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BAD KÖNIGSHOFEN
Unterfränkische Vinylschätze aus der Flohmarktkiste
Passionierter Flohmarktgänger und Schallplatten-Liebhaber: Michael Petzold
Foto: Anand Anders | Passionierter Flohmarktgänger und Schallplatten-Liebhaber: Michael Petzold
Michael Petzold
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:53 Uhr

Leidenschaften haben ihre Nachteile. Sie lassen einen auch dann nicht in Ruhe, wenn man eigentlich gar keine Lust hat, früh um 4 Uhr aufzustehen, um rechtzeitig zur Morgendämmerung auf dem Flohmarkt zu sein. Aber was soll man machen? Nur der frühe Vogel fängt den Wurm. Das gilt besonders für Schallplattensammler, seit das Totenglöcklein für Vinyl verstummt ist und die schwarzen Scheiben für eine rasant wachsende Klientel zum Objekt der Begierde geworden sind.

Viele junge Leute sammeln heute wieder Platten

Früher kannte man die Vertreter der eigenen Spezies eigentlich alle beim Namen. Leute, die – von den CD-Jüngern mitleidig belächelt – in braunen Kartons unter den Flohmarkttischen nach musikalischen Schätzen wühlten. Heute schwärmen Heerscharen von flinken jungen Leuten aus, die in die Kisten hechten, wie andere ins Schwimmbecken, bevor sich der reifere Sammler mit dem schon etwas steifen Kreuz gebückt hat.

Die Vinyl-Jagd wird immer schwerer

Auch die privaten Flohmarkthändler sind hellhörig geworden und behalten nicht selten ihre Scheiben, seit sich herumgesprochen hat, dass Schallplatten „wieder was wert“ sind. Was natürlich nur für die wenigsten gilt. Kurzum, es wird immer schwieriger, Beute zu machen, wenn man Schallplatten liebt, auf Progressiven Rock, Blues, Bebop- oder Cool-Jazz aus den 60er oder 70er Jahren steht und sein Geld nicht bei professionellen Händlern mit überteuerten Preisen lassen will.

Private Pressungen sind äußerst rar

Schon früher kaum zu bekommen waren indes Produkte von einheimischen Bands, die zur Krönung ihrer meist nicht allzu langen Geschichte ein Plattenstudio aufgesucht hatten, um dort ihre musikalischen Ergüsse für die Ewigkeit festzuhalten. Meist blieb es nur bei einer Platte in geringer Stückzahl, die mangels eines professionellen Vertriebs hauptsächlich bei Konzerten feilgeboten wurde. Aber in 30 Jahren Jagd auf das Vinyl haben sich dann doch einige der regionalen Raritäten im Plattenschrank angesammelt.

Number Nine und Hokus Pokus

Denn es gibt doch erstaunlich viele dieser „not on lable“ bezeichneten Produktionen mit durchaus überraschenden und vielfältigen musikalischen Inhalten. Die immer noch aktiven regionalen Hardrocker der im Raum Würzburg/Schweinfurt beheimateten Band Number 9 verarbeiteten auf ihrer einzigen LP „Everybody's Crazy“ von 1990 nicht nur Eigenkompositionen, sondern auch eine interessante Coverversion von „Hokus Pokus“ der holländischen Band Focus mit den legendären Jodeleinlagen. Mut bewies auch die Bad Kissinger Jan Kaveh Band, die sich auf ihrer gleichnamigen Platte aus den 90ern sogar an Led Zeppelins „Whole Lotta Love“ wagte.

Ausgezeichneter Jazzrock vom Orchestra

Druckvollen Jazzrock mit einer ausgezeichneten Horn-Sektion spielte dagegen das nach dem Bassisten Hans Kokoschka benannte Kokoschka Hightown Orchestra. Die achtköpfige Band stammte aus der Würzburg-Ochsenfurter Gegend und brachte 1983 die Platte „Biwasee“ auf dem kleinen, aber feinen Aschaffenburger Lable „Ohrwurm Records“ heraus, das leider auch schon das Zeitliche gesegnet hat. Bei dieser Plattenfirma erschienen unter anderem auch die beiden LPs „No one won“ und „Good Time Roller“ der Southern Rockband Hot Lanta aus dem Aschaffenburger Raum, die Anfang der 80er Jahre häufig in Münnerstadt spielte, weil dort zwei Bandmitglieder zur Schule gingen.

Dürftige Informationslage im Netz

Die Informationslage über Bands wie die Würzburger Formation „Maulin Wurf“, besagte Jan Kaveh Band oder „Scrunch“ aus Kitzingen ist äußerst dürftig, lediglich über den 2012 verstorbenen Würzburger Künstler Hermann (Wolken)Geist finden sich einige Artikel und ein Wikipedia-Eintrag. Aber da spielen die LP „Regenbogen“ und die Single „Inka“ auch nur eine Nebenrolle. Ansonsten sucht man im Netz eher vergeblich nach Anhaltspunkten, die über die reinen Veröffentlichungen auf Diskografieforen wie Discogs hinausgehen. Die digitale Aufbereitung von Archivmaterial wie Bildern, Bandvorstellungen oder Zeitungskritiken von Auftritten aus den 70er und 80er Jahren wäre doch eine lohnende Aufgabe für Rockrentner und ehemalige Bandmitglieder – bevor das alles für immer verloren ist.

Telefonnummer auf der Coverrückseite

Als erstaunlich haltbar erweisen sich die guten, alten Festnetznummern. Auf manchen Coverrückseiten der vor über 30 Jahren erschienen Platten findet sich ein Telefonkontakt, über den man die Band einst für Auftritte buchen konnte. Bei manchen Nummern nimmt tatsächlich noch jemand den Hörer ab. Im Falle der ehemaligen Punk-Band „Iron Bügeleisen“ um die Raab-Brüder in Burkardroth (Lkr. Bad Kissingen) war es die Mutter der Ex-Punker. Der jetzt 47- jährige Marco Raab arbeitet heute als Regisseur und Kameramann in Berlin, sein Bruder ist Wirtschaftsberater in San Francisco. Auf 800 Exemplare war Single-EP mit vier Songs aus dem Jahre 1991 limitiert, die so anregende Titel, wie „Burn down your Weihnachtsbaum“enthält. Da möchte man doch gleich die Single „Hold on“ der Kitzinger Band „Black Honey“ aus den 80er Jahren auflegen. Bandmitglied Michael Röder juckt es mit seinen 56 Jahren gewaltig in den Fingern. Er und einige seiner Mitstreiten wollen bald wieder auftreten. Zwar wohl unter anderem Namen, aber auch mit den alten Black-Honey-Krachern.

Im Tonstudio in Mönchsondheim

Aufgenommen wurde die Black-Honey-Single von Manfred Radtke in dessen P.A.S. Audio Technik Studio in Mönchsondheim, das von 1980 bis 1993 existierte und nicht nur unter einheimischen Bands wie Terranova oder die schon erwähnten Scrunch und Wolkengeist einen guten Ruf genoss. Auch Vertreter der Volksmusik, wie Marianne und Michael nahmen bei ihm Platten auf. Kein billiges Vergnügen. Zwischen 400 und 500 D-Mark kostete laut Radtke die Tagesmiete für das Studio. Dauerten die Aufnahmen mehrere Wochen, wurde ein Paketpreis vereinbart. Radtke, der in der Band Shakers Five Gitarre spielte, war auch ein gefragter Mann am Mischpult bei Livauftritten anderer Gruppen. So sorgte er etwa bei der 1979er Bomber-Tournee der Heavy-Metal-Band Motörhead für den richtigen Sound.

Disco-Funk aus der Rhön

Tonstudios gab es in den 80er und 90er Jahren in Unterfranken übrigens eine ganze Menge, wie etwa in Bad Kissingen, Massbach, Großwenkheim, Wiesentheid, Röthlein und sogar in der Rhön. In Zeitlofs wurde 1983 das Disco-Funk-Album Snow Job der Band Double Jay TC aufgenommen, an der auch der Schweinfurt Jazz-Musiker Ed Sperber als Komponist und Musiker beteiligt war.

Inklusive Plattenpressung musste eine Band schon 6000 bis 8000 D-Mark locker machen, bevor die Scheibe dann endlich fertig war. Wobei es natürlich auch auf die „Verpackung“ ankam. Zu Preisen, die heute auch nicht viel anders anmuten. Das aktuelle Sommerschnäppchen-Angebot einer Wuppertaler Firma etwa für 250 LPs mit Innenhülle und Cover im Vierfarbdruck liegt bei rund 1800 Euro.

Reminiszenz an eine eine Band

Während die meisten Bands aus Kostengründen ihre Platten nur in ein relativ einfaches Cover und eine neutrale, ungefütterte Innenhülle steckten, gibt es von der Gruppe „Kid Murphy“ ein Werk, das nicht nur in Unterfranken seinesgleichen sucht. Fünf LPs umfasst die Kartonbox zu dem Album „Music Jail“, das darüber hinaus mit vielen Bildern und Infos über das Leben der zuletzt fünfköpfigen Band in ihrer Wohngemeinschaft in Bergtheim bei Würzburg ausgestattet ist. Aufgetaucht ist das Juwel übrigens vor einigen Jahren auf einem Flohmarkt in Knetzgau. Da durfte das Sammlerherz ausgiebig jubeln.

Tour durch die US-Clubs

Auf den fünf Platten, die auf dem Mini-Lable Out-Records erschienen, finden sich Livemitschnitte in hervorragender Soundqualität aus den Jahren 1978 bis 1983. Die Band mit ihren Eigenkompositionen und Coverversionen im Stil des progressiven Rocks war ein gefragter Gig in den Clubs der US-Soldaten in Süddeutschland. Eine Rechnung aus dem April 1983, die dem Album beiliegt, gewährt einen Einblick in die Verdienstmöglichkeiten von Gruppen wie Kid Murphy. Für 13 abendfüllende Konzerte gab es bei einem Dollarkurs von 2,50 D-Mark insgesamt eine Gage von 12 354,22 DM. Die Mitglieder von semi-professionellen Bands kauten schon ein hartes Brot in der guten alten Zeit.

Das tragische Ende

Als das von Thomas Roos produzierte Album – einem Mann aus dem Umfeld der Band – 1992 erschien, gab es die Band, die ein tragisches Schicksal ereilt hatte, schon lange nicht mehr. Bei einem Unfall mit dem Bandbus auf der B8 im Dezember 1983 auf der Heimreise von einem Konzert in Neu-Ulm starb Bandleader Edwin Zachler und mehre Musiker wurden schwer verletzt. Damit war die Karriere der Band jäh beendet, die kurz zuvor ein Nachwuchsfestival des Südfunk Stuttgart gewonnen und einen Schallplattenvertrag so gut wie in der Tasche hatte.

Tag der Vinyl-Schallplatte

Einer der vielen kuriosen Gedenktage im Jahreslauf: Den Tag der Vinyl-Schallplatte, 12. August, hat 2002 der US-Amerikaner Gary Freiberg ins Leben gerufen – um an die Erfindung des Phonographen im Jahr 1877 durch Thomas Edison zu erinnern. Um den Tag als offiziellen „Feiertag“ anerkennen zu lassen, wurde die gemeinnützige Organisation Vinyl Record Day gegründet. Mit dem Aufkommen der Audio-CDs in den 1990er Jahren war das Aus des Vinyls eigentlich beschlossene Sache, zumindest seitens der Musikindustrie. Was macht man am 12. August? Vinyl-Platten abspielen und den Erhalt der gepressten Platte als Kulturgut mit kunstvollen Covern und analogem Klang würdigen.
So klang die Region in den 1980er, 1990er: Raritäten von mainfränkischen Rockbands aus der Sammlung von Michael Petzold
Foto: Anand Anders | So klang die Region in den 1980er, 1990er: Raritäten von mainfränkischen Rockbands aus der Sammlung von Michael Petzold
 
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