Rekrutierung neuer Lehrkräfte trotz Lehrermangels, nach einem Pandemie-Jahr, in dem die Nachfrage nach Ersatzlehrkräften sowieso höher war als sonst: Diese Aufgabe stellt aktuell Bayerns Kultusministerium den Schulleitern. Weil das laufende Schuljahr laut Ministerium "von den Auswirkungen der Pandemie noch stärker geprägt war als das vorausgehende" und "Distanzunterricht eher die Regel als die Ausnahme" war, hält Minister Michael Piazolo (FW) Defizite bei Schülern für wahrscheinlich. Er setzt deshalb auf zusätzliche Förderung nach den Pfingstferien sowie in den Sommerferien.
Die Finanzierung von "externem Personal", etwa für die zweiwöchigen Brückenkurse während der Sommerferien, übernimmt das Ministerium. Um die Lehrkräfte dafür sollen sich die Schulleiter kümmern: "Wir bitten Sie, bereits jetzt innerhalb geeigneter Personengruppen zu sondieren, wer für einen Einsatz zur Verfügung stehen könnte", heißt es in einem Schreiben des Ministeriums vom Mai an alle staatlichen Schulen.
Lehrerstunden: Fürs nächste Schuljahr Kürzungen geplant
Tomi Neckov, der Leiter der Frieden-Mittelschule in Schweinfurt und Vizepräsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV), hält die Vorgabe für kaum realisierbar: "Uns gehen gerade definitiv die Lehrer aus." Aktuell sei die Versorgung gerade von Grund-, Mittel- und Förderschulen so prekär, dass das Ministerium für das kommende Schuljahr schon Kürzungen bei Lehrerstunden vor allem im Ganztagsbereich, bei Deutsch-Vorkursen sowie Randfächern wie Musik, Kunst und Sport angekündigt habe. "Und in der Situation sollen wir dann noch Personal reinholen! So etwas Heftiges hatten wir noch nie!", sagt Neckov. Er bezweifelt, dass er "qualifizierte Lehrer möglichst mit Staatsexamen und Unterrichtserfahrung" etwa für die zweiwöchigen Sommerkurse findet: "Wer qualifiziert ist, der hat schon einen Job."
Dass Lehrkräfte, die qualifiziert wären für die Brückenkurse, wohl alle schon vergeben sind, das sieht auch Robert Jäger so. Er leitet das Martin-Pollich-Gymnasium, das "nördlichste Gymnasium in ganz Bayern". Lagebedingt sei bei ihm im abgelegenen Mellrichstadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) auch schon vor der Pandemie die Lehrerversorgung schwierig gewesen, sagt der Schulleiter: "Wenn ich in den letzten Jahren dringend eine Krankheitsvertretung gebraucht hätte, habe ich die auch nie gekriegt." In Studentenstädten sei das sicher leichter, vermutet Jäger: "Aber dass dann einer für ein paar Wochen zu uns in die Rhön hochkommt, das kenne ich nicht."
Ministerium schaltet Portal für "Aushilfsnehmer" frei
Jäger setzt auf das gerade freigeschaltete Lehrkräfte-Portal, bei dem sich die vom Ministerium als "Aushilfsnehmer“ bezeichneten Ersatzlehrer bewerben können. Zum anderen will der Mellrichstädter Schulleiter versuchen, engagierte Eltern zu mobilisieren - bei der Suche nach Ersatzlehrkräften und vielleicht als Ersatzlehrkräfte selbst. "Auch werde ich die Kollegen bitten, ein paar Stunden zu übernehmen." Er sei sich gleichwohl bewusst, dass viele seiner Lehrkräfte nach dem harten Corona-Jahr erschöpft und urlaubsreif seien. Die Hälfte seiner Lehrkräfte arbeite aus gutem Grund in Teilzeit, sagt Jäger. Und sie hätten in den vergangenen Monaten nicht nur Unterricht gehalten, sondern auch die eigenen Kinder im Homeoffice betreut.
Wie groß ist die Nachfrage für das Nachholangebot?
Vor der Anwerbung von Ersatzlehrkräften muss aber erst einmal klar sein, wie viele Schüler das Sommer-Angebot überhaupt nutzen wollen. "Diejenigen Kinder, die gut gelernt haben, brauchen es nicht. Und diejenigen, die überhaupt nicht zurecht kamen, werden das Angebot eher nicht nachfragen", mutmaßt der Mellrichstädter Schulleiter. Er will den Bedarf jetzt schnell mit den Eltern klären.
Über einem Schreiben an die Eltern sitzt auch Dieter Schanzer, der Leiter der David-Schuster-Realschule in Würzburg. In der Uni-Stadt finde er vermutlich Lehramtsstudierende höherer Semester, die Interesse an einem Ersatzlehrervertrag haben, sagt Schanzer. Die erste Bewerbung einer Studentin habe er bereits erhalten. Was er aktuell noch nicht einschätzen könne, sei der Bedarf an Förderung. Den sollen die Lernstandserhebungen zeigen.
Auf Schüler warten unbenotete Lernstandserhebungen in drei Hauptfächern
Die zeitnahe Ermittlung des Lernstandes ist ebenfalls eine Vorgabe des Kultusministeriums: "An allen Schulen ist es erforderlich, den Lernstand jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers in den Fächern Deutsch, Mathematik und 1. Fremdsprache (an weiterführenden Schulen) systematisch zu erheben, zu beschreiben und schulintern Folgerungen für die weitere Förderung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen zu ziehen." Dass diese Erhebungen nicht in die Endnote der Kinder eingehen, ist aus Schulleitersicht nicht ganz unproblematisch. Gerade bei guten Ergebnisse würden wohl "einige Eltern anrufen, um sich zu beschweren, dass diese Tests für die Endnote nicht gewertet werden", befürchtet ein Rektor.
Zeugnisnoten trotz weniger schriftlicher Leistungen
Aus den wenigen schriftlichen Noten des Lockdown-Jahres ein valides Endzeugnis zu basteln, ist eine weitere Herausforderung für die Lehrkräfte. Schriftliche Prüfungen in ausreichender Zahl konnten nur die Schüler der Abschlussklassen schreiben, die nach rund sieben Lockdown-Wochen im Februar als erste wieder zurück in die Schulen geholt wurden. Gerade in den Klassen 5 bis 9, die je nach Inzidenz teilweise monatelang im Distanzunterricht waren, fehlen den Schulleitern zufolge viele schriftliche Leistungsnachweise.
Zwar sollen laut Ministerium im laufenden Schuljahr keine Schulaufgaben mehr geschrieben werden. Doch bei Schülern mit mangelhaften oder ungenügenden Endnoten werde vermutlich nochmals mündlich geprüft: "Die Klassenkonferenzen zum Schuljahresende haben dann mehr Verantwortung denn je", sagt Realschulleiter Schanzer. "Sie müssen aufgrund nur weniger Leistungsnachweise dann entscheiden, ob ein Schüler weiterkommt oder nicht."
Die wenigsten Lehrkräfte dürfen während Corona auf ihre regulären Wochenstunden gekommen sein!
Ist im Gegenzug auch eine Ferien-Verlängerung für Lehrkräfte vorgesehen, die weit über ihr Stundendeputat hinaus zu arbeiten hatten? Von denen soll es gar nicht so wenige geben...