„Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“ Damit traf Leslie Samuel, der Gast aus den USA, mit größter Präzision das, worum es am vergangenen Mittwoch in Nordheim ging. Dort waren in einer Feier sieben sogenannte Stolpersteine in den Gehsteig beim Anwesen Von-der-Thann-Straße 27 eingelassen worden – gegen Gleichgültigkeit und zur Erinnerung an die beiden Nordheimer Familien Schuster, deutsche Mitbürger jüdischen Glaubens. Sie hatten einst hier gewohnt, bis sie, von den Nazis verfolgt, flohen beziehungsweise in einem Vernichtungslager umgebracht wurden.
Der Nordheimer Gemeinderat am 20. Oktober 2016 den Beschluss zum Verlegen der Stolpersteine gefasst, blickte Bürgermeister Thomas Fischer zurück. Den Auftrag dazu hatte Gunter Demnig aus Frechen in Nordrhein-Westfalen erhalten – der Künstler, der die Idee zu den Stolpersteinen entwickelt und verbreitet hatte.
Während Demnig mit Kelle und Mörtel bei der Arbeit war, begrüßte Fischer zahlreiche Bürger, Pfarrvikar Paul Reder und dessen evangelischen Kollegen Pfarrer Oliver Englert sowie Elisabeth Böhrer, die sich wesentlich darum bemüht hatte, dass das Setzen der Gedenksteine zustande kam. Ein besonderer Willkommensgruß galt Ruth und Leslie Samuel, Nachkommen der jüdischen Familie Schuster aus Nordheim. Die Samuels hatten zudem zwei Freunde aus Amerika mitgebracht.
Die Schrecken der Pogromnacht
Im Mittelpunkt der Gedenkfeier stand der Beitrag von Elisabeth Böhrer. Sie hatte recherchiert, wie es den Angehörigen der verschwägerten Familien Schuster – Karl und Emma Schuster mit ihren Töchtern Erna und Hilde sowie Alexander (Bruder von Karl) und Ida Schuster mit ihrem Sohn Gerhard – von der Pogromnacht am 10. November 1938 bis 1942 ergangen war. Dabei wurde deutlich, dass die Juden früher gut in Nordheim integriert waren. Die Männer hatten ihren Militärdienst absolviert und waren in den Ersten Weltkrieg eingezogen worden, wo Karl Schuster 1914 ein Bein verlor, aber auch mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde. Doch in der Pogromnacht wurden die Demütigungen für die Familien unerträglich.
Die zwei Häuser der Schuster-Familien wurden durch SA-Leute, die nicht aus Nordheim kamen, demoliert. Karl, der nicht fliehen konnte, starb dabei. Wenige Tage später wurde das geringe Vermögen der Juden beschlagnahmt und ihnen der letzte Besitz genommen. Ihre Häuser mussten sie zwangsweise verkaufen. Am 24. April 1942 traten Emma, Alexander und Gerhard Schuster ihre Reise in den Tod über Mellrichstadt und Würzburg bis nach Lublin in Polen an. Das Jahr 1942 haben sie wahrscheinlich nicht überlebt. Ida Schuster war schon im Jahr 1940 gestorben, Erna und Hilde Schuster waren mit Hilfe eines in den USA lebenden Onkels 1934 vor den Nazis geflohen. Diese erschütternden Informationen ergänzte Hermann Spiegel mit Erinnerungen dreier Zeitzeugen, die beobachtet hatten, in welcher Angst Nordheims Juden in diesen Jahren leben mussten.
Freude über die Gastfreundschaft in Nordheim
Nicht weniger ergreifend war die Rede, die Leslie Samuel danach in deutscher Sprache hielt. Der Sohn von Erna Samuel, geborene Schuster, und Siegfried Samuel aus Königshofen im Grabfeld wurde 1946 in Ohio geboren. In New York hatten seine Eltern 1938 geheiratet. In Jefferson hatte Leslie die Schule besucht, hatte dort studiert, in Washington als Lehrer gearbeitet, bis er eine Restaurantkette gründete und 45 Jahre leitete. Er fühle sich in Nordheim zuhause, sagte er, durch die vielen herzlichen Begegnungen mit den Bürgern. Er erzählte, dass es den beiden Töchtern von Emma Schuster nicht gelungen war, ihre Mutter in die USA zu holen. Leslie Samuel erkannte an, dass „nach dem Zweiten Weltkrieg ein anderes Deutschland geboren“ worden war, das den Juden und dem Staat Israel vielfach geholfen habe. Er dankte dem Künstler Gunter Demnig und auch dem Hausnachbarn Anton Heurung für das Anbringen der Stolpersteine bei dessen Anwesen; und er dankte für die Gastfreundschaft und Toleranz, die seine Frau und er erfahren hatten.
Das letzte Wort ergriff Pfarrvikar Reder. Zur Erinnerungskultur gehöre, die Unmenschlichkeiten der Nazizeit nicht zu vergessen, aber sich auch an Beispiele großer Mitmenschlichkeit zu erinnern, der es immer die Oberhand zu verschaffen gelte. Die sieben Gedenksteine gäben dazu den Anstoß. Elisabeth Böhrer umrahmte dann symbolträchtig diese golden glänzenden Denkmale mit sieben weißen Rosen und teilte abschießend mit, dass fünf der Steine von Bürgern aus Nordheim finanziert worden waren.