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Bischofsheim
Über Bremen, Weimar und Leipzig nach Bischofsheim: Was Amel Kemmerich am Leben in der Rhön besonders schätzt
Neubürger im Landkreis Rhön-Grabfeld: Sich einbringen, mitmachen und auf Menschen zugehen –Amel Kemmerich über ihre Strategie, in Bischofsheim heimisch zu werden.
Amel Kemmerich engagiert sich in vielfältiger Weise in ihrer neuen Heimat. 
Foto: Anand Anders | Amel Kemmerich engagiert sich in vielfältiger Weise in ihrer neuen Heimat. 
Leander Härter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:06 Uhr

Amel Kemmerich (37), Mediendesignerin, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, bringt viel Schwung nach Bischofsheim und hat sich gut eingelebt

Frage: Hallo Amel, wie lebt es sich in Bischofsheim?

Amel Kemmerich: Sehr gut! Bischofsheim und Umgebung bieten für uns eine hohe Lebensqualität. Gutes Handwerk wird hier großgeschrieben; das merkt man beim Bäcker, Metzger, im Restaurant und Café. Unsere Freunde, die uns häufig aus verschiedenen Großstädten besuchen, genießen mit uns die Natur und gute Luft. So etwas weiß man insbesondere jetzt, wo die meisten von uns Kinder bekommen haben, zu schätzen. Wir haben vorher in verschiedenen größeren Städten gelebt, zuletzt in Leipzig. Das war auch toll, aber anders.

Jetzt machst Du mich neugierig. Wie war es in Leipzig?

Amel: In Leipzig haben wir mit Freunden ein großes Wohnhaus von Grund auf saniert. Mein Mann war als freischaffender Künstler und Bildhauer aktiv, ich hatte mein Masterstudium absolviert und war freiberuflich unterwegs. Wir waren individuell und als Team kulturell engagiert. Erst in Bremen, dann in Weimar und schließlich in Leipzig. Wir liebten es, subkulturelle Veranstaltungen, Ausstellungen und Konzerte auf die Beine zu stellen. Ich wollte meine Selbstständigkeit ausbauen und eine Agentur gründen, die unser kreatives Netzwerk zusammenbringen sollte. Das war schon sehr weit gediehen, mit Förderungen, Gesprächen mit Banken und Raumbesichtigungen. Mein Mann wollte sich mit Kolleginnen und Kollegen eine große Halle für Bildhauerei mieten.

Und dann?

Amel: Ich wurde schwanger (lächelt). Wir hatten uns das schon länger gewünscht. Aber jetzt standen wir vor der Situation, dass wir beide freischaffend waren und wir uns Gedanken über Planungssicherheiten machen mussten. Zufällig war es so, dass mein Mann vorher temporär als Lehrer an der Berufsfachschule für Holzbildhauer in Bischofsheim beschäftigt war und das Angebot bekam, dort dauerhaft zu unterrichten. Ich war am Tag der offenen Tür dabei und war ganz angetan vom Ort und den Menschen, denen wir begegneten. Wir konnten uns auch schon immer ein Leben auf dem Land vorstellen. Und gerade für die Zeit der Schwangerschaft und später als Familie waren wir auf der Suche nach einem sicheren Nest, mit viel Platz, in der Natur.

Wie war Dein Start hier?

Amel: Grau, trüb, Nebelsuppe. Ich kam im Herbst 2016 an. Das ist nicht die beste Jahreszeit, um in der Rhön zu starten. Ich hatte auch kaum Anknüpfungspunkte. Die ersten Kontakte konnte ich während des Schwangerschaftsvorbereitungskurses in Oberwaldbehrungen knüpfen. Besser wurde das erst, als unser Sohn Anfang 2017 geboren wurde.

War es schwierig, Kontakte zu knüpfen?

Amel: Nein, überhaupt nicht. Ich war es schon immer gewohnt, mich in neue Umgebungen einzufinden. Mit drei Jahren sind meine Eltern aus Algerien mit mir nach Deutschland gezogen. Da habe ich dann, bis ich 17 Jahre alt war, in einem sogenannten sozial benachteiligten Stadtteil in Bremerhaven gewohnt. Meinen Eltern ist es aber immer gelungen, mir Möglichkeiten zu bieten, vor allem über Vereine: Ich bin geschwommen, habe Musik- und Kunstprojekte besucht, war lang in der DLRG. Dadurch habe ich viel Förderung erfahren, die von ganz unterschiedlichen Menschen kam. Ich wurde in Fähigkeiten bestärkt und habe meinen eigenen Weg finden können. Diese Erfahrungen haben mir in Bischofsheim sehr geholfen. Ich habe gewusst, wie wichtig es ist, sich einzubringen, mitzumachen und auf Menschen zuzugehen. Dazu kam, dass die Menschen in Bischofsheim mir immer sehr offen und herzlich begegnet sind.

Und jetzt?

Amel: Jetzt bin ich in mehreren Vereinen aktiv, singe im Chor "Solala", bin im Vorstand des Trägervereins unserer Kita und Krippe, war davor im Elternbeirat und engagiere mich bei Festen und Veranstaltungen. Ich habe gemerkt, dass hier die Wege sehr kurz sind. Für die Dinge des täglichen Bedarfs und auch zwischenmenschlich. Man hilft und unterstützt sich ganz selbstverständlich. Der Bürgermeister ist unbürokratisch zu sprechen. Die Hierarchien sind flach. Das macht es sehr einfach, in Aktion zu treten. Das ist eine große Chance für kreativ Schaffende, denn hier können wir Ideen schneller umsetzen, finden Hilfe und drehen uns nicht nur um unseren eigenen Kosmos, wie in Kultur- und Kunstszenen größerer Städte. Es wird nicht ewig diskutiert, sondern es heißt "dann mach halt!". Das spornt mich an und gibt mir das Gefühl, willkommen und wertgeschätzt zu sein. Hier zählt, was ich schaffe, ganz direkt.

Das hört sich ja fast zu schön an, um wahr zu sein. Gibt es auch etwas, das nicht so klappt?

Amel: Wir sind schon auch mit der Mentalität "Das haben wir schon immer so gemacht" konfrontiert. Dass sich die Menschen, auch jüngere, neuen Herangehensweisen verschließen. Darunter leidet das kulturelle Angebot für Jung und Alt. Bars, Musikclubs, aber auch Theater und Freizeitbildungsangebote fehlen. Bischofsheim hat großen Zuwachs erhalten, es gibt mehr Familien, Singles und Paare, die sich hier ihren Wohntraum erfüllen und beispielsweise aus dem Homeoffice für Firmen in den Großstädten der Umgebung arbeiten. Um diese Defizite zu reduzieren, die Lebensqualität von uns und unserem Nachwuchs zu erhöhen, arbeite ich gerade mit einem breit aufgestellten Team an der Gründung eines Kulturvereins. Wir wollen uns für eine Begegnungsstätte engagieren, wo Menschen unterschiedlicher Alters- und Interessengruppen Platz für soziales und kulturelles Leben, Bildung, Erholung und modernes Arbeiten finden. Das ist natürlich gemeinnützig, aber auch eigennützig. Das Schöne an der Arbeit im Verein.

Wie hast du dich hier beruflich entwickelt?

Amel: Ich nutze die Möglichkeiten, die mir die Arbeit im Homeoffice bietet. Als Freiberuflerin arbeite ich deutschlandweit für Firmen und Institutionen. Mehrmals im Jahr bin ich als Dozentin an der Bauhaus-Universität Weimar für visuelle Präsentation und Grundlagen der Gestaltung beschäftigt. So komme ich mit meiner Rolle als Mutter und meiner Berufung sehr gut zurecht.

Und wie geht es mit Euch weiter?

Amel: Uns geht es wie vielen jungen Familien hier, wir suchen den richtigen Platz, um Wurzeln zu schlagen. Wir haben zwar das Haus kaufen können, in das wir 2016 eingezogen sind. Aber das liegt an einer viel befahrenen Straße und ist inzwischen zu klein. Seit 2020 sind wir zu viert und brauchen ein zu Hause mit Platz drumherum für die bildhauerische Arbeit meines Mannes. Wie andere merken wir, dass der Wohnungsmarkt straff ist. Das gilt für Mietwohnungen genauso wie für das Eigenheim. Wir möchten aber sehr gern in der Gegend bleiben, weil es uns gut gefällt, sich unsere Kinder pudelwohl fühlen und die Rhön unsere neue Heimat geworden ist.

 
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