Zu jeder Erfolgsgeschichte gehört eine Niederlage. Oder wenigstens ein Moment, den man als etwas peinlichen Ausrutscher im Gedächtnis behält. Bei der "Kaufmannsware", der Weisbacher Frauen-Combo, war es der Auftritt im Bad Neustädter Biergarten.
Es war im Gründungsjahr 2009. Die vier Damen hatten an einem Talentwettbewerb teilgenommen. Am Ende sollten sie von der Bühne ziehen und nahmen den falschen Ausgang. "Wir waren aufgeregt und sowas von durcheinander, wir sind dann allesamt draußen neben dem Biergarten auf der Straße gelandet. Und die Jury hat uns gesucht", lacht Edith Hüttner.
Nicht nur Edith Hüttner lacht. Auch Tochter Ilona Zirkelbach lacht. Und die zweite Tochter
Theresa Seiffert. Und natürlich lacht auch Angelika Enders, Ediths Schwester und also die Tante der beiden Jüngsten im Bunde. Wer mit den Vieren zusammensitzt, der kann nicht anders, als in beste Stimmung zu verfallen, selbst wenn Rhöner Dauerregen draußen den Kreuzberg verschluckt.
Eine verführerische Mischung
Sie sind ein quirliges Quartett, die vier Frauen von "Kaufmannsware". Gstanzl, Polkas, Weisbacher Mundart und hin und wieder ein Couplet: Das ergibt eine verführerische Mischung, die nun schon seit zehn Jahren die Rhöner Säle füllt. Und die immer wieder zu der gleichen Frage führt: Was bedeutet "Kaufmannsware" überhaupt?
"Kaufmann ist unser Familienname. Und als wir für ein Plakat zum ersten Auftritt einen Namen brauchten, bin ich irgendwie auf 'Kaufmannsware' gekommen", erzählt Ilona Zirkelbach, wie ihre Mutter Edith eine gebürtige Weisbacherin. Im Haus der Eltern Albin und Lydia Kaufmann haben Edith und Angelika die Musik praktisch mit der Muttermilch aufgesogen.
In der Dorfkapelle wurden Musiker gesucht und im Kirchenchor Gesangsstimmen. Da die beiden Eltern in beiden Institutionen aktiv waren, wurden die drei Töchter kurzerhand verpflichtet. Das prägte Lebenswege, nicht nur wegen der späteren "Kaufmannsware". Enkelin Ilona Zirkelbach ist heute im Hauptberuf Musiklehrerin für Saxophon an der Musikschule in Münnerstadt. Tante Regina, also die dritte der Weisbacher Kaufmann-Töchter, arbeitet ebenfalls als Musiklehrerin im fernen Wien in Österreich.
In die Musik hineingewachsen
"Ja, wir sind in die Musik ganz selbstverständlich reingewachsen. Und weil die Eltern auch im Gastgewerbe tätig waren, gehört auch der Sinn für Geselligkeit dazu", sagt Angelika Enders, heute Chefin der Bäckerei Degetsmühle in Bischofsheim.
Heute sind alle vier Frauen mehr oder weniger Multiinstrumentalistinnen. Edith hat mit dem Saxophon angefangen, bläst aber heute die wummernde Basstuba. Angelika ist noch heute in ihre Melodica aus Kindertagen verliebt, zaubert bei der "Kaufmannsware" aber schöne Melodien auf dem Flügelhorn. Ilona wiederum hat mit Klavier und Blockflöte begonnen, spielt heute aber das Akkordeon im lustigen Quartett.
Weisbacher Dorfleben bereichert
So begannen also die Kaufmann-Töchter mit der Musik und bereicherten das Weisbacher Dorfleben für Jahre. Doch es kam, wie es kommen musste. Edith und Angelika wurden Mütter. "20 Jahre haben wir nicht mehr musiziert", erzählt Angelika Enders. Kind um Kind kam dazu. Das verknappte die Muse für Musik extrem.
Aber die Enkel- und Urenkel-Schar wuchs und bereichert bis heute die Familientreffen in Weisbach. "Zehn Leute sind das Minimum, jeden Freitag wird die Oma in Weisbach besucht, da geht es laut her", erzählt Theresa Seiffert, selbst dreifache Mutter. Opa Albin ist im vergangenen November gestorben, auch er hatte lange die turbulenten Familientreffen genossen.
Nun, das Musizieren und vor allem die Freude daran verlernt man nicht. 2009 wurde für das Backofenfest am Bischofsheimer Gerberzwinger eine musikalische Unterhaltung für den späten Nachmittag gesucht. Angelika Enders griff auf die Schwester und die beiden Nichten zurück. Klare Devise: Etwas mit Mundart. Schon vor 20 Jahren haben die älteren Schwestern beim Weisbacher Altweiberfasching alte Stücke mit selbstgeschrieben Mundart-Texten veredelt.
Das Erfolgsrezept der Wilden Schlehen
Seit zehn Jahren ist genau dies das Erfolgsrezept der "Wilden Schlehen aus der Rhön", wie sich die Frauen im Untertitel nennen: Niveauvoller Viergesang, präzises Zusammenspiel der Instrumente, Rhöner Mundart und viel Humor und lebenskluges Augenzwinkern. All das ergibt eine Mischung, die beim Publikum auch über die Rhön hinaus gut ankommt. Auch dann, wenn sie hin und wieder in das Fach sakraler Gesangsmusik wechseln.
Eine stattliche Zahl von Eigenkompositionen ist in der vergangenen Dekade dazugekommen. Legendär ist zum Beispiel der Bulldog-Song, komponiert für ein Bulldogtreffen in Arnshausen. Musiklehrerin Ilona Zirkelbach ist dann für den Notensatz verantwortlich. Sie und Mutter Edith sind auch zumeist die Texter in der Formation. Sie lieben es, die Dörfer in der Gegend, in der sie aufspielen, mit etwas Spott zu überziehen.
Also werdend die Wegfurter Barfußläufer besungen, die Haselbacher Treppescheißer oder die Schmalwasserer Häsch. Aber auch der Landrat bekommt sein Fett ab, zum Beispiel im Song "Weidmannsheil": "Im Landkreis Rhön-Grabfeld in Rödles zumal, - es hat soeben getagt, lädt Habermann Thomas wie jedes Jahr - zur traditionellen Treibjagd durch Felder und Auen auf haarige Sauen, in Wiesen und Büschen den Hirsch zu erwischen. Den hat der Landrat für teueres Geld - am Vorabend selber hier aufgestellt."
Dialog mit dem Publikum ist wichtig
"Die Leute können bei uns schnell mitsingen, der Dialog mit dem Publikum ist uns ganz wichtig", sagt Ilona Zirkelbach. Darum spielen sie am liebsten in Sälen, die nicht mehr als 100 Zuhörer fassen. Schon mehrfach haben sie Aufnahmen für BR-Heimat gemacht, schon das ist eine Umstellung gewesen. Ende letzten Jahres kam sogar das Angebot, die Närrische Weinprobe des BR im Residenzkeller musikalisch zu bereichern. Aber da war kurz davor Vater und Opa Albin gestorben, dem Quartett fehlte etwas der Draht zu dieser Veranstaltung, die auch so etwas wie ein Sprungbrett bedeutet hätte.
"Wir waren uns da unsicher. Und wir haben den Anspruch, dass alles perfekt ist", sagt Ilona Zirkelbach. Das hört man, wenn die zwei Geschwister-Paare vierstimmig singen so präzise wie ein Uhrwerk. "Man merkt, dass wir ein Schlag sind", sagt Angelika, das Zusammenspiel von Kindesbeinen an macht das Quartett so stimmig.
Es gibt, wenn sich um den rätselhaften Namen "Kaufmannsware" der Nebel gelichtet hat, zumeist eine zweite Frage, die sich bei den vier gestandenen Weibsbildern ergibt. "Und Eure Männer, wie lang machen die das mit?" oder so ähnlich lauten dann die Fragen, die vielleicht nicht ganz in eine gleichberechtigte Gesellschaft passen. "Bei einer Männer-Band würde da kein Mensch fragen", ärgert sich Edith Hüttner. Natürlich liegt bei den Frauen die Hauptlast der Familienverantwortung. Aber es braucht auch Ehemänner, die ihren Part zuhause übernehmen, damit "Kaufmannsware" ein Erfolg sein kann.
Der Erfolg kann sich nur bei wirklicher Leidenschaft einstellen. "Manchmal kommen wir nach langen Arbeitstagen zu einem Auftritt zusammen. Es wird dann doch immer ein Riesenspaß", sagt Ilona. Und den Spaß am Musizieren spürt man - bis nach München. Im vergangenen Jahr erhielten die Frauen von "Kaufmannsware" den Bayerischen Heimatpreis.
Eine schöne Bestätigung der Arbeit war das. Und zum Zehnjährigen beschenkt "Kaufmannsware" sein Publikum mit zwei Jubiläumskonzerten. "Ja, da soll auch etwas Neues dabei sein", deutet Ilona Zirkelbach an. Wer so gut zusammenpasst, dem gehen die guten Ideen auch nicht aus.