
Donnerstag, 15 Uhr: Begeisterte Kinder stürmen Heike Hey entgegen. Für viele ist das Highlight der Woche gekommen. Heute sind fünf Teilnehmer angemeldet. Sie wollen in Heike Heys Malraum ihrer Kreativität freien Lauf lassen.
Die Jungs und Mädchen ziehen sich die bereitgelegten weißen T-Shirts über, die schon bald mit bunten Farbklecksen verziert sein werden. Zur Ausstattung gehören auch dicke Socken, um die Schuhe zu schonen, und ein Namensaufkleber. Das alles liegt längst in Regalfächern für jeden einzelnen bereit. Sind die Kinder in die Kleidung geschlüpft, kann das Malspiel beginnen. Mit wilden Pinselstrichen bringen sie die bunte Farbe aufs Papier. Die Farben riechen leicht nach Marzipan. Alle fangen direkt hoch konzentriert an.

Heike Hey als dienende Kraft
Dafür befolgt Heike Hey, Leiterin des Hey-Malraums in Bad Königshofen, ein ganz besonderes Konzept, das sie von dem verstorbenen Kunstpädagogen Arno Stern übernommen hat. Der in Deutschland geborener Jude emigrierte nach der Machtergreifung Hitlers nach Frankreich. Dort malte er gemeinsam mit Kriegswaisen und eröffnete ein paar Jahre später ein Malatelier. Heike Hey lernte den damals 90-Jährigen und sein Konzept vom Malen ohne Bewertung bei einem seiner Intensiv-Ausbildungskurse in Paris kennen.
In der Mitte des mit Tageslichtlampen beleuchteten Malraums stehen 18 Gouache-Farben mit jeweils drei Pinseln auf dem Palettentisch. Für die Vorbereitung der mischbaren Naturfarben hat Hey zuvor knapp eine Stunde benötigt. "Natürlich ist das ein Aufwand, ich mache das ja ehrenamtlich. Es erfüllt mich aber komplett. Der Malraum ist mein Herzensprojekt", schwärmt die pensionierte Grundschullehrerin.

Die Kinder suchen sich einen beliebigen Platz an einer der vier mit Packpapier verkleideten Wände. Darauf platzieren sie auf Augenhöhe ihr weißes Blatt. Hey, die sich selbst als "Malraum-Dienende" bezeichnet, befestigt das Papier an den beiden oberen Ecken mit zwei Reißnägeln. Die restlichen Reißnägel bringen die Kinder selber an. Das Malen kann beginnen.
Ohne Vorgaben wird einfach drauf losgepinselt. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Wenn ein Reißnagel an einer ungünstigen Stelle platziert ist, eine Farbe verläuft, ein Pinsel ausgewaschen werden muss oder die jungen Künstler ein sonstiges Anliegen haben, steht Heike Hey als kümmernde Kraft zur Seite. "Meine Rolle ist, zu dienen", stellt Hey klar. Somit können sich die Kinder voll und ganz auf das Malen fokussieren.

Der Malprozess steht im Mittelpunkt, nicht das Ergebnis
"Am besten gefällt mir, dass man frei malen kann und es keine Vorschriften gibt", sagt die zehnjährige Oliviera. Während der eineinhalb Stunden pinselt sie ganz vertieft direkt zwei Blätter voll. Die Jüngeren nehmen sich zwischendurch immer mal kleine Pausen, bevor sie sich wieder ihren Kunstwerken widmen. Falls ein angefangenes Bild nicht innerhalb der Zeit fertig wird, kann einfach beim nächsten Mal daran weitergemalt werden.

Hey hebt alle Blätter mit Namen und Datum versehen im Archiv auf. Mit nach Hause genommen dürfen die Bilder aus einem ganz einfachen Grund nicht. "Es soll keine nachträgliche Bewertung von Außenstehenden stattfinden. Schließlich steht nicht das Ergebnis, sondern der Prozess des Malens im Mittelpunkt. Heutzutage wird schon viel zu viel bewertet. Darum geht es hier aber gar nicht", erklärt Hey. Frühestens nach drei Jahren dürfen die Bilder abgeholt werden. Dann sei die Distanz zu der Erstellung der Werke groß genug.
Am Ende der Malstunde räumen die Kinder ihre ausgeborgte Kleidung zurück, waschen sich die Hände und bekommen von Heike Hey jeweils zwei Gummibärchen. Um den Rest kümmert sich die "Malraum-Dienende" selbst. Die Kinder werden abgeholt und gehen zufrieden heim, bevor sie in der Folgewoche wieder in den Malraum zurückkehren.

Malspiel für jedes Alter
Als Motivation für ihr Engagement sieht Hey das selbstbewusste und kreative Arbeiten an den Bildern. "Ich stehe voll hinter dem Konzept und es ist ein Herzenswunsch, das zur Verfügung zu stellen. Diese Kreativität würde ja auch verloren gehen. Das, was in uns drinnen ist, möchte ausgedrückt werden", sagt Hey. Ihr Ziel ist es, den Malraum noch zehn Jahre weiterzuführen. "Wenn eine bunte Welt entsteht, geht mir das Herz auf. Was Besseres gibt es nicht. Ich weiß, dass es den Menschen guttut und viel bewirkt."
Heike Hey und ihr Malraumprojekt
www.hey-malraum.de