Die Franz-Senn-Hütte auf 2147 Metern Höhe in den Stubaier Alpen in der Nacht zum Samstag, 23. Juli: Es tobt ein Unwetter mit heftigem Wind, Starkregen und Hagel. Unter den 120 Bergwanderern in der Hütte sind Roland Hahn, der für die DJK Unter-/Oberebersbach die Wanderung leitet, Thomas Schmitt, Markus Dünisch, Kristina Greb (alle aus Ober- und Unterebersbach), Niederlauers Bürgermeister Holger Schmitt und Johanna Greb aus Burglauer. Die sechs Freunde fühlen sich in der trockenen Hütte gut vor dem Unwetter geschützt und ahnen nichts von der außergewöhnlichen Rettungsaktion, die sie am nächsten Tag erleben werden.
"Unsere Wetterapp hat schon am Freitag nichts Gutes verraten. Ab Samstag um 11 Uhr sollte es 28 Liter Regen geben, außerdem Donner und Blitz. Deshalb haben wir am Freitagabend schon umgeplant und uns entschieden, statt einer größeren Tour auch noch die Nacht von Samstag auf Sonntag in der Franz-Senn Hütte zu bleiben und dann erst ins Tal abzusteigen", erinnert sich Roland Hahn, der 35 Jahre Erfahrung im Bergwandern hat und seit elf Jahren die Hüttentouren der DJK leitet.
Das Unwetter kam früher als gedacht in die Stubaier Alpen
Mit dem Unwetter ging es dann aber doch schneller als gedacht. "Es kam schon in der Nacht auf Samstag, also viel früher als angekündigt. Ich bin aufgewacht, weil es so gestürmt hat", erzählt Holger Schmitt. In der Hütte ist das aber erst einmal uninteressant für die Wanderer. "Es stand ja schon fest, dass die eigentlich geplante große siebenstündige Tour nicht möglich sein würde", sagt Roland Hahn.
Am nächsten Morgen erfahren die Freunde, dass für das Gebiet der Katastrophenalarm ausgelöst worden war. Ein Zettel auf dem Frühstückstisch ruft dazu auf, die Hütte nicht zu verlassen, da der Weg zum Tal und auch der Höhenweg zur nächsten Hütte komplett weggerissen waren. Gegen Mittag die nächste Information: Alle 120 Wanderer sollen innerhalb von zwei Tagen von der Hütte evakuiert werden. Wer schnell ist, wird ab 12 Uhr ins Tal ausgeflogen. Weil die Rhöner sich fit genug fühlen, steigen sie in Absprache mit der Bergwacht noch rund 500 Meter mit ihrem Gepäck hinunter bis zu einem großen Parkplatz. Von dort sollen die Polizeihubschrauber sie ins Tal bringen.
Wanderer aus der Rhön werden evakuiert
"Wir waren guten Mutes, dass wir das schaffen, es war keine gefährliche Stelle dabei. Von dort war die Flugstrecke kürzer und die Hubschrauber konnten besser landen", berichtet Roland Hahn. Die Wanderer aus Rhön-Grabfeld kommen als letzte Gruppe an – etwa 30 Personen warten bereits am Parkplatz – und müssen sich deshalb etwas gedulden. "Aber wir waren froh, dass wir wegkommen von der Hütte, da spielt Zeit keine Rolle", so Hahn.
Thomas Gundalach und Michael Hahn schmieden Notfallplan
Rund zehn Minuten dauert der Flug nach Neustift ins Tal. Keiner der Wanderer von der Hütte weiß wirklich, was unten los ist. Es hat Geröll- und Murenabgänge gegeben, die einiges weggerissen haben, das ganze Tal steht unter Schock, heißt es. Doch Roland Hahns Auto wartet unbeschädigt am Gemeindezentrum in Neustift. Auch Holger Schmitts Wagen am Startpunkt der Tour, dem Hüttenparkplatz der Neuen Regensburger Hütte, ist noch heil. "Ich hatte mein Auto relativ nah an einem Bach stehen, direkt an der Böschung, da macht man sich schon seine Gedanken", gibt Schmitt zu.
Doch auch wenn die Autos beschädigt gewesen wären, hätte es eine Lösung gegeben. Die Wanderfreunde Thomas Gundalach und Michael Hahn, die kurzfristig nicht zur Tour mitkommen konnten, hatten zuhause schon Pläne für den Notfall geschmiedet. "Sie haben in der WhatsApp-Gruppe mitbekommen, was los ist. Wenn unsere Autos nicht mehr fahrbereit gewesen oder das Tal gesperrt wäre, hätten sie uns abgeholt. Das war aber dann ja nicht nötig und so sind wir direkt nach Hause gefahren", erinnert sich Hahn. "Die Frauen wollten einfach nur raus aus dem Tal."
Roland Hahn hatte keine Angst
Holger Schmitt vermutet, dass sich die Daheimgebliebenen mehr Sorgen gemacht haben als die Wanderer selbst. "Meine Partnerin, die bei anderen Touren oft mitwandert, hat jedenfalls im Nachhinein gesagt, dass sie nicht weiß, ob sie das nächste Mal noch mitläuft. Wir vor Ort konnten die Lage besser einschätzen und haben unsere Familien zuhause auf dem Laufenden gehalten. Auch darüber, dass wir statt wie geplant am Sonntag einen Tag früher heim kommen", sagt Schmitt.
Wie denkt Roland Hahn, der eine solche Evakuierung noch nie erlebt hat, einige Tage nach der Tour über die Rettungsaktion? "Sie wird in Erinnerung bleiben, aber so dramatisch war es aus meiner Sicht nicht. Ich habe mir selbst gesagt: 'Die wissen, was sie machen'. Angst hatte ich keine, wir haben uns in keiner Weise einer Gefahr ausgesetzt gefühlt. Es ist ja auch alles gut ausgegangen. Und so war es mir lieber, als irgendwo gar nicht wegzukommen", meint der Wanderführer. Er startete übrigens am Donnerstag nach der Rettungsaktion schon mit einer anderen Gruppe zur nächsten Tour – diesmal ins Allgäu.