Der Krieg in der Ukraine erschüttert viele Menschen. Auch diejenigen, die keine Verbindung zu dem Land haben, sind tief betroffen. Wie schlimm ist dieser Krieg erst dann für die Frauen und Männer hier in Deutschland, die Verwandte und Freunde in der Ukraine haben und sich aus der Ferne große Sorgen machen?
Das erleben derzeit aus dem Kriegsgebiet stammende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt. Ihr Wunsch, den Landsleuten zu helfen, ist begreiflicherweise groß. Bei dem Wunsch ist es jedoch nicht geblieben. Sie leisten tatkräftige Hilfe. Und erfahren dabei Unterstützung ihrer Kolleginnen und Kollegen in einem Ausmaß, das sie so sicherlich nicht vorausgesehen haben. Was damit begann, Familienmitglieder aus der Ukraine in Sicherheit nach Deutschland zu bringen, hat immer mehr Kreise gezogen und ist heute eine beeindruckende Hilfsaktion, die nahezu alle Bereiche des Rhön-Klinikums umfasst.
Volodymyr Marchuk ist Assistenzarzt für Anästhesie am Rhön-Klinikum Campus. Er kommt aus einem kleinen Dorf in der westlichen Ukraine in der Nähe der Grenze nach Weißrussland. Etliche Jahre lebte er in Kiew, bevor es ihn beruflich nach Bad Neustadt zog. Als der Krieg begann, fuhr er an die polnisch-ukrainische Grenze, um seine Schwester mit ihrer Familie dort abzuholen. Seine Eltern leben noch immer in der Ukraine. Sie wollen ihre Heimat nicht verlassen. Mit ihm zusammen sind noch mehrere Kolleginnen und Kollegen aus dem gleichen Grund an die Grenze gefahren. Darunter auch Yaroslav Kulchynskyi, Stationsarzt in der Psychosomatischen Klinik Bad Neustadt. Er wurde in der Industriestadt Khmelnytskyi in der westlichen Ukraine geboren und holte seinen Vater und seine Schwester nach Deutschland. Sein Bruder muss im Land bleiben. Vor wenigen Tagen erst erhielt er traurige Bilder auf sein Handy. Das Haus seines Bruders war bei einem Bombenangriff zerstört worden.
Als die Gruppe von Klinik-Mitarbeitern an die Grenze fuhr, wollten sie das nicht mit leeren Händen tun und sie packten ihre Autos mit Hilfsgütern voll. Das war der Anfang. Inzwischen rollten mehrere Kleintransporter Richtung Ukraine. Bis unters Dach gefüllt. Wie es dazu kam, schildert Annette Hartmann, kaufmännische Leitung am Campus. "Der Krieg hat bei uns allen große Bestürzung hervorgerufen", sagt sie. In Gedanken sei man auch bei den Kolleginnen und Kollegen, die Familie in der Ukraine haben. Schnell sei man sich einig gewesen, helfen zu müssen. So wurde unter den Mitarbeitern eine Spendenaktion organisiert. Dabei kamen vor allem haltbare Lebensmittel, warme Kleidung, Decken und weitere Hilfsgüter zusammen. "Jeder war bereit zu helfen, beim Spenden oder auch beim Sortieren", so Hartmann. Unzählige Kartons seien gepackt worden. Volodymyr Marchuk bestätigt das. "Es ist unglaublich, was zusammen kam."
Zunächst wandte man sich an die Autowerkstatt Härter in Gollmuthhausen, die ebenfalls Hilfsmaterial an die ukrainische Grenze brachte. Danach organisierten die Mitarbeiter selbst die Fahrten. Man habe dabei von der Geschäftsführenden Direktorin des Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt, Sandra Henek, viel Unterstützung erhalten, betont Yaroslav Kulchynskyi. Das Rhön-Klinikum stellte in größeren Mengen medizinischen Bedarf zur Verfügung. Dabei können die Kontakte der Ärzte in die Ukraine genutzt werden, damit die Hilfsgüter auch da ankommen, wo sie nötig sind. Vor allem in der Anfangszeit des Krieges sei der Mangel in den Krankenhäusern groß gewesen, führt Volodymyr Marchuk aus. Die Freude dort über das Verbandsmaterial, OP-Zubehör und all die Dinge, die insbesondere für eine Notversorgung nötig sind, sei groß. Am Campus seien bereits sehr rührende Dankschreiben aus der Ukraine eingegangen.
Kulchynskyi und Marchuk ist es sehr wichtig, den Kollegen in der Ukraine zu helfen. Viele Krankenhäuser seien zerstört. "Die Ärztinnen und Ärzte arbeiten teilweise in Kellern 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche", so Marchuk. "Wir müssen weiter helfen." Kulchynskyi weiß von einem Kollegen in Kiew, der seit drei Wochen die Klinik nicht verlassen habe. Die beiden Ärzte, zu nennen sind auch die Anästhesisten Pavlo Kuzmenko und Oleg Getmanenko, haben viele Freunde und Bekannte in der Ukraine. Sie engagieren sich über die Klinikaktionen hinaus auch privat für die Menschen in der Ukraine. Unter anderem haben sie Dieselgeneratoren besorgt, um Krankenhäuser mit Strom zu versorgen.
Neben der Spendenaktion der Mitarbeiter und den Transporten an die ukrainische Grenze sowie dem medizinischen Versorgungsmaterial vom Rhön-Klinikum kam bald noch eine weitere Hilfe dazu. Seit geraumer Zeit stellt der Klinikkonzern Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung. So wurde eine leerstehende Station in der ehemaligen Herz- und Gefäßklinik reaktiviert, um dort Flüchtlinge unterbringen zu können. "Binnen 30 Stunden wurde alles auf Vordermann gebracht", blickt Jasmin Eschmann, Assistentin der Geschäftsführenden Direktorin, zurück. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben geputzt, Betten aufgestellt, eine kleine Küche und ein Spielzimmer für die Kinder eingerichtet. Das Rhön-Klinikum öffnete außerdem das in seinem Besitz befindliche Haus Sonja in Neuhaus für die Flüchtlinge. Derzeit sei man dabei, ein weiteres Haus nutzbar zu machen. Aktuell werden 37 Flüchtlinge versorgt, 16 Frauen, 20 Kinder, ein Mann und zwei kleine Hunde.
"So viele Kollegen packen mit an", ist Annette Hartmann dankbar. Die Technik-Abteilung würde bei der Einrichtung der Unterkünfte helfen, die Personalabteilung bei Behördengängen und nicht zuletzt würde die Küche ein Auge darauf haben, dass die Flüchtlinge mit Essen voll versorgt werden. Jasmin Eschmann lobt Hartmann selbst. "Neben Kisten schleppen und Wohnungen einrichten, hat sie noch einen Kuchen gebacken, als sie gehört hat, dass ein Kind Geburtstag hat." In den ganzen Aktionen stecke viel Herzblut und Engagement. "So viel Menschlichkeit und das nach zwei Jahren Corona", meint Eschmann. Annette Hartmann ergänzt: "Wir versuchen, den Flüchtlingen ein wenig Freude zu machen, soweit wir es können und vor allem bei den Kindern für Abwechslung zu sorgen, damit sie nicht so viel an den Krieg denken."
Die Flüchtlinge hier in Bad Neustadt seien sehr dankbar, betont Yaroslav Kulchynskyi. Wohnraum bedeute für sie auch Sicherheit. Wie dankbar sie sind, zeigt unter anderem Svetlana, die mit ihrer kleinen Tochter ein Zimmer in der ehemaligen Herz- und Gefäßklinik bezogen hat. Sie fühle sich hier wohl und umsorgt, denke jedoch an ihren Mann und ihre Familie zu Hause. "Wir müssen von hier aus beobachten, wie die Menschen in der Ukraine leiden." So geht es auch Jurij. "Wir fühlen uns wohl hier in Deutschland, wenn nur nicht die Umstände und Gründe wären, warum wir hier sind."