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Nordheim
Rückkehr der 1000 Namen: Warum am 11. April in München auch an einen ermordeten Juden aus der Rhön erinnert wurde
Mit nur 16 Jahren wurde Gerhard Schuster aus Nordheim deportiert und von den Nazis ermordet. Ein Projekt erinnert nun auch an ihn und seine Geschichte.
Im Alter von gerade einmal 16 Jahren wurde Gerhard Schuster 1942 umgebracht. Der Jugendliche aus Nordheim ist einer von 1000 ermordeten jüdischen Mitbürgern, an die mit dem Projekt 'Die Rückkehr der Namen' am 11. April in München erinnert wird.
Foto: René Ruprecht | Im Alter von gerade einmal 16 Jahren wurde Gerhard Schuster 1942 umgebracht. Der Jugendliche aus Nordheim ist einer von 1000 ermordeten jüdischen Mitbürgern, an die mit dem Projekt "Die Rückkehr der Namen" am 11.
Thomas Pfeuffer
 |  aktualisiert: 17.04.2024 02:48 Uhr

Mit dem Projekt "Die Rückkehr der Namen" wurde am 11. April in der Landeshauptstadt an 1000 Münchnerinnen und Münchner und Menschen mit einem München-Bezug erinnert, die während des NS-Regimes verfolgt, entmenschlicht und ermordet wurden. Darunter der aus Nordheim/Rhön stammende Siegbert Gerhard Schuster.

Er stammt aus einer jüdischen Familie, wurde 1942 im Alter von erst 16 Jahren deportiert und im Raum Lublin im von den Nazis besetzten Polen ermordet. Die Patenschaft hat Hannes Helferich von der Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen übernommen. Helferich war jahrzehntelang Redakteur der Main-Post in Schweinfurt und befindet sich jetzt im Ruhestand. Das Gespräch führte sein ehemaliger Kollege Thomas Pfeuffer aus der Redaktion Bad Neustadt, weshalb dabei auch das "Du" verwendet wurde.

Frage: Wer war Gerhard Schuster?

Hannes Helferich: Er wurde als Siegbert Gerhard Schuster am 18. Juni 1925 in Nordheim/Rhön geboren, sein Rufname war aber Gerhard. Seine Eltern waren der Viehhändler Alexander und Ida Schuster. Schon beim Novemberpogrom 1938 erlebte der damals 13-Jährige die ganze Brutalität der Nazis. Sein Onkel Karl Schuster kam damals zu Tode, Elternhaus und Einrichtung wurden verwüstet. Sein Vater kam in sogenannte Schutzhaft, kam später aber wieder frei. Von Dezember 1939 bis 31. Mai 1941 lebte Gerhard für eine Schlosserlehre in München. Verkraften musste er in dieser Zeit auch den Tod seiner Mutter Ida am 6. Februar 1940.

Wie bist Du zum Paten geworden?

Helferich: Mit dem Projekt wird auch vieler Opfer gedacht, die wie Gerhard nur eine Zeitlang in München lebten. Für eine Schlosserlehre wohnte er von 1939 bis 1941 für zwei Jahre in München. Die Projektverantwortlichen vom Bayerischen Rundfunk und der Stadt München standen bei Suche nach Paten unter anderem in Kontakt zu Dr. Riccardo Altieri, dem Leiter des Würzburger Johanna-Stahl-Zentrums für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken. Altieri wiederum kennt unsere Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen wegen vieler eigener Projekte recht gut. Ich habe der angefragten Patenschaft zugestimmt.

Hannes Helferich ist bei der Aktion 'Rückkehr der Namen' am 11. April in München 'Pate' des ermordeten Gerhard Schuster.
Foto: René Ruprecht | Hannes Helferich ist bei der Aktion "Rückkehr der Namen" am 11. April in München "Pate" des ermordeten Gerhard Schuster.
Welche Gründe hast Du für dieses Engagement?

Helferich: Zuallererst, weil ich Gerhard Schuster damit seinen Namen, seine Würde und wenn man so will, seine Identität zurückgebe. Für die Nazis war er eine Nummer, es war aber Gerhard Schuster, ein Junge, der leben wollte, aber nicht durfte, weil er jüdisch war. Zweiter Grund ist die aktuelle Situation in unserem Land. In Hinterzimmern wird schon wieder über Deportationen gesprochen, Jüdinnen und Juden werden beleidigt, ja sogar angegriffen, Menschen mit Behinderung werden zunehmend diskriminiert. Ich kann nicht verstehen, dass so viele Menschen glauben, dass die AfD Probleme löst. Das Gegenteil ist der Fall. Die AfD ist rechtsextrem, sie will unsere Gesellschaft spalten, ihre Vertreter attackieren Menschen anderer Herkunft mit zunehmend radikalerer Wortwahl. Die wünscht unser Land in Zeiten zurück, die wir Demokraten uns geschworen haben, dass es sie nie wieder geben darf.

Wie läuft das Gedenken in München ab, welche Aufgabe hat der Pate?

Helferich: Jede Patin, jeder Pate, darunter übrigens sehr viele Prominente, steht am 11. April um 15 Uhr mit einer Gedenktafel mit dem Foto ihres/seines Opfers am letzten Wohnort des Ermordeten und gibt Passanten Auskunft. Bei mir ist das der Marienplatz. Um 16 Uhr kommen alle am Königsplatz zusammen und ziehen von dort um 17 Uhr gemeinsam auf einem "Weg der Erinnerung" durch das ehemalige "braune Viertel" bis zum Odeonsplatz, wo eine große Abschlussveranstaltung mit Interviews, Filmen, Musik und Performances geplant ist. Das Motto lautet: "Wir werden die Opfer nie vergessen und wir tun alles, dass so etwas nie wieder geschieht."

Was ist weiter über die Geschichte der jüdischen Familie Schuster bekannt?

Helferich: Vater, Mutter, Sohn Gerhard und die Verwandten wollten ein ganz normales Leben führen. Das wurde ihnen aber verwehrt, weil sie jüdisch waren. Gerhard kam nach der Lehre in München im Mai 1941 zurück in die Rhön, da war das Leben für die Juden schon unerträglich. Am 24. April 1942 wurde Gerhard Schuster zusammen mit seinem Vater Alexander, seiner Tante Emma Schuster und Siegfried Schild aus Nordheim nach Würzburg transportiert. Schon am nächsten Tag wurden sie in das von den Nazis besetzte polnische Krasnystaw deportiert.

Auf der Liste für die Deportation am 25. April 1942 findet sich der Name von Gerhard Schuster.
Foto: Staatsarchiv Würzburg/Gestapoakte | Auf der Liste für die Deportation am 25. April 1942 findet sich der Name von Gerhard Schuster.
Wie viele Menschen teilten bei dieser Deportation das Schicksal der Nordheimer Juden?

Helferich: Die Deportation am 25. April 1942 nach Krasnystaw bei Lublin im von Deutschen besetzten Polen war die dritte aus dem Gau Mainfranken. Insgesamt gab es sieben. Die April-Deportation war mit 852 Juden aus Unterfranken die größte, darunter erstmals auch 30 Schweinfurter Juden. Weil unsere Initiative im November dieses Jahres zur Erinnerung an die insgesamt 75 ermordeten Schweinfurter Juden an der Stadtmauer im Theaterpark einen weiteren Gedenkort schafft und begleitend ein Opferbuch mit den Schicksalsberichten veröffentlicht, sind uns die damaligen Abläufe bis zur Ermordung der Menschen auch dank der Recherchen der mit der Geschichte der unterfränkischen Juden bestens vertrauten Elisabeth Böhrer aus Sondheim/Rhön ziemlich gut bekannt.

Sind alle 852 Juden dieses Transportes ermordet worden?

Helferich: Ja, keiner hat überlebt, auch Gerhard Schuster nicht. An jenem 25. April 1942 fuhr der Transportzug DA 49 um 15.20 Uhr in Würzburg ab und kam erst drei Tage später am 28. April 1942 am Bahnhof Krasnystaw bei Lublin an. Ursprüngliches Ziel war das Lager Izbica im besetzten Polen. Das aber war so überfüllt, dass die Menschen zu Fuß zum Ghetto Kraśniczyn gehen mussten. 15 Kilometer. Wann, wie und wo die Menschen ermordet wurden, ist nicht bekannt, weshalb als Todesort immer Raum Lublin genannt wird. Lange Zeit haben sie jedenfalls nicht mehr gelebt. Der Vater von Gerhard, Alexander Schuster, war für den Transport in den Tod als Ordner eingeteilt.

Eine Gedenktafel nahe des Nordheimer Rathauses erinnert an die einstige jüdische Kultusgemeinde.
Foto: René Ruprecht | Eine Gedenktafel nahe des Nordheimer Rathauses erinnert an die einstige jüdische Kultusgemeinde.
Was bedeutet der "Weg der Erinnerung" für die Teilnehmenden?

Für mich ist es eine Möglichkeit, mich mit den Orten und in meinem Fall mit dem Schicksal von Gerhard Schuster zu verbinden. Er ist kraftvolles Symbol für den Weg, den die Opfer gegangen sind. Wenn es bei dem einen oder anderen das Bewusstsein für die Bedeutung von Menschenrechten und Demokratie weckt oder stärkt, gut so. Das stete Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus ist Voraussetzung dafür, aus der Geschichte zu lernen und aktiv dazu beizutragen, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen. Aus Unterfranken wurden insgesamt 2068 Juden deportiert. Nur 60 haben überlebt.

Was erhoffst Du Dir von Deiner Beteiligung am Projekt?

Helferich: Das Gleiche, weshalb ich seit über 30 Jahren bei der Schweinfurter Initiative mitwirke: Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft. Das ist das Credo unserer Gruppe und deshalb bin ich in München dabei. Das Projekt setzt ein starkes Zeichen für Demokratie und Toleranz. Es darf nicht vergessen werden, was von 1933 bis 1945 passiert ist und es darf sich vor allem nicht wiederholen. Wir haben in Schweinfurt unter anderem einen Gedenkort zur Erinnerung, an die kurz vor Kriegsende grundlos ermordete und auch erst 18-jährige Zofia Malczyk geschaffen. Jedes Jahr erinnern wir mit Schülerinnen und Schülern des Bayernkollegs an ihr Schicksal. Vielleicht findet sich in Nordheim eine Gruppe Menschen, die für Gerhard Schuster eine dauerhafte Erinnerung schafft.

 
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