Eine Schallplatte ist eine in der Regel kreisrunde und meistens schwarze Scheibe mit einem Mittelloch, deren beidseitige Rillen als analoge Tonträger für Schallsignale dienen.“ So emotionslos-nüchtern sieht es das Internet-Lexikon Wikipedia. Doch für viele, und die Anzahl wächst, ist es mehr – Musik zum Anfassen, zum Zelebrieren, zum Genießen. So auch für mich, quasi der musikalische Himmel auf Erden. Dieses tolle Gefühl, Seidenhandschuhe überzustreifen, eine 180-Gramm-Scheibe aus der Hülle zu holen, auf den Plattenteller zu legen, mit einem Gewicht zu beschweren, damit sie ja auch satt aufliegt, und den Plattenspieler anzuwerfen – das sinnliche Knistern, wenn die Nadel erste Berührungen mit den schwarzen Vinylrillen hat, und dann die Musik, die den Boxen entströmt. Höchster Musikgenuss, mit CD nicht zu erreichen und mit MP3 gleich gar nicht.
Natürlich habe ich etwas übertrieben, aber im Großen und Ganzen fühlt es sich schon so an. Wie anders ist es zu erklären, dass die Schallplatte boomt, in der Nische zwar, aber unübersehbar. Wenngleich totgesagt mit dem Auftreten der CD Anfang der 80er, war sie im High-End-Bereich immer präsent. Ebenso wie die zahlreichen Manufakturen, die in geringsten Stückzahlen Plattenrotoren und Tonabnehmer in höchster Präzision fertigten. Zu Preisen allerdings, für die man durchaus einen Mittelklassewagen (und besser) kaufen könnte.
Dass man mittlerweile in fast jedem Elektronikmarkt auf Plattenspieler der unteren Preiskategorie stößt, ist ebenso ein Zeichen für die Rückkehr des schwarzen Vinyls wie die unübersehbare Tatsache, dass fast jeder Musikalienhandel wieder Schallplatten in der Auslage hat. Und was für welche! Sensationell klingende Nachpressungen alter Ausgaben, von Bob Dylan über Elvis, Deep Purple, Wolfgang Ambros bis zu Led Zeppelin und vielen anderen, üppigst ausgestattet mit Booklet, Postern und anderen Gimmicks – und, das ist das Erstaunlichste, erstmals wieder viele Neuveröffentlichungen bekannter oder weniger bekannter Gruppen und Solokünstler. Praktischerweise liegt diesen oft noch ein Download-Code bei, damit man tragbare Spieler oder die Anlage im Auto mit seiner Musik befeuern kann.
Denn der Plattenspieler im Automobil (gab es wirklich, bei Chrysler) konnte sich nie so richtig durchsetzen.
Dennoch, höchsten Genuss beschert nur der Festakt an der heimischen Stereoanlage. Doch mit einfach Auflegen ist es nicht getan. Zuerst muss die Nadel gereinigt werden. Nein, nicht einfach mit dem Bürstchen. Dafür gibt es elektronische Nadelreiniger mit spezieller Flüssigkeit, in der die Nadel von allem Unrat befreit wird. Praktisch wie eine elektrische Zahnbürste für Plattennadeln. Und dann den Wischer sanft über die Rillen gleiten lassen, damit sich Dreck und elektrostatische Aufladungen aus dem Staub machen. Wer es richtig ernst meint mit dem Plattengenuss, steckt sein Vinyl in die Waschmaschine. Nicht in die heimische, zusammen mit der Buntwäsche, sondern in eine spezielle Plattenwaschmaschine, die ein- oder beidseitig reinigt und auch schon mal einen mittleren vierstelligen Betrag verschlingen kann.
Wer meint, jetzt sei es mal gut – mitnichten. In diesem Bereich lässt sich ein Aufwand betreiben, der sich mit der nach oben offenen Richterskala treffend beschreiben lässt und dem die eigenen finanziellen Möglichkeiten schnell Grenzen setzen. Aber man muss es ja nicht übertreiben, und so freue ich mich einfach, dass das gute alte Vinyl eine Renaissance erfährt. Ich muss allerdings eingestehen, dass ich – obwohl mit Vinyl aufgewachsen – damals über das Auftauchen der CD nicht unglücklich gewesen bin. Und nur noch seltenst eine Platte aufgelegt habe.
Doch der Boom, der vor ein paar Jahren langsam einsetzte, hat auch mich ergriffen, und ich bin fieberhaft dabei, all die LPs früherer Jahre wieder zu erstehen. Denn komischerweise habe ich die Cover nie vergessen, und als ich unlängst „Live Taste“ (Montreux, 1971) wieder in Händen halten konnte, war ich richtig glücklich. Auch meine erste LP werde ich nie vergessen – „The Jimi Hendrix Experience – Are You Experienced“. 15 Mark sollte sie damals, Ende der 60er, kosten, viel Geld für einen Schüler. Und so musste Oma etwas beisteuern. Was ich mir kaufen wollte, habe ich irgendwie umschrieben.
Denn der Gitarrenvirtuose genoss bei der älteren Generation nicht gerade den besten Ruf. An meine erste CD habe ich überhaupt keine Erinnerungen. Irgendwann waren halt die Regale voll. Heutzutage habe ich beide Ausgaben, die englische und die amerikanische. Unterschiedliche Cover, unterschiedliche Lieder, beste Pressung, höchster Musikgenuss in Mono. Auch die Beatles stehen in meinem Regal – „Live At The BBC“. In meiner Jugend unmöglich, denn die damalige Gretchenfrage lautete „Beatles oder Stones?“ Ich neigte eher Letzteren zu, heute stehen sie, in schwarzes Vinyl gepresst, friedlich nebeneinander.
Und ZZ Top erst, der Live-Mitschnitt aus der Grugahalle, Essen 1980! Die Nacht werde ich nie vergessen: Ich war bei Freunden in der Wohnung, alle waren schon im Bett, die Texaner ließen die Sau raus – und ich konnte in der fremden Wohnung nicht aufdrehen! Das kann ich jetzt nachholen.
Doch nicht nur die musikalischen Helden meiner Jugend halten wieder Einzug in meine Plattensammlung, sondern auch aktuelle Veröffentlichungen alter und neuer Blueshaudegen oder experimentelle Klangkompositionen französischer Avantgardisten, die erst auf Platte die Wucht ihrer Werke so richtig rüberbringen.
Ich hoffe, der Schallplatte ist noch ein langes Leben beschert. Nicht nur wegen der exzellenten Musikqualität, sondern auch, weil man mit ungefähr Gleichaltrigen herrlich vom Hier und Jetzt in die Vergangenheit abdriften, trefflich über Sinn und Unsinn der Schallplatte diskutieren kann. So habe ich unlängst eine weltweit limitierte Ausgabe aller sechs Doors-Alben erworben – sie nennt sich „Infinite“, wiegt fast sechs Kilo (zwölf Scheiben, die als audiophile LPs mit 45 U/min abgespielt werden müssen) und ist laut Toningenieur Bruce Botnick (der war schon damals für den Sound der Doors zuständig) „das Beste, was jemals abgemischt wurde“. Wie es klingt? Ich weiß es (noch) nicht, ich habe zu viel Angst, ich könnte beim Abspielen was kaputt machen . . .
Von Thomas Alva Edison bis zur Vinyl-Renaissance des 21. Jahrhunderts
Die Ursprünge der Schallplatte liegen bei Thomas Alva Edison, der 1877 mit seinem Phonographen weltberühmt wurde. Allerdings hantierte man damals mit Wachswalzen, die etwas umständlich in der Handhabung waren. Der amerikanische Physiker Charles Sumner Tainter entdeckte dann 1880, dass es praktischer wäre, die Schallinformationen einer Scheibe einzugravieren – die Grundidee der Schallplatte war geboren. Der deutsch-amerikanische Tüftler Emil Berliner war es, der ab dem Jahr 1887 der Schallplatte zum Durchbruch verhalf. Er erfand die Masterplatte, von der man (fast) beliebig viele Abzüge herstellen konnte. Die Qualität ließ allerdings noch zu wünschen übrig – den Scheiben waren Zettel beigelegt, auf denen man nachlesen konnte, was das Grammofon (mit Handkurbelbetrieb) eigentlich abspielte. Erst die Erfindung der Schellackplatte und die Ausstattung des Grammofons mit Federantrieb verhalfen dem Unterhaltungsprodukt zum Durchbruch. Und 1898 gingen über 700 000 Schellackplatten über den Ladentisch. Es folgten die üblichen Schwierigkeiten: Konkurrenten, Neider, juristische Auseinandersetzung, verschiedene Systeme und, und, und.
Letztendlich setzte sich die Schellackplatte mit einer Abspielgeschwindigkeit von 78 U/min durch. Die Spezialnadel (so um 1914) sollte nach jedem Abspielen ausgetauscht werden – eine Maßnahme, die so manchem High-Ender auch heutzutage sicher gefallen würde. 1930 kamen die ersten Vinylscheiben auf den Markt – viel zu früh, es fehlten passende Abspielgeräte. Erst die Verknappung von Schellack im Zweiten Weltkrieg verhalf Vinyl zum Siegeszug. 331/3 Umdrehungen pro Minute und 45 U/min als Geschwindigkeiten setzten sich durch, und 1960 hatte die Schellackplatte ausgedient. Ab Mitte der 80er Jahre setzte dann der Siegeszug der Audio-CD ein. Die Verkäufe von Vinyl gingen in Deutschland konstant zurück: von 71 Millionen (1984) auf 600 000 in den Jahren 2002 und 2002. Erst 2011 zogen die Verkäufe wieder an – auf 700 000, eine Million, 1,4 Millionen und 1,7 Millionen Scheiben in 2014. Parallel dazu verringerte sich der Absatz der CD von knapp 153 Millionen (1993) auf 87 Millionen in 2014. Dass der Vinyl-Boom ungebrochen ist, belegt eine Meldung aus der September-Ausgabe der Zeitschrift „Stereo“: Vinyl plus 33 Prozent, Gesamtanteil am Musikmarkt drei Prozent.