
Wer alte Fäden abschneidet, findet oft auch Raum für neue Projekte. Seit Ende August 2022 rattern die Nähmaschinen von "Gitty's Stoff- und Nähstube" nicht mehr in der Innenstadt von Bad Neustadt. Der Blick auf ihren früheren, inzwischen ausgeräumten Laden lässt Inhaberin Brigitte Werner wehmütig werden. Doch sie ist auch dankbar und freut sich über ihr neues Geschäft in Sulzfeld. "Es war eine sehr schöne Zeit in Bad Neustadt, ich bin immer gerne auf die Arbeit gegangen", blickt Werner zurück.

Als die 60-Jährige den Laden im Sommer nach 18 Jahren aufgab, endete eine lange Nähladen-Tradition in der Salzpforte von Bad Neustadt. Vor Brigitte Werner führte Kunigunde Rudolf 31 Jahre lang das Nähgeschäft als "Kuni's Stofflädle". Davor hatte es bereits unter anderer Leitung rund zehn Jahre lang einen solchen Laden an gleicher Stelle gegeben.
Corona und das Internet machten Brigitte Werner zu schaffen
"Corona hat viel kaputt gemacht. Aufträge für Änderungen an Kleidungsstücken hatte ich schon noch. Und es wird seit der Pandemie auch wieder mehr genäht und geflickt. Aber die Stoffe kaufen viele Leute seit der Pandemie nur noch im Internet", hat Werner beobachtet. Verstehen kann die gelernte Schneiderin und Kauffrau für Bürokommunikation das nicht, schließlich müsse man einen Stoff doch sehen und fühlen, bevor man ihn kauft, meint sie.
Zudem würden bei vermeintlich günstigerem Stoff aus dem Internet noch Portokosten anfallen, die Kunden beim Kauf in ihrem Laden nicht zahlen müssten. Ganze Kleidungsstücke wie das Dirndl, auf das sie sehr stolz ist, näht sie schon länger nur noch für sich selbst, denn "in Billigläden und dem Internet bekommt man die heute 'nachgeschmissen', wenn auch nicht immer in guter Qualität", so Werner.
Viele ältere Damen kamen zum Reden in den Laden in Bad Neustadt
Stattdessen nahm sie in "Gitty's Stoff- und Nähstube" Nähmaschinen zur Reparatur an, verkaufte Handarbeitszubehör, bestickte Handtücher, setzte Reißverschlüsse ein, nähte Schultüten oder versuchte, Wünsche der Kundinnen und Kunden zu erfüllen. "Einmal habe ich beispielsweise eine Hose so umgenäht, dass ein Junge mit Behinderung nicht mehr von seinem Stuhl rutschen konnte", erinnert sich Brigitte Werner.

Stammkunden wie ältere Damen, die sich mit dem Internet nicht auskennen, hielten ihr und ihren Mitarbeiterinnen Olga und Emma die Treue. "Eine Frau ließ zehnmal kurz nacheinander ein Kleidungsstück bei mir ändern. Oft kamen gerade ältere Menschen einfach nur, weil sie mit jemandem reden wollten. Ich habe mir gerne Zeit genommen und zugehört", sagt Brigitte Werner.
Arbeitsweg von Kleinbardorf nach Bad Neustadt kostete viel Sprit
Doch alle Mühen reichten nicht: Zuletzt verdiente Werner an kaum einem Tag mehr als 50 Euro, manchmal gar nur 2,75 Euro. Die Miete und weitere Kosten wie für das Benzin von ihrem Wohnort Kleinbardorf nach Bad Neustadt fielen trotzdem weiter an. Zudem seien die Räume stark renovierungsbedürftig, so Werner.
Seit ihr Geschäft geschlossen ist, vermisst Brigitte Werner ihre Kunden und den Plausch mit der Chefin des Teeladens schräg gegenüber: "Wir haben uns jeden Morgen ein gutes Geschäft gewünscht. Oft haben wir zusammen beim Café Elbert etwas getrunken und sind dann schnell aufgesprungen, wenn Kundschaft kam".
Obwohl ihr der Abschied schwer fiel, hat Brigitte Werner mit der Schließung in Bad Neustadt inzwischen ihren Frieden gemacht. Nun blickt sie optimistisch gen Sulzfeld im Grabfeld. Dort steht ihr Elternhaus, in dem sie seit Anfang Oktober nach Terminvereinbarung für ihre Kundinnen und Kunden vieles rund ums Handarbeiten anbietet.
"Von Kleinbardorf sind es nur zwei Kilometer nach Sulzfeld, da kann ich mit dem Fahrrad hinfahren. Ich muss keine Miete für die Räume zahlen, bin flexibler und habe mehr Zeit für meinen Enkel. Mehr verdienen, weniger verdienen, das spielt dann keine Rolle mehr für mich", begründet Werner den Schritt.
Gitty's Stoff- und Nähstube befindet sich seit Oktober 2022 in Sulzfeld, Dorfplatz 11. Termine können unter Tel.: 0151 28336498 vereinbart werden.