Saila Grav, Jahrgang 1974, geboren und aufgewachsen in Finnland, lebt seit 19 Jahren in Bad Königshofen und empfiehlt den Besuch der Bibliothek Oodi in Helsinki.
Saila Grav: Oh, das sind schon einige. Seit vielen Jahren gibt es einen engen Austausch zwischen mehreren Familien mit gegenseitigen Besuchen. Meine Tante und mein Onkel waren an diesem Austausch auch beteiligt. Nach dem Tod meines Onkels haben meine Eltern mit meiner Tante diese Tradition übernommen und ich bin mit ihnen nach Bad Königshofen gekommen. Heutzutage sind es viel mehr, weil es einen Schüleraustausch zwischen dem Gymnasium und einer Schule Kangasala gibt.
Grav: Ich war 15. Wir waren bei einer Familie untergebracht und wurden immer wieder von anderen zum Essen oder Feiern eingeladen. Es war sehr schön. Ich glaube, dass ich meinen Mann damals auch auf dem Marktplatz am Brunnen gesehen habe. Er kann sich aber nicht erinnern.
Grav: Ich kam später noch einmal nach Bad Königshofen zurück und habe meinen Mann getroffen. Wir sind dann im Kontakt geblieben. Nach meinem Studium in Tampere kam er für zwei Jahre nach Helsinki und hat Finnisch gelernt. Ich habe in dieser Zeit für einen großen Handelskonzern gearbeitet. Dann wurde ich mit unserer ersten Tochter schwanger.
Grav: Ja, die Frage war, wo wir in Zukunft leben möchten. Wir haben uns für Bad Königshofen entschieden.
Grav: Wir hätten uns in Helsinki eine neue Wohnung suchen müssen. Unsere alte Wohnung war zwar sehr schön, aber ich hatte 45 Minuten Fahrzeit zur Arbeit und für eine Familie mit Kind war die Wohnung nicht geeignet. Ganz wichtig für uns war die Regelung in Finnland, dass Eltern bis zu drei Jahre nach der Geburt zu Hause bleiben können und danach auch in einer ähnlichen Stelle in der alten Firma wieder einsteigen können. Dadurch hatte ich die Freiheit, in dieser Zeit etwas auszuprobieren. Dazu kam, dass mein Mann von seinem Vater das Angebot hatte, im elterlichen Betrieb einzusteigen. Wir hatten also die Chance, etwas für längere Zeit auszuprobieren und sind gemeinsam nach Bad Königshofen gezogen.
Grav: Sehr gut! Am Anfang war Bad Königshofen ein Überraschungsei für mich. Ich war zwar öfters hier, aber es ist schon etwas anderes, wenn man dauerhaft an einem Ort lebt. Ich habe sehr zu schätzen gelernt, wie nah hier alles beieinander liegt. Viele Dinge kann ich fußläufig oder mit dem Fahrrad erledigen. Ich wurde in der Familie meines Mannes sehr herzlich aufgenommen. Es hat etwas gedauert, andere Freundschaften zu schließen, weil ich durch die Kinderbetreuung nicht gearbeitet hatte und mir so das Arbeitsumfeld gefehlt hat.
Grav: Ja, wir haben noch zwei Kinder bekommen und so habe ich über den Kindergarten und die Schule viele Menschen kennengelernt. Ich war in verschiedenen Elternbeiräten, bin im Elternbeirat im Gymnasium, habe das Angebot der VHS genutzt und bin seit 15 Jahren im Weihnachtsaktion „Kinderwünsche“ aktiv. Seitdem ich im Geschäft meines Mannes arbeite, habe ich auch viel Kontakt zu unseren Kunden und Mitarbeitern.
Grav: Ja!
Grav: Ich bin regelmäßig dort und besuche meine Familie und Freunde. Auch unsere Kinder waren sehr häufig dabei.
Grav: Wir wollten, dass die Kinder auch meine Heimat und ihre finnischen Wurzeln kennen. Sie sollten die Chance haben, zweisprachig aufzuwachsen. Wir haben deshalb immer längere Ferien in Finnland gemacht, teilweise waren unsere Kinder im Sommer auch dort in der Schule und haben ganz normal am Unterricht teilgenommen. Dort wurden sie sehr gut aufgenommen und sie gehören auch dazu. In Finnland hatten die Kinder auch mehr Freiheiten, konnten sich mehr alleine bewegen.
Grav: Wir haben auch den Eindruck, dass den Kindern das Aufwachsen an zwei unterschiedlichen Orten guttut. Sie sind in Finnland nicht nur mit einer anderen Sprache konfrontiert, sondern sie müssen sich auch auf andere Menschen und Situationen einlassen, sich in einem anderen Umfeld einfinden. Wir hatten schon häufig das Gefühl, dass sich nach einem Aufenthalt dort einen richtigen Schub in ihrer Entwicklung gemacht haben. Sie haben sich auch mit anderen Fremdsprachen leichter getan. Vielleicht liegt es daran, dass sie von Anfang an mit zwei Sprachen aufgewachsen sind.
Grav: Zunächst eigentlich gar nicht so viel. Der Tagesrhythmus ist sehr ähnlich. Wir essen zu ähnlichen Zeiten, viele Einstellungen sind ähnlich. In Finnland war die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor 20 Jahren schon sehr gut. Da hat sich in Deutschland in den letzten Jahren sehr viel getan. Was mir auffällt ist, dass in Finnland eine größere Gelassenheit im Umgang miteinander herrscht. In der Schule wird alles dafür getan, dass jeder Schüler mitkommt. An der Universität ist es ähnlich. Prüfungen, die zum "Aussieben" gestellt werden, gibt es so nicht. Und auch in der Politik spielt der Konsens eine größere Rolle.
Grav: Als wir noch in Helsinki waren, war ich im Management einer großen Firma, habe auch an Sitzungen mit der Geschäftsführung teilgenommen. Ich hätte dort die Möglichkeit gehabt, noch weiter aufzusteigen. Mit der Entscheidung Kinder zu bekommen und dem Umzug nach Bad Königshofen war aber erst mal klar, dass die Kinder Vorzug bekommen. Jetzt bin ich voll in unser Unternehmen eingebunden, arbeite Vollzeit. Mein Mann und ich haben unsere Tätigkeit nach unseren Schwächen und Stärken aufgeteilt und ergänzen uns so. Meine jetzige Arbeit hat mit meinem Studium oder meiner ersten Arbeitsstelle wenig zu tun. Das ist aber auch ok so und wäre wohl bei einer Karriere in Helsinki nicht anders gewesen. Ich fühle mich sehr gut mit meiner Arbeit.
Grav: Zieht es Dich irgendwann zurück? Da haben wir uns noch keine Gedanken gemacht. Wir leben gerade unseren Traum und sind hier glücklich. Bad Königshofen war nie einfach nur ein Lebensabschnitt. Ich bin gekommen, um zu bleiben.