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Bad Neustadt
Rhön-Grabfeld: Immer mehr Katholiken kehren ihrer Kirche den Rücken
Standesämter in Rhön-Grabfeld registrieren eine steigende Zahl von Kirchenaustritten. Was sagen der katholische Jugendseelsorger Johannes Krebs und Marianne Hillenbrand vom Frauenbund dazu?
Deutlich mehr Katholiken als früher verlassen die Gemeinschaft. In diesem Jahr wandten bis Anfang Februar bereits 102 Katholiken im Standesamtsbezirk Bad Neustadt ihrer Kirche den Rücken zu. Das Foto zeigt die  Kirche Mariä Himmelfahrt in Bad Neustadt.
Foto: Sigrid Brunner | Deutlich mehr Katholiken als früher verlassen die Gemeinschaft. In diesem Jahr wandten bis Anfang Februar bereits 102 Katholiken im Standesamtsbezirk Bad Neustadt ihrer Kirche den Rücken zu.
Sigrid Brunner
 |  aktualisiert: 14.02.2024 01:06 Uhr

Die Unzufriedenheit der Menschen mit der katholischen Kirche wächst. Das spiegelt sich auch in den jährlichen Austrittszahlen wider. Das Münchner Missbrauchsgutachten verschärft die Lage zusätzlich. Dessen Veröffentlichung verursachte eine Erschütterung, die als Nachbeben aktuell auch in den Standesämtern zu spüren ist. Dort sind bereits in diesem Jahr etliche Austritte eingegangen.

Johannes Krebs
Foto: KJA-Regionalstelle Bad Neustadt | Johannes Krebs

Wie sieht man in der katholischen Kirche diese Zahlen? Johannes Krebs ist in der Diözese Würzburg Pastoralreferent und Jugendseelsorger mit Sitz in Bad Neustadt sowie Geistlicher Leiter des BDKJ-Regionalverbandes Rhön-Grabfeld. "Die Kirche hat heute große Probleme, die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit zu erreichen", erklärt er gegenüber dieser Zeitung. Die Gründe dafür seien vielfältig. "Die moralischen Grundlagen der Gesellschaft haben sich im Vergleich zur kirchlichen Lehre deutlich gewandelt." Bei manchen würde die Bedeutung des überlieferten Glaubens oder die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft eine immer geringere Rolle spielen. Andere wiederum würden sinnstiftende Angebote außerhalb der Kirche finden. "Sicher spielt es auch eine Rolle, dass die Kirche aufgrund des Mangels an hauptamtlichem Personal nicht mehr die Angebote aufrechterhalten kann, wie die Gläubigen sie lange Zeit gewohnt waren", sagt er.

Welche Rolle spielt dabei das Missbrauchsgutachten?

Für den Jugendseelsorger spielt bei den neuesten Austrittszahlen auch das jüngste Missbrauchsgutachten eine Rolle. "Es ist ja nicht das erste seiner Art, hat aber einmal mehr das erschütternde Leid vieler Menschen aufgezeigt und den vielfach falschen und unzureichenden Umgang durch kirchliche Verantwortungsträger offengelegt", meint Johannes Krebs. "Es lag der Verdacht nahe, dass man aus Fehlern der Vergangenheit zu wenig gelernt hat." Das sei dann der Tropfen geworden, der bei manchen das Fass zum Überlaufen gebracht habe und nun zum Anlass für einen Kirchenaustritt geworden sei.

Welche Lösungswege gibt es?

Wie kann man darauf reagieren? "Bei der Missbrauchsthematik muss es die nötige Transparenz geben und systembedingte Ursachen ein für alle Mal bereinigt werden, damit sich solche Skandale nicht mehr wiederholen können", betont Krebs. Kirche müsse aber auch danach fragen, wie sie die Menschen wieder mehr in ihrer Lebenswirklichkeit erreichen kann. Das schließe zum Beispiel die Frage nach zeitgemäßen liturgischen Formen, nach Begleitung der Menschen und stärkerer Präsenz in ihrer Lebenswelt ein. "Kirche muss mehr auf die drängenden Fragen unserer Welt hören und zeitgemäße Antworten auf der Grundlage des Evangeliums anbieten."

Die Kirche Mariä Himmelfahrt in Bad Neustadt.
Foto: Sigrid Brunner | Die Kirche Mariä Himmelfahrt in Bad Neustadt.

Es brauche das Bewusstsein, dass Kirche mehr sei als nur das Wirken der Hauptamtlichen oder der Sonntagsgottesdienst. Kirche werde vollzogen, wo Menschen sich im Raum der Kirche karitativ engagieren, ehrenamtlich Beerdigungen durchführen oder Jugendgruppen leiten. "Es geht letztlich um die Förderung der Menschen entsprechend ihrer Fähigkeiten und Talente, die sie zum Wohl anderer einsetzen. Nur so kann Kirche einen guten Weg in die Zukunft finden und das nötige Vertrauen zurückerlangen", ist der Pastoralreferent überzeugt.

Was macht Hoffnung und wirkt aufbauend?

Gibt es in diesen eher schwierigen Zeiten auch positive und aufbauende Erlebnisse? Johannes Krebs bemerkt gerade in der Jugendarbeit, in Jugend- und Ministrantengruppen den dringenden Wunsch nach gemeinsamen Aktionen, Ausflügen und Erlebnissen. Viele hätten in der Pandemie den Zusammenhalt und die Gemeinschaft vermisst und würden jetzt wieder durchstarten wollen. "Dieser Wunsch nach Aufbruch und Neuanfang gerade auch in den jüngeren Generationen gibt mir Grund zur Hoffnung. Es braucht die jungen Leute mit neuen Ideen und Visionen, mit viel berechtigter Kritik am jetzigen Zustand der Kirche." Ihre Stimmen müssten mit denen aus anderen Generationen ernst genommen werden und zu einer in die Zeit passenden Form der Kirche auf dem Grund des Evangeliums beitragen. "Insofern hoffe ich auf die positiven Impulse, die etwa vom Synodalen Weg ausgehen", so Johannes Krebs.

Wie sieht eine Vertreterin des Frauenbundes die Entwicklung?

Marianne Hillenbrand
Foto: Willi Schmidt Photo Lab Schweinfurt | Marianne Hillenbrand

Marianne Hillenbrand ist seit 35 Jahren Vorsitzende des katholischen Frauenbundes Waldberg und seit über 20 Jahren Regionalvertreterin des Frauenbundes für Rhön-Grabfeld. "Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen hätten auch Veränderungen in der Kirche geschehen müssen", sagt sie. "Die Menschen fühlen sich nicht mehr zur Kirche hingezogen." Viele würden zwar schon an Gott glauben, diesen Glauben aber nicht unbedingt mit der Institution Kirche in Verbindung bringen.

Daneben macht aber auch sie die Missbrauchsthematik als eine der Hauptursachen für die wachsende Kirchenferne aus. Dadurch sei der Kirche viel Glaubwürdigkeit verloren gegangen. Daran müsse nun konstruktiv gearbeitet werden. "Kirche muss transparenter werden. Es bedarf einer offenen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle."

Was ist Marianne Hillenbrand als Frau wichtig?

Die Vertreterin des Frauenbundes fordert außerdem: "Man muss auch mal über den Zölibat sprechen." Viele Menschen könnten die priesterliche Lebensform mit der heutigen Zeit nicht vereinbaren. Marianne Hillenbrand plädiert für ein Wahl-Zölibat, nach dem jeder Priester die Wahl habe, wie er sein Priesteramt leben möchte. "Wir hätten dann mehr Priester", ist sie überzeugt. Was ihr außerdem als Frau sehr am Herzen liege, sei der Zugang zu kirchlichen Ämtern für Frauen. Wichtig sind ihre dabei Wertschätzung und Gleichberechtigung der Frauen in allen Leitungsebenen der Kirche. Zumindest das Diakonat sollte für Frauen möglich sein. "Wir arbeiten und machen so viel in der Kirche", argumentiert sie.

Ähnlich wie Johannes Krebs sieht auch Marianne Hillenbrand im Synodalen Weg einen Lichtblick. "Hier wird ernsthaft über Lockerungen nachgedacht und es besteht die Möglichkeit, etwas zu bewegen und zu verändern."

Die Zahlen der Kirchenaustritte

Standesamt Bad Neustadt:
2022: 110 Austritte, 102 kath. und 8 ev.
2021: 440 Austritte, 359 kath. und 81 ev.
2020: 281 Austritte, 207 kath. und 74 ev.
2019: 395 Austritte, 306 kath. und 89 ev. (Stand 7. Februar)
Das Standesamt ist für Bad Neustadt, Bischofsheim, Oberelsbach, Sandberg und die Verwaltungsgemeinschaften Bad Neustadt und Heustreu zuständig.
Standesamt Mellrichstadt:
2022: 22 Austritte und 23 Terminvormerkungen
2021: 109 Austritte
2020: 91 Austritte
2019: 62 Austritte (Stand 7. Februar)
Das Statistik-Programm trennt hier nicht nach Konfessionen. In den Einzugsbereich fallen Mellrichstadt, Hendungen, Oberstreu, Stockheim und Bastheim.
Standesamt Bad Königshofen:
2022: 40 Austritte, 32 kath. und 8 ev.
2021: 160 Austritte, 122 kath. und 38 ev.
2020: 89 Austritte, 55 kath. und 34 ev.
2019: 114 Austritte, 85 kath. und 29 ev. (Stand 8. Februar).
Das Standesamt umfasst den Altlandkreis Bad Königshofen.
Quelle: Standesamt
 
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