"Eigentlich haben wir den schönsten Arbeitsplatz der Welt!" Die Einschränkung "eigentlich" wählt Torsten Kirchner bewusst. Denn zufrieden ist der Biologe mit den aktuellen Entwicklungen dort gar nicht. Er ist Gebietsbetreuer im Naturschutzgebiet Lange Rhön und wie die beiden Ranger Maik Prozeller und Daniel Scheffler für das größte außeralpine Schutzgebiet in Bayern mitverantwortlich. Und das gilt als eines der schönsten und wertvollsten in Deutschland.
Jetzt, da auch in den Hochlagen der Rhön allmählich der Frühling Einzug hält und bevor der touristische Oster-Ansturm droht, heißt es für sie, Bilanz über den vergangenen Winter zu ziehen. Und die fällt "reichlich ernüchternd" aus, wie Prozeller feststellt. "Wir sind diesmal regelrecht überrannt worden", so das Fazit des Biosphärenreservats-Rangers. Und das gilt nicht nur für die Lange Rhön, sondern auch für andere Schutzgebiet im Land der offenen Fernen.
Mit dem Schnee kamen die Massen
Auch sein Ranger-Kollege vom Naturpark Rhön, Daniel Scheffler, bestätigt, dass man trotz enormen Einsatzes den Besucher-Massen in diesem Winter nicht Herr werden konnte. Man sei präsent gewesen wie nie, die Absprachen mit anderen Helfern wie den Ehrenamtlichen von der Bergwacht hätten super geklappt, aber erreicht habe man letztlich nur wenig.
Hier sind die Rhöner Schutzgebiete kein Einzelfall. Unter "Overtourism", wie das Phänomen bezeichnet wird, wenn ein an sich schönes Reiseziel von Touristen überrannt wird, leiden derzeit viele Städte und Regionen. Mit Corona hat sich die Situation in der Rhön noch verschärft. So seien schon im ganzen Jahr mehr Besucher im Schutzgebiet unterwegs gewesen, blickt Torsten Kirchner zurück. Dann sei ausgerechnet in diesem Winter "schön viel" Schnee gefallen. Und mit der weißen Pracht kamen die Massen. Er verstehe jeden, der die herrliche Winterlandschaft genießen wollte. Mit der Zahl der Besucher habe jedoch auch die Zahl der Verstöße gegen die Schutzbestimmungen zugenommen, und zwar dramatisch.
Daniel Scheffler: Zehn Prozent Unverbesserliche
Das begann schon beim Parken. Kreuz und quer standen Autos auch außerhalb der Parkplätze, manche blockierten gar die Rettungswege. Bei Tag oder Nacht waren Besucher zu Fuß, mit Skiern oder Schneeschuhen querfeldein unterwegs, Hunde sprangen umher, steilere Hänge wurden zu Schlittenbahnen umfunktioniert, sogar Snowkites waren auf den offenen Flächen zu sehen. All das ist natürlich in einem Naturschutzgebiet nicht erlaubt. 90 Prozent hätten ein "total schlechtes Gewissen", wenn sie auf einen Verstoß aufmerksam gemacht werden, schätzt Ranger Scheffler. Die anderen zehn Prozent seien "Unverbesserliche".
"Viele wissen gar nicht, was sie da anrichten und können es auch nicht wissen", beschreibt Maik Prozeller das Problem. Wenn sie querfeldein unterwegs sind, sehen sie nur eine Schneelandschaft vor sich. Dass und warum die einzelnen Flächen höchst sensibel sind, sei meist nur Fachleuten ersichtlich. Er denke oft "Um Himmels willen", wenn er so etwas aus der Ferne beobachte, beschreibt es Biologe Kirchner. Eben weil die Bedeutung einer Fläche für Laien nicht unbedingt erkennbar ist, gebe es Regeln in den Schutzgebieten. Auch wenn das manche nicht glauben wollen, Verbote oder die Wegeführungen seien "nicht einfach mal so" festgelegt worden.
Spuren zuzuschaufeln war keine Lösung
Auch entsprechende Schilder sind überall aufgestellt. Oft seien sie aber praktisch wirkungslos. Warum, das bleibt den Rangern und dem Gebietsbetreuer ein Rätsel. "Es ist halt einfach so", müssen sie einräumen. Sobald im Winter eine Spur an einem Verbotsschild vorbeiführt, gebt es für die Nachfolgenden kein Halten mehr, so ihre Erfahrung. Die Erfolge bei Versuchen, solche "erste Spuren" zuzuschaufeln, seien aber auch nur von kurzer Dauer gewesen.
Die frustrierende Bilanz dieses Winters bringt Torsten Kirchner auf den Punkt: "Schutzziel nicht erreicht." Was die drei wohl noch mehr belastet, sind die Perspektiven. "Nächstes Jahr sitzen wir wieder hier und führen die gleiche Diskussion", lautet ihre Befürchtung. Vorschläge, die Probleme anzugehen, gebe es seit Jahren. Bislang sei aber höchstens am System herumgedoktert worden. Verändert habe sich wenig.
Dass das Problem "Overtourism" nicht einfach zu lösen ist, ist den dreien bewusst. Auch wenn sie durchaus nicht einer Meinung sind, was einzelne Maßnahmen angeht, Übereinstimmung herrscht doch darin, dass ein umfassender Masterplan für die Besucherlenkung entwickelt werden müsse. Und hier blicken sie seit kurzem etwas zuversichtlicher Richtung Würzburg.
Großer Wurf gefordert
Möglicherweise zeichnet sich von dort Hoffnung ab. Denn auch an höherer Stelle sieht man die Problematik. Und vor allem, man will jetzt reagieren. Dr. Thomas Keller, seit kurzem Sachgebietsleiter Naturschutz bei der Regierung von Unterfranken, spricht mit Blick auf Overtourism in der Rhön von einer sich stetig verschärfenden Problematik, die durch Corona noch einmal beschleunigt worden sei. Und auch er fordert "einen großen Wurf", der jetzt gemacht werden müsse.
Doch wie soll der aussehen? Grundsätzlich gebe es die Idee, so Keller, die Besucherströme großflächig in der Rhön zu verteilen, bevor sie die Naturschutzgebiete überhaupt erreichen. Anlaufpunkte sollten dann nicht mehr die heute oft "heillos überlaufene" Schornhecke oder das Schwarzes Moor sein, sondern Dörfer und andere Zugangspunkte am Fuß der Rhön. Das würde positive Effekte für die Wirtschaft in den einzelnen Orten bedeuten und den Druck vom Naturschutzgebiet nehmen.
Um das Ziel zu erreichen, will Keller in drei Schritten vorgehen. Zunächst sollen die Erfordernisse des Naturschutzes abgeklärt werden. Erste Gespräche dazu hätten bereits stattgefunden. Dann sollen die Touristiker ihre Ideen einbringen. Ein Konzept daraus soll aber erst entstehen, wenn die Verantwortlichen in den Gemeinden, vor allem die Bürgermeister, mit einbezogen werden. Die Zustimmung vor Ort ist für Keller entscheidend. Erste Kontaktaufnahmen mit Bürgermeistern seien sehr positiv verlaufen.
Projektstart noch in diesem Jahr
Keller nennt als Beispiel, wie das Konzept funktionieren könnte, das Thema Wohnmobile. Man könne ein nächtliches Parkverbot für Wohnmobile in Naturschutzgebieten verhängen. Nach dem Motto, wenn es das eine dort oben nicht mehr gibt, müssen wird unten was Neues schaffen. So könnte in den Gemeinden ein attraktives Stellplatzangebot geschaffen werden. Ähnliche Alternativangebote könne man sich auch für die immer zahlreicher werdenden Besucher im Sternenpark vorstellen. Ein gutes Angebot und umfassende Informationen in den Orten, würden von Besuchern immer gerne angenommen, ist Keller überzeugt. Beim Thema Verkehr ließe sich von anderen Schutzgebieten einiges lernen.
Dabei zeigt sich Keller sehr ehrgeizig, was den Zeitplan betrifft. Noch in diesem Jahr soll das Projekt konzipiert und auf "die Schiene gesetzt" werden. Aktuell seinen die Chancen, Fördermittel zu erhalten, günstig. Ein professionelles Projektmanagement könne in der Folge die Details eines Konzeptes und ihre Umsetzung erarbeiten.
Sechs Regeln für das richtige Verhalten im Naturschutzgebiet
2. Hunde immer an die Leine nehmen
3. Abfall jeglicher Art zu Hause entsorgen (insbesondere Hundekotbeutel)
4. Nur auf ausgewiesenen Parkplätzen parken
5. Das Naturschutzgebiet nicht als Wohnmobilstellplatz oder Campingplatz missbrauchen
6. Keine Pflanzen pflücken
Lasst euch mal bei solchen Vergehen in Nationalparks in USA oder Kanada erwischen.
Da geht schon die weggeworfene Zigarettenkippe oder gar der Getränkebecher sehr schnell in vierstellige Bußgelder. Ohne Diskussion!
Der deutsche Bürger lernt es nur durch den tiefen Griff in den Geldbeutel.
Man kann nicht an etwas appellieren, das nicht vorhanden ist. Vernuft etwa...
Kümmert euch lieber um die, die in den Kernzonen für P43-Trasse u.ä. 70m hohe Stahlgittermasten errichten wollen - und zwar auf Dauer. Die Schuldigen sind die, die euch jetzt vor den Wahlen wieder hoffieren und für ein Foto mit Flora und Fauna und einem netten Naturschutzvertreter Honig um den Mund schmieren und eine Ruhebank mit Spenderschildchen aufstellen lassen!