wer unter der Woche mittags durch die Industriestraße von Bad Neustadt fährt, sollte Zeit mitbringen. Denn es könnte sein, dass er oder sie für einige Minuten halten muss, um einen Zug durchfahren zu lassen. "Ein Zug? Mitten im Industriegebiet? Wie kann das sein?", wird sich mancher fragen. Das Stichwort lautet: "privater Gleisanschluss". Darüber lässt die BSH Hausgeräte GmbH von Bad Neustadt aus Waren durch ganz Europa transportieren. Doch nicht mehr lange, glaubt man Gerüchten, die in den letzten Wochen in Rhön-Grabfeld die Runde machten.
Was mit den Güterwaggons transportiert wird, lässt das braun-schimmernde Äußere der Wägen nicht erkennen. BSH-Pressesprecher David Hofer liefert die Antwort. "Der Güterzug wird zum Transport von fertigen Staubsaugern eingesetzt, die am BSH-Standort Bad Neustadt produziert werden", schreibt er auf eine entsprechende Anfrage Anfang November 2022.
Am Standort Bad Neustadt laufen täglich mehr als 9000 Staubsauger verschiedener Modelle und Farben vom Band, insgesamt werden weltweit zwei Millionen Stück pro Jahr verkauft, hatte die Firma BSH in einer anderen Pressemitteilung Ende 2021 mitgeteilt.
Rund 430 private Gleisanschlüsse in Bayern
Die DB Cargo koordiniert den Warentransport per Schiene und beziffert auf Nachfrage die Anzahl der aktiven privaten Gleisanschlüsse in Bayern auf rund 430, in ganz Deutschland seien es etwa 2000. Den Transport per Schiene bezeichnet eine Pressesprecherin als "echten Klimaretter". Zu den genauen Abläufen rund um den privaten Gleisanschluss von BSH in Bad Neustadt könne sie nichts sagen, da zu Belangen der Kunden von DB Cargo grundsätzlich keine Auskunft gegeben werden dürfe.
Der Güterzug kommt jeweils montags bis freitags zur Mittagszeit am Bahnhof in Bad Neustadt an und kreuzt am Bahnübergang zwischen der BayWa-Kreuzung und der Einmündung zur Industriestraße die Staatsstraße 2445. Wenn dort die Schranke defekt war und sich kurzzeitig nicht mehr öffnete oder Bauarbeiten anstanden, kam es in der Vergangenheit immer wieder mal zu längeren Staus.
Lange Staus in der Industriestraße von Bad Neustadt
Von dort fährt das Züglein weiter zur Firma BSH. Die Gleise verlaufen entlang der Rückseiten der Betriebe in der Industriestraße, beginnend von Elektro Manger bis zum Restaurant Cuba Cabana gegenüber von BSH. Links von der Gaststätte kreuzen die Gleise die Industriestraße. "Jeden Mittag zwischen 12.30 und 13 Uhr werden die leeren mit den vollen Waggons ausgetauscht", erklärt einer der zwei BSH-Mitarbeiter, die vor Ort den Vorgang betreuen.
Laut Pressesprecher Hofer können in den bis zu fünf Waggons bis zu 6.000 Staubsauger transportiert werden. "38 bis 40 Paletten gehen rein, bis 12 Uhr müssen wir alles vorbereitet haben", bestätigt der BSH-Mitarbeiter, während er dem herannahenden Zug entgegenblickt.
Ein DB-Cargo-Mitarbeiter steigt aus der Diesellok und stellt sich vor den Bahnübergang. Mit einem Winken ruft er die Autofahrenden zum Halten auf. Mancher hat darauf scheinbar keine Lust, dreht um und fährt in die andere Richtung davon. "Übergang gesichert" spricht der Bahn-Mann in sein Funkgerät. Dann kann der Zug auf das BSH-Werksgelände fahren, um die leeren Waggons abzuliefern und die vollen mitzunehmen. Danach geht es den gleichen Weg zurück zum Bahnhof und von dort auf die weitere Reise.
Transportiert der Zug bald keine Staubsauger mehr aus Bad Neustadt?
Warum zieht die BSH Hausgeräte GmbH, die laut Hofer auch an anderen Standorten wie Giengen und Nauen Güterzüge einsetzt, den Zugtransport einem Lkw-Versand vor? Nach Auskunft von David Hofer können so die Waggons schon in Bad Neustadt für den internationalen Versand vorbereitet werden. So sei es möglich, die Waren direkt in das Zielland – zum Beispiel Schweden, Frankreich oder Türkei – zu transportieren.
Ein weiterer Grund ist der Klimaschutz. Für BSH sei es ein zentrales Ziel, den Einsatz von Ressourcen, Emissionen und den Energieverbrauch entlang der gesamten Wertschöpfungskette weiter zu minimieren, so Hofer. "Wo technisch und ökonomisch möglich, verlagern wir unsere Transporte von der Straße auf die Schiene", teilt er mit. Alleine am Standort Bad Neustadt ließen sich so jährlich mehrere hundert Tonnen Co2 einsparen.
Zuletzt kursierten Gerüchte, der Versand der Staubsauger per Zug werde verlagert und erfolge künftig nicht mehr von Bad Neustadt aus, da er zu teuer sei. BSH-Pressesprecher David Hofer schreibt, dass diese Gerüchte zwar in den letzten Wochen auch die Firma BSH erreicht hätten. Sie seien aber nicht zutreffend: "Die DB Cargo hat uns versichert, dass der Standort Bad Neustadt über den 1. Dezember 2022 hinaus weiter bedient wird. Auch von Seiten der BSH gibt es keinerlei Überlegungen, den Einsatz der Bahnverladung zu beenden."