
Ein stechender Geruch, vergleichbar mit dem Geruch von angesengtem Haar, steigt in die Nase, wenn man den OP-Saal im Rhön-Klinikum-Campus in Bad Neustadt betritt. Heute steht eine Knieersatz-OP an. Im Raum stehen bereits drei Ärzte am Operationstisch.
Ein Oberschenkel ragt angewinkelt aus einem türkisfarbenen, sterilen Tuch heraus. Unter dem Abdecktuch liegt eine Frau in den Fünfzigern, die heute ein neues Kniegelenk erhält. Es ist eine Operation, von der sich die Frau mehr Mobilität und einen Weg aus dem Schmerz im Alltag erhofft.

An diesem Tag steht Chefarzt Professor Dr. Andre Steinert im OP. Ein Oberarzt und eine Medizinstudentin assistierten ihm. Eine Anästhesistin überwacht die Beatmung und andere Parameter der Patientin. Eine OP-Fachkraft reicht den Ärzten Skalpelle, Sauger und diverse weitere chirurgische Instrumente. Eine sogenannte Springerin assistiert dem OP-Team. Die Ärzte arbeiten ruhig und routiniert. Die Stimmung ist gut. Nur hin und wieder fällt ein Satz. Das OP-Team ist hoch konzentriert auf das Knie der Patientin.
Kein Anblick für schwache Nerven
Der Anblick ist nichts für schwache Nerven. Das Knie ist aufgeschnitten, die Haut ist nach außen geklappt. Aus dem präzise gesetzten Schnitt ragt die Kniescheibe heraus. Ein weißer Knochen, umgeben von blutrotem Gewebe. Blutrinnsale bahnen sich ihren Weg am Unterschenkel entlang. Die Ärzte legen das Kniegelenk frei. So weit, so gut.

Dann kommt schweres Gerät ins Spiel: ein Hammer, eine Säge und ein Werkzeug, das an eine Bohrmaschine erinnert. Die Orthopädie ist – im wahrsten Sinne des Wortes – ein Knochenjob.
Doch weiter geht's: Nachdem die Kapsel auf der Innenseite der Kniescheibe durchtrennt und die Kniescheibe zur Seite geklappt wurde, geht es ans Eingemachte. Das Ärzteteam ist nicht auf sich allein gestellt. Sie haben einen smarten Helfer zur Seite: ein Navigationsgerät. Das ist der Moment, wenn Hightech auf Handwerk trifft. Das Gerät gibt ein virtuelles Bild des Zustandes des Knies an.

Mit einem an einen Akkuschrauber anmutenden Gerät werden sogenannte Marker am Beinknochen befestigt. Diese Marker sammeln Daten, die durch das Navigationsgerät berechnet und in Windeseile auf einem Monitor dargestellt werden. Dadurch wird das Kniegelenk auf den Millimeter genau vermessen. Dies ermöglicht den Operateuren, die optimale Position für das Kniegelenk zu finden. Steinert weiß nun, welche Winkel und Schnitttiefen er setzen kann. Eine 3D-Technologie, die den Arbeitsalltag im OP immens entlastet. "Es ist ein Handwerk mit der Unterstützung von neuster Technologie", sagt Steinert.
Mit Knochenzement wird das neue Gelenk befestigt
Steinert und seine Kollegen bewegen das Bein, dadurch sammelt das Gerät immer weitere Daten. Mit einer Art medizinischer Säge wird das arthrotisch veränderte Kniegelenk Schicht für Schicht abgesägt. Das neue Gelenk glänzt wie ein silbernes Schmuckstück. Es besteht aus Chrom, Kobalt und Titan. Mit Knochenzement wird es an den angesägten Knochen der Patientin befestigt. Das Gröbste hat die Frau nun hinter sich.

Was die Mittfünfzigerin auf dem OP-Tisch gerade mitmacht, hat der Mellrichstädter Werner Rützel schon hinter sich. Er lag vor wenigen Tagen selbst auf dem OP-Tisch von Steinert und seinen Kollegen. Wie die Patientin auf dem OP-Tisch erhielt Rützel ein neues Kniegelenk. Jetzt liegt der Mittsiebziger aufgesetzt im Krankenbett und ist bestens gelaunt. Er lacht über das gesamte Gesicht. Die Freude ist groß, dass die OP glattlief. Schmerzen spürt er noch. Noch. Doch in wenigen Tagen dürfte auch dieser Schmerz vorübergehen.
Rützel konnte schon wenige Stunden nach der OP wieder laufen. Erst mithilfe von Pflegekräften, dann mit Gehstützen. Mit einer Bewegungsschiene übt er inzwischen die Gehmotorik ein. Als Nächstes wird der 75-Jährige auf Reha gehen.

Das Knie, das größte Gelenk im menschlichen Körper, ist im wahrsten Sinne ein Kraftpaket, denn es ist extremen Belastungen ausgesetzt. Fehlstellungen, wie X- oder O-Beine, führen dazu, dass das Knie noch zusätzlich belastet wird. Auch Übergewicht tut den Knien nicht gut. Arthrose ist oft die Folge. Bevor an eine Kniegelenk-OP überhaupt gedacht wird, wird versucht, mit konservativen Therapien das Leid der Betroffenen zu minimieren. Doch irgendwann stößt die konservative Therapie an ihre Grenze. Dann beginnt die Arbeit der Chirurgen.
Das neue Gelenk soll mindestens 20 Jahre halten
Das Prozedere ist für die Patientin auf dem OP-Tisch nichts Neues. Ihr linkes Kniegelenk wurde bereits vor ein paar Jahren ersetzt. Nun war das rechte Kniegelenk dran. Steinert und sein Team wirken nach der Einsetzung des neuen Gelenks zufrieden. Alles hat so funktioniert, wie Steinert es vor der Operation geplant hatte. Es wird ein wenig gesprächiger im OP-Saal. Steinerts Kollege Arne Berner schaut während der OP kurz vorbei, um nach seinen Kollegen zu sehen. Alles im Lot.
Inzwischen macht sich das Team ans Vernähen. Die Haut wird wieder zurückgeklappt, und die Ärzte vernähen das Gewebe, Schicht für Schicht. Mit routinierten Händen verschwindet das silbern glänzende Ersatzkniegelenk im Bein. Dort soll es mindestens 20 Jahre bleiben und die Frau von jetzt an durchs Leben begleiten. Die operierte Frau wird in wenigen Stunden wieder auf den Beinen stehen, so wie Rützel ein paar Tage zuvor. Beide erwartet nach der Reha ein Alltag mit hoffentlich weniger Schmerzen und mehr Beweglichkeit. Dank Prof. Steinert, seinem Team und ihrem Knochenjob.