Ihnen gehört die Zukunft. Aber die sollte sich anders gestalten als die Gegenwart. Die jungen Lehrer in Bayern mahnen Änderungen an. „Wir brauchen keine leeren Wahlversprechungen, plumpe Ausreden und unnütze Statistiken“, heißt es in einer Pressemitteilung des „Jungen BLLV.“ Stattdessen fordern sie eine ehrliche Diskussion über die Probleme und Chancen.
Katharina Flammer und Luisa Tischler vertreten den „Jungen BLLV“ im Kreis Kitzingen. Beide sind 29 Jahre jung, beide haben einen kritischen Blick auf die Rahmenbedingungen. „Der Lehrermangel ist das größte Thema“, meint Tischler. Sie war zuerst in einer Mittelschule eingesetzt, jetzt arbeitet sie an der Iphöfer Grundschule. „Ich liebe meinen Job“, sagt sie. „Aber es muss sich was verändern.“ Das Dilemma beginne schon an der Uni. „Auf den Beruf wird man dort noch zu wenig praxisorientiert vorbereitet“, bedauert Tischler. Die Praxis sieht nun mal ganz anders aus als die Theorie. Und dann wird man von einem auf den anderen Tag ins kalte Wasser geworfen.
Besonders zu knabbern haben die derzeitigen Seminaristen unter den aktuellen Corona-Maßnahmen. Denen fehlten essenzielle Praxiserfahrungen. Zum Teil konnten in den letzten Monaten nur Kernfächer unterrichtet werden. Dies berge Nachteile für die Prüfungsvorbereitung der restlichen Fächer, warnt Tischler. Homeschooling hat grundsätzlich von allen mehr abverlangt als das Unterrichten mit entsprechender Vor- und Nachbereitung. Was wiederum viel Zeit kostet, die im Referendariat ohnehin ein rares Gut ist. Dass die Prüfungen nur in der Theorie stattfinden sollen, habe für eine Menge Unmut gesorgt. „Wie sollen denn da das Classroom-Management und vor allem die Lehrerpersönlichkeit beurteilt werden, die gerade an Grund- und Mittelschule von immenser Wichtigkeit sind?“, fragt sie.
Luisa Tischer prognostiziert großen Frust, wenn im September das erste Schuljahr für die jetzigen Referendare beginnt. Dann müssten sie quasi aus dem Stand 28 Stunden unterrichten. „Mit Vor- und Nachbereitung ist man auch ohne Corona-Problematik locker bei 50 Stunden und mehr“, weiß Katharina Flammer aus Erfahrung. Andere Herausforderungen kommen hinzu. Beispiel Inklusion. Kinder mit Behinderungen sollen in den Regelunterricht eingebunden werden. An und für sich eine gute Idee. „Aber dafür brauchen wir mehr Personal, um zum Beispiel Schulbegleiter oder Team-Teaching zu ermöglichen“, fordert die 29-Jährige.
Katharina Flammer ist momentan in Elternzeit. Während des Studiums hat sie ein Semester in Schweden verbracht. Die Arbeitsbedingungen für Lehrer sind dort besser, manches wäre problemlos auf Deutschland übertragbar. 50 Wochenstunden und mehr sind während den Schulzeiten normal. „Lehrer nehmen die ganze Arbeit mit nach Hause“, sagt Flammer. Nicht selten wird bis in den Abend hinein korrigiert. Die Kommunikation mit den Eltern findet generell im Privaten statt. Abschalten ist schwer. „In Schweden hat jeder Lehrer ein Büro in der Schule und es gibt Kernzeiten, in denen gearbeitet wird“, erklärt Flammer.
Sie ärgert sich auch über den Druck, der schon in der Grundschule auf die Kleinen ausgeübt wird und der sich auf Eltern und Lehrer überträgt. Informationsveranstaltungen zum Übertritt gibt es mittlerweile schon in der 2. Klasse. „Als ob das ganze Leben davon abhängen würde“, wundert sie sich. Dass das deutsche Bildungssystem durchlässiger ist, als es auf den ersten Blick wirkt, wüssten viele nicht.
Luisa Tischler freut sich, wieder eine Klassenführung übernommen zu haben. Auch wenn die letzten Monate hart waren. „In Sachen Digitalisierung mussten wir alle viel Eigeninitiative beweisen“, sagt sie. Dienstlaptops? Diensthandys? Die meisten Lehrer müssten immer noch private Endgeräte zum Arbeiten für die Schule benutzen. Es ist keine Seltenheit, dass man sich ein zweites Handy zulegt, damit keine Anrufe von Eltern auf dem Privathandy eingehen und man auch mal „abschalten“ kann, berichtet sie. Die Schwierigkeiten der Lehrer-Plattform Mebis sind hinlänglich bekannt. „Ich habe meine Klasse in Kleingruppen zwei Mal die Woche über Zoom gesehen“, erinnert sich Katharina Flammer. Ob Zoom benutzt werden dürfe oder nicht, war lange umstritten. Klare Richtlinien fehlten. „Da ist vieles fernab aller Praxis gelaufen“, ärgert sich Tischler. Beinahe jede Woche habe es neue Anweisungen gegeben, langfristige Lösungswege seien nicht aufgezeigt worden. „Das war und ist alles ganz schön konfus“, ärgert sie sich. Ihr Fazit: Ernst nehmen könne man die Politik nicht mehr.
Der Blick soll jetzt vorausgehen. Schließlich soll es auch in zehn Jahren noch genügend Lehrer geben, die ihren Beruf gerne ausüben. „Das Beamtenrecht hat schon viele Vorteile“, gesteht Katharina Flammer. Der Job ist sicher. Aber es gebe auch Ungerechtigkeiten. Warum Grund- und Mittelschullehrer weniger verdienen als ihre Kollegen an den Gymnasien und Realschulen, leuchtet den beiden nicht ein. Ihr Verband spricht von einer Zweiklassengesellschaft. „Wir leisten sicher nicht weniger“, sagt Tischler. Gerade während des Homeschoolings hätten die Grundschullehrer eine Menge Arbeit gehabt, um den Online-Unterricht möglichst kindgerecht zu gestalten.
In den kommenden Jahren werden wieder stärkere Jahrgänge eingeschult, gleichzeitig gehen tausende Lehrer in Pension. „Die Problematik wird sich verstärken“, prophezeit Tischler. Gerade bei den Schulleitern sieht sie Handlungsbedarf. „Den Job will kaum noch jemand machen“, weiß sie. Die Anforderungen sind immens – und die Entlohnung übersichtlich.
Wird sich tatsächlich etwas ändern? Wird sich der Protest lohnen? Die beiden jungen Lehrerinnen zucken mit den Schultern. „Hoffnung habe ich immer“, sagt Flammer. Auch wenn sie es schade findet, dass nicht mehr junge Lehrer sich trauen das System zu kritisieren. „Dabei weiß ich, dass viele unzufrieden sind.“