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Bad Neustadt
Schock für die Beschäftigten von Valeo in Bad Neustadt: Abbau von knapp 310 Stellen bis Sommer 2024 angekündigt
Am Freitag fand erneut eine Infoveranstaltung für die Beschäftigten von Valeo statt. Nun ist klar: die Produktion wird geschlossen. Die Mitarbeiter sind schockiert.
Der Automobilzulieferer Valeo betreibt einen Standort mit 575 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Bad Neustadt: Zum Sommer 2024 sollen 310 Stellen abgebaut werden.
Foto: Michael Endres | Der Automobilzulieferer Valeo betreibt einen Standort mit 575 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Bad Neustadt: Zum Sommer 2024 sollen 310 Stellen abgebaut werden.
Julia Back
 und  Thomas Pfeuffer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:17 Uhr

Was sich in der Vergangenheit schon andeutete, wurde jetzt Gewissheit. Es wird einen massiven Stellenabbau bei Valeo am Standort Bad Neustadt geben. Im Juli 2024 soll die Fertigung in der Saalestadt geschlossen und nach Polen verlagert werden. Von aktuell etwa 510 Stellen sollen dann lediglich noch 200 in den Bereichen Forschung und Entwicklung übrig bleiben. Diese Nachricht erhielten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Freitagnachmittag bei einer Informationsveranstaltung in der Heustreuer Festhalle.

Keine 30 Minuten hat es gedauert, bis die ersten von ihnen wieder aus der Halle strömten. Die Fassungslosigkeit war ihnen ins Gesicht geschrieben, viele blickten sichtlich niedergeschlagen auf den Boden, Raucher-Grüppchen versammelten sich, um das eben Gehörte zu verarbeiten. Einige griffen zum Handy, um ihre Familie zu informieren. "Der Schock sitzt tief", fasste ein Mitarbeiter die allgemeine Verfassung seiner Kolleginnen und Kollegen zusammen.

Nachricht war ein "Schock" für die Mitarbeiter

"Diese Nachricht war ein Schock für uns", erklärte auch die sichtlich mitgenommene Betriebsratsvorsitzende Jessica Reichert im Anschluss. Ihr Betriebsratskollege Florian Volkmuth, der auch im Wirtschaftsausschuss von Valeo sitzt, ist fassungslos. "Es war nicht absehbar", sagt er, der selbst vom Abbau betroffen ist. In der jüngsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses vor zwei Monaten "wurde uns noch bestätigt, dass für die AMG-Varianten, die wir produzieren, der Standort Bad Neustadt gesetzt ist."

Volkmuth kritisiert auch, dass das Unternehmen erst am Donnerstag um 18 Uhr zu der Informationsveranstaltung am Freitag um 14.40 Uhr eingeladen habe. "Wir hatten keine Zeit zu reagieren oder eine beratende Funktion heute einzunehmen. Dazu hatten wir keine Chance."

Mit fünf Bussen wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Informationsveranstaltung nach Heustreu gefahren.
Foto: Julia Back | Mit fünf Bussen wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Informationsveranstaltung nach Heustreu gefahren.

Es sei klar, dass am Standort Projekte enden. Man sei in den letzten Wochen in Gesprächen mit dem Arbeitgeber gewesen, "allerdings wurde uns von dieser Situation nichts erläutert. Wir stehen vor vollendeten Tatsachen, ohne überhaupt eingreifen zu können", ärgert sich Volkmuth.

Der Betriebsrat zeigt sich auch über das Prozedere fassungslos. "Wir finden es eine absolute Unverschämtheit, das an einem Freitagnachmittag zu verkünden", sagt die 31-jährige Betriebsratsvorsitzende. "Nächste Woche ist Brückentag, die meisten Kollegen haben ein langes Wochenende und hängen jetzt vier Tage in der Luft, bis sie wieder die Möglichkeit haben, mit jemanden zu sprechen."

Ärger über den Ablauf der Informationsveranstaltung von Valeo

Aufgebracht war Reichert auch über den Verlauf der Informationsveranstaltung: "Nachdem die Betriebsleitung verkündet hat, dass die Produktionsarbeitsplätze und alle angrenzenden Bereiche abgebaut werden, hat der Entwicklungsleiter über die Entwicklung als Zukunft des Standorts gesprochen. Das mussten sich die Mitarbeiter, denen gerade ein Ende des Arbeitsvertrages verkündet wurde, noch anhören."

Viele der Valeo-Mitarbeiter, die am Freitagnachmittag vor der Festhalle in Heustreu stehen, sind junge Männer. "Wir sind ein sehr junges Unternehmen. Ich schätze den Altersdurchschnitt bei uns auf Mitte 30", so der 34-jährige Volkmuth. "Hier geht es um Existenzen", äußert sich ein Valeo-Mitarbeiter neben ihm: "Wir müssen Kinder ernähren."

Warten vor der Festhalle in Heustreu auf die Valeo-Mitarbeiter: Thomas Höhn (links) und Reiner Gehring, der erste und zweite Bevollmächtigte der IG Metall Schweinfurt.
Foto: Julia Back | Warten vor der Festhalle in Heustreu auf die Valeo-Mitarbeiter: Thomas Höhn (links) und Reiner Gehring, der erste und zweite Bevollmächtigte der IG Metall Schweinfurt.

Für Protest sorgte die Information von Valeo, die Produktion von Elektromotoren und integrierten Antriebssystemen, die bislang an dem Standort in der Rhön hergestellt wurden, nach Polen zu verlagern. Eine Entscheidung, die die IG Metall nicht hinnehmen will. Horst Ott, Bezirksleiter der IG Metall Bayern, erklärte dazu: "Das Unternehmen will das Zukunftsprodukt Elektromotor an einen billigeren Standort verlagern. Das wäre ein herber Rückschlag für die Transformation der bayerischen Autoindustrie und ein schwerer Schlag für die Industriestruktur der Rhön. Die IG Metall wird nun Widerstand organisieren."

Valeo kann die Wettbewerbsposition nicht behaupten

Auch Valeo-Pressesprecher Andreas vom Bruch ist am Freitagnachmittag vor Ort in Heustreu. Die Entwicklung am Standort Bad Neustadt begründet er mit der Auftragsentwicklung. Bad Neustadt sei nicht mehr in der Lage, seine "Wettbewerbsposition" zu behaupten. Der Standort Bad Neustadt erlebe einen stärkeren Rückgang der Produktionsmengen als ursprünglich geplant. Dieser Nachfragerückgang, der nicht auf Versäumnisse von Valeo zurückzuführen sei, habe ernsthafte Folgen. Die Produktion am Standort werde deshalb ab Juli 2024 eingestellt.

Diese Entwicklung "wird leider zum Weggang von rund 250 Mitarbeitern in der Produktion und in produktionsunterstützenden Funktionen führen", so vom Bruch. Neben den genannten 250 Mitarbeitern verlieren auch rund 60 Mitarbeiter mit befristeten Verträgen ihren Job.

Vom Bruch ist es wichtig zu betonen, dass der Standort erhalten bleibe. Valeo werde sich zu einem "Forschungs- und Entwicklungszentrum mit rund 200 Mitarbeitern weiterentwickeln."

Jobs an anderen Valeo-Standorten sollen angeboten werden

"Valeo ist entschlossen, mit den Sozialpartnern und insbesondere den Mitgliedern des Betriebsrats Lösungen zu finden, um die Auswirkungen dieser Entscheidung auf jeden einzelnen Mitarbeiter zu minimieren und Arbeitsplätze an anderen Valeo-Standorten für jeden Mitarbeiter anzubieten, der mobil ist." Valeo ist mit 18 Produktions- sowie Forschungs- und Entwicklungsstandorten in ganz Deutschland vertreten und beschäftigt bundesweit 8800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Für Freitagabend war ein Treffen zwischen Vertretern des Konzerns, Landrat Thomas Habermann, Jörg Geier von der Kreisentwicklung und Bad Neustadts Bürgermeister Michael Werner vereinbart worden. In einer gemeinsamen Erklärung betonten Habermann und Werner am Abend, dass sie die Entscheidung von Valeo, am Standort Bad Neustadt 250 Arbeitsplätze in der Produktion streichen zu wollen, mit Erschütterung zur Kenntnis nehmen. Der Verlust von 250 hochwertigen Arbeitsplätzen in Bad Neustadt sei für die Stadt, Landkreis, seine Gemeinden und die gesamte Region, gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Rezession, in erheblichem Maße einschneidend.

"Wir werden uns mit voller Kraft dafür einsetzen, dass die Betroffenen gute Perspektiven in unserer Region erhalten und sind bereits mit der IG Metall und verschiedenen Arbeitgebern in der Region im Austausch, um die betroffenen Arbeitnehmer bestmöglich unterstützen zu können", heißt es in dem Statement weiter.

Man vertraue auf die Zusicherung von Valeo, den Entwicklungsbereich und die Testabteilung dauerhaft am Standort in der Siemensstraße betreiben zu wollen und das Unternehmen somit weiter am Standort zu verankern.

"Wir bieten betroffenen Arbeitnehmern, Betriebsräten, Vertretern der Gewerkschaften und der Unternehmensleitung gerne einen offenen Austausch an und sichern unsere Unterstützung in dieser Krise zu," endet die Erklärung.

In den nächsten Tagen ist auch eine Kundgebung geplant, bei der Beschäftigte, aber auch politische Vertreter gegen den geplanten Stellenabbau demonstrieren wollen.

Der Text wurde im Verlauf des Abends aktualisiert.

Der Betrieb Valeo

Valeo ist ein französischer Automobilzulieferer mit Sitz in Paris. Das Unternehmen ist in insgesamt 29 Ländern mit 183 Produktionsstätten aktiv. Für Valeo arbeiten weltweit rund 109.900 Mitarbeitende, in Deutschland sind es gut 8800 Mitarbeitende an 24 Standorten (Stand: Ende 2022). Auf den Standort Bad Neustadt entfallen rund 510 Arbeitsplätze, Ende 2022 waren es noch 575.
Nach eigenen Angaben ist Valeo in vier Geschäftsbereiche gegliedert. Bad Neustadt gilt bislang als Zentrum für die Entwicklung und Produktion von Elektromotoren und integrierten Antriebssystemen.
Im vergangenen Jahr hat Valeo die Anteile an der Valeo Siemens eAutomotive und somit das komplette Joint Venture übernommen. Für die 50 Prozent von Siemens bezahlte das Unternehmen 2022 rund 277 Millionen Euro.
Quelle: chü / Valeo
 
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  • Hermann Bindrim
    wie 2010
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  • Peter Koch
    Einen herben Rückschlag für die Transformation der bayrischen Automobilindustrie sehe ich nicht. Ich habe eher den Verdacht, dass die von der Verlagerung der Produktion profitieren will. Made in Germany schreiben die Autoproduzenten auf ihre Fahrzeugen gerne, Zulieferteile sollen aber bitteschön aus Billiglohnländern kommen. Entsprechend wird auch Druck auf die Zulieferer ausgeübt gefälligst in Billiglohnländern zu produzieren. Das sollte man seitens der IG Metall bestätigen können
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  • Dieter Hartwig
    Für die Betroffenen ist das hart.

    Hoffentlich bekommt die Firma in Polen für die Verlagerung der Arbeitsplätze nicht auch noch Subventionen z. B. Aus EU Töpfen.

    Gleichzeitig kam gerade im Radio wieder eine Meldung bezüglich Fachkräftemangel. Das passt für mich nicht zusammen. Dieses Wort kann ich schon nicht mehr hören. Da müssten ja bei allen Betroffenen in Bad Neustadt die Arbeitgeber schon Schlange stehen. Das ist leider nicht so.

    Ist der Fachkrädtemangel nur auf Jobs bezogen die schlecht bezahlt werden? Mir scheint das so
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  • Roland Albert
    Das ist Käse. Die Industrie 4.0 Verlierer werden sich nach den Transfergesellschaften wieder in ein normales Lohngefüge einpassen müssen.
    Die Zeiten der Gewerkschaften nach höher schneller mehr Gehalt werden vorbei sein.
    Bis die das realisiert haben, werden noch mehr Verlagerungen kommen. Ganz sicher!
    Da können die „IG-beauftragten (ich kenne keinen Berufszweig, wo die Bediensteten ihre eigenen Totengräber bezahlen müssen, ausser bei der IG Metall) noch soviel daherreden, dass sie damit nicht einverstanden sein wollen. Es wird dennoch geschehen und dann wird es wie so oft ganz leise von der Gewerkschaft akzeptiert werden.
    Ich wette darauf, 100 Euro ans Tierheim.
    In einem Jahr analysieren wir wieder…
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