Stockheims Bürgermeister Martin Link strahlte mit der Sonne um die Wette: In seiner Gemeinde wurde am Montagnachmittag der erste Verah-am-Ort-Raum im Streutal eröffnet. Das Pilotprojekt für die gesundheitliche Versorgung der Patienten und Entlastung der Arztpraxen auf dem Land wurde mit einem Tusch der Stockheimer Musikkapelle eingeläutet und mit einem Scheck über knapp 500.000 Euro gewürdigt. Den brachte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek persönlich vorbei.
In Stockheim gibt es keine Arztpraxis, dementsprechend groß war das Interesse der Bürgerinnen und Bürger am neuen Angebot am Tanzberg 18 in der Ortsmitte. Klaus Holetschek mischte sich unters Volk, schüttelte Hände und zeigte sich vom neuen Projekt begeistert. "Dieser Behandlungsraum ist eine tolle Chance, um die hausärztliche Versorgung in der Region zu ergänzen und zukunftsfest zu machen." Bei einem Treffen mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Dienstag wollte er das Angebot ebenfalls vorstellen, wie er versicherte. Seine Botschaft an die Politik-Riege in Berlin: "Auf dem Land nimmt man es selbst in die Hand, die ärztliche Versorgung sicherzustellen."
Statt Hausbesuch: Untersuchung im Gemeinderaum
Was ist neu am Konzept von Verah am Ort? Versorgungsassistentinnen in den Hausarztpraxen, sogenannte Verahs, gibt es schließlich schon seit geraumer Zeit. Sie machen Hausbesuche und versorgen Patienten, die nicht zwingend einen Arzt brauchen. Der große Unterschied liegt an besagtem Ort: Nun können die Patienten, die noch mobil sind, auf Empfehlung ihres Hausarztes zu festen Sprechzeiten in den Behandlungsraum in der Gemeinde kommen. Wunden verbinden, Blutdruck messen, Blut abnehmen kann künftig in Stockheim im Verah-Raum in der Alten Schule erfolgen. Auf diese Weise sollen die Verahs Fahr- und Rüstzeiten einsparen und die Arztpraxen entlastet werden.
Alle Ärzte im Streutal unterstützen die Initiative, versicherte Bürgermeister Martin Link, zugleich Vorsitzender der Streutalallianz, als er das Projekt vorstellte. Direkt ins Konzept eingebunden sind Michael Günther und Ute Schloe (beide Mellrichstadt), Marcus Memmler (Ostheim) und Angela Weber (Nordheim) sowie die Verahs ihrer Praxen, Simone Günther, Sabine Scheidler, Jasmin Reuter und Helga Weigand. Ute Schloe und Angela Weber lobten das Projekt im Gespräch mit dieser Redaktion. "Die Idee ist sehr gut und orientiert sich an den Bedürfnisse der Patienten. Jetzt sind wir selbst gespannt, wie es anläuft."
Erstmals am 25. Mai: Die Verah kommt nach Stockheim
Noch müssen die Ärztinnen und Ärzte in den Praxen den Bedarf ermitteln, wie oft und wie lange ihre Verahs Sprechzeiten im Behandlungsraum anbieten. Ute Schloe, Angela Weber und Marcus Memmler werden nach Pfingsten starten, Simone Günther wird bereits an diesem Donnerstag, 25. Mai, von 10 bis 11 Uhr erstmals als Verah am Ort in Stockheim die Patienten der Praxis "Die Hausärzte" betreuen.
Patienten mit Rollstuhl oder Rollator, für die der Weg in die Praxis nach Mellrichstadt bislang beschwerlich und mit Aufwand verbunden war, können nun auf kurzem Weg zur Behandlung kommen, nennt Günther als Vorteil. Wenn nötig, könne sie über Telefon oder Telemedizin Kontakt zum Arzt aufnehmen, für die digitale Ausstattung des Raums hat die Gemeinde gesorgt.
Alle Projektpartner klagen über zu viel Bürokratie
Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Die Partner, die das Projekt entwickelt haben, ließen Revue passieren, welch bürokratische Hürden es auf dem Weg dahin zu überwinden galt. Die Initiatoren des Vereins Heimatunternehmen bayerische Rhön, Werner Palancares und Felix Schmidl, sowie Dr. Michael Günther machten deutlich, dass es vier Jahre, 4500 E-Mails, zermürbende Formalien und jede Menge Durchhaltevermögen brauchte, bis man endlich am Ziel angekommen war. Ebenfalls im Boot: Die Bürgermeister der Streutalallianz, Landtags- und Bundestagsabgeordnete sowie Gesundheitsökonomin Julia Bräuer und Projektleiter Reiner Hofmann von der Universität Bayreuth.
Die Universität hatte sich im vergangenen Jahr damit beschäftigt, wie das Projekt umgesetzt und finanziert werden kann. Der Freistaat Bayern förderte dies mit 50.000 Euro. Für die weitere Finanzierung hatte das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege nochmals 500.000 Euro für die praktische Umsetzung, die wissenschaftliche Begleitung und die Auswertung des Projekts zugesichert. Den symbolischen Scheck übergab Klaus Holetschek an Bürgermeister Martin Link.
Zweimal die gleiche Arbeit, aber nur einmal gibt es Geld
Mit dem Geld werden aber auch die Leistungen der Verahs vergütet, wie Reiner Hofmann im Gespräch mit dieser Redaktion anführte. Denn die Ärzte können diese Leistung bisher nur abrechnen, wenn die Verah den Patienten zuhause besucht. Wenn sie die Person in dem eingerichteten Raum versorgt, ist dies noch nicht möglich. "Denn das steht nicht im Regelleistungskatalog der Kassenärztlichen Vereinigung", beschreibt er die verzwickte Lage. Bürokratismus in Reinkultur, möchte man sagen.
Wie kann das Problem gelöst werden? "Wir haben nun ein Jahr Zeit, um zu beweisen, dass die Einrichtung eines solchen Raums wirtschaftlich ist und eine Entlastung für die Ärzte und die Verahs bringt", macht Hofmann deutlich. Dann könnte die Vergütung in den Leistungskatalog aufgenommen werden. Auch Hausärztin Angela Weber hadert mit dem augenblicklichen Prozedere: Sie moniert, dass die Kassenärztliche Vereinigung (KV) nur nach dem Hier und Jetzt urteile, was bedeutet, dass es im Landkreis noch eine Überversorgung an Ärzten gebe. "Wenn man aber das Alter der Hausärzte zugrunde legt, werden wir in wenigen Jahren einen Ärztemangel haben. Dann kann sich das Konzept Verah am Ort auszahlen."
Davon zeigte sich auch Gesundheitsminister Klaus Holetschek überzeugt. "Wir müssem den Mut haben, neue Dinge auszuprobieren und dürfen uns von Bürokratie nicht vom Ziel abbringen lassen. Jeder Cent, der in das Projekt fließt, ist gut investiertes Geld", machte er deutlich. Auch Landrat Thomas Habermann kritisierte die "Erbsenzählerei" der KV bei der Abrechnung, lobte aber die Initiative und die Bereitschaft zur Veränderung bei allen Beteiligten. "Dann ist mir auch nicht bange um eine gute ärztliche Versorgung in der Zukunft", so der Kreischef.