Mit einem zuversichtlichen, freundlichen Lächeln, blauen Haaren und offenen Armen empfängt und verabschiedetet eine überdimensionale Frauenfigur Sonne und Gäste am Wohnhaus von Eva und Albert Warmuth in Wargolshausen. "Gracias a la Vida" (Danke an das Leben) ist der Name der selbstgestalteten Skulptur und vielleicht auf den ersten Blick genauso ungewöhnlich wie der Rest des Hauses.
Denn als Albert und Eva Warmuth vor fast 24 Jahren begannen, ihr Haus am Ortsrand von Wargolshausen zu realisieren, betraten sie baurechtlich völliges Neuland. Als echte Pioniere errichteten sie das nach ihren Angaben erste genehmigte Strohballenhaus Deutschlands – ein besonderes, architektonisches Schmuckstück.
"Ziegel" vom Acker in der Rhön, Baustoffe aus der Region
Schon als Albert und Eva vor über 30 Jahren, als "Bio" für viele fast noch ein Fremdwort war, beschlossen, ihren Bauernhof auf eine ökologische Bewirtschaftung umzustellen, waren sie Vorkämpfer in diesem Bereich. Kein Wunder also, dass sie auch beim Bau des eigenen Bauernhofes mit Wohnhaus andere, innovative Wege einschlugen.
Wo es möglich war, verwendeten sie nachwachsende Roh- und Baustoffe aus der Region. Lehm und Holz kamen aus nächster Umgebung, das Stroh von den eigenen Feldern des Biobetriebs. Wenngleich die Menschen seit tausenden von Jahren weltweit mit diesen Stoffen Behausungen bauen, mussten hierzulande erst Behörden und Versicherungen überzeugt und unzählige Hürden der deutschen Bürokratie überwunden werden. "Was habt Ihr vor? Ein Haus aus Stroh?". Diese oder ähnliche Fragen mussten sich Warmuths öfter anhören. Dennoch hielten sie an ihrem Projekt und ihrer Vision fest.
Brennen Strohballen schneller als Ziegel?
Die oft gestellte Frage, ob ein Strohhaus schneller abbrennen würde als ein "normales" Haus, beantwortet Albert Warmuth anschaulich und mit einfach Worten. "Ein einzelnes Blatt Papier brennt lichterloh, ein Telefonbuch hingegen nicht. Die Gase ersticken das Feuer wieder. So ist das auch beim gepressten Stroh."
Auch die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig (FAL) habe die Frage mit einem deutlichen, fachlich geprüften "Nein" beantwortet. "Wir haben dort unsere Hauswand auf- und nachgebaut. Bei einem Brandversuch mit Ölbrennern hätte unsere Bauweise mindestens 30 Minuten durchhalten müssen. Nach 97 Minuten schalteten die FAL-Prüfer überrascht die Testmaschinen aus und zertifizierten unsere Strohballen als FS90 und brandsicher", erzählt Albert Warmuth.
In Amerika gibt es seit mehr als 100 Jahren Strohhäuser
Eva Warmuth ist neben ihrem Beruf als Biobäuerin als freischaffende Künstlerin tätig. Sie war es auch, die in vielen Bereichen des Hauses künstlerische Elemente einarbeitete und die den Anstoß zur Strohbauweise gab. "Mitte der Neunzigerjahre gestaltete ich eine große Figur, welche nicht in unsere damaligen Räumlichkeiten passte. Da es Winter war, baute mir Albert kurzerhand und aus der Not heraus ein Strohballen-Atelier. Die Idee, auch unser Wohnhaus aus Stroh zu bauen, kam dann von Alberts Bruder Manfred, der in den USA lebt. Dort werden derartige Häuser schon seit etwa 100 Jahren gebaut."
Gefesselt von dieser Idee, begutachteten Albert und Eva Warmuth ähnliche Bauten – etwa in Holland –, sammelten Erfahrungsberichte und konkretisierten ihre Pläne. Nach vier Jahren intensiver Planung und Genehmigungsverfahren begannen im Jahr 2000 die Bauarbeiten.
Festgepresste Ballen sorgen für effiziente Dämmung
Die Konstruktion des 380 Quadtratmeter-Strohballenhauses der Warmuths sieht wie folgt aus: Ein Holzständergerüst – zum Schutz gegen Feuchtigkeit – wurde zuerst errichtet. Die Außenwände und den Fußboden bilden extra festgepresste Strohballen. Der Dämmwert ist dabei um ein Vielfaches effizienter als etwa vergleichbare Mauern aus 36er-Porotonziegeln.
Ein Lehm-Sandputz dichtet ab und sorgt für eine schadstofffreie Raumluft, ausreichend Luftfeuchte und warme Wandoberflächen. Die Innenwände bestehen aus ungebrannten Lehmsteinen – sogenannte Grünlinge. "Neben einer hohen Energieeffizienz war uns auch wichtig, dass wir natürlich Rohstoffe verwenden, die auch, wenn wir vielleicht nicht mehr da sind, umweltfreundlich entsorgt werden können", sagt Eva Warmuth.
Warmuths aus Wargolshausen setzten schon früh auf erneuerbare Energien
Mit einer Fotovoltaik-Anlage auf dem Nebengebäude, einem großen Warmwasserspeicher und einer neuen Wärmepumpe versorgen sich die Warmuths mit Strom und Wärme größtenteils autark und speisen oftmals sogar mehr in das Netz ein, als sie selbst im Wohnhaus verbrauchen.
Das Motto "wenig verbrauchen – selbst produzieren" zahle sich nun aus. Deshalb blickt Albert Warmuth gelassen auf die aktuelle Debatte mit steigenden Strom- und Heizkosten: "Die Technologie gab es ja auch vor 25 Jahren schon. Wir sind froh, dass wir damals bereits auf die Erzeugung regenerativer Energie gesetzt haben."
Optisch ist nicht zu erkennen, dass beim Bau Strohballen statt herkömmlicher Ziegel verwendet wurden. Nur ein kleines Demonstrationsfenster zeigt noch die gepressten Halme in der Wand. Was das Anwesen – neben der exponierten Panorama-Lage – besonders macht, sind die vielen kleinen und großen Details abseits vom Standard – "warmuthig" eben.
Ob riesige Außenbadewanne aus einem alten Käsebottich, ein großes Liegefenster mit Blick in die Rhön oder die zahlreichen Kunstwerke von Eva Warmuth, die – drinnen wie draußen – aus einem Wohnhaus einen kreativen Lebensort machen. Gracias a la Vida!