Ein Leben ohne Gänse ist für Bernd Ullrich aus Stockheim eigentlich undenkbar. Seit er ein kleiner Junge war, hat er Gänse gehalten, zuerst auf dem Hof der Großeltern im thüringischen Stedtlingen. Auch in den 43 Jahren, die er nun schon im alten E-Werk in Stockheim lebt, gehörten Gänse immer zu seinem Leben. Seit vergangener Woche aber ist alles anders: Die Vogelgrippe hat fast den ganzen Bestand dahingerafft.
Von neun Gänsen sind ihm nur noch zwei geblieben. Sie machen jedoch auch keinen besonders gesunden Eindruck. "Als das erste Tier starb, habe ich gleich das Veterinäramt informiert", sagt der 79-Jährige. Dort sei man sofort tätig geworden und habe Proben genommen. Als das dritte Tier verendet war, sei vom Landratsamt die Bestätigung gekommen. "Man ist sich zu 99,9 Prozent sicher, dass es sich um die Vogelgrippe H5N1 handelt", so Bernd Ullrich, der die Nachricht über den Vorfall über Facebook verbreitete.
Ullrichs Gänse zählen als Wildbestand
Am Dienstagmorgen bestätigte Dr. Markus Blöck, Leiter des Veterinäramtes am Landratsamt Rhön-Grabfeld, die Vogelgrippe-Fälle. "Heute kam die Bestätigung vom Friedrich-Loeffler-Institut", so der Veterinärmediziner. "Ganz wichtig: Der Bestand gilt als Wildvogelbestand, die Tiere bewegen sich frei im Areal des Feuchtbiotops", so der Fachmann. Entsprechend ist auch keine Haltung angemeldet. Deshalb werden diese Fälle auch im Rahmen des Bayerischen Wildtier-Monitorings erfasst.
Am Mittwoch nun teilte das Landratsamt Rhön-Grabfeld den Erlass einer Stallpflicht für Haus und Nutztiergeflügel mit. Diese gilt ab Donnerstag. "Zum weiteren Schutz von Haus- und Nutztiergeflügel wird deshalb neben den bereits am 7. Dezember durch das Landrtatsamt Rhön-Grabfeld verfügten allgemeinen Biosicherheitsmaßnahmen die Stallpflicht für in Gefangenschaft gehaltener Vögel (Hühner, Perlhühner, Rebhühner, Fasane, Laufvögel, Wachteln, Enten und Gänse) in der Gemeinde Stockheim sowie den Gemarkungen Ostheim, Mellrichstadt, Eußenhausen, Mühlfeld, Roßrieth und Sondheim/Grabfeld verfügt", so die Pressemitteilung des Landratsamtes. Die Allgemeinverfügung gilt für gewerbsmäßige Geflügelhaltungen als auch für Züchter und Privatpersonen.
"Ich habe die Vermutung, dass es mit durchziehenden Nilgänsen zu tun haben könnte. Die wurden in den vergangenen Tagen einige Male gesichtet", erklärt Ullrich. Der ist immerhin über eine Sache beruhigt: "Die Tiere sind nicht vergiftet worden, das wäre für mich schlimmer gewesen", sagt Ullrich. Zwar gehören die Gänse, die auf einer kleinen Insel in der Streu leben, quasi zum Ortsbild und werden immer gerne auch von Spaziergängerinnen und Spaziergängern aufgesucht. Aber er habe auch schon Attacken durch Hunde auf seine Tiere erlebt, die wohl gesteuert waren.
Der Vogelgrippefall in Stockheim, der jetzt vom Friedrich-Loeffler-Institut bestätigt wurde, ist in freier Wildbahn nichts Ungewöhnliches. "Wir wissen, dass die Vogelgrippe bei Wildtieren vorkommt, jetzt haben wir zwei bestätigte Fälle", so Blöck. Im Februar wurden beispielsweise im Landkreis Haßberge ebenfalls Fälle bei Wildvögeln gemeldet. "Das geschieht immer wieder in der Vogelgrippe-Saison, es gibt keinen besonderen Grund zur Beunruhigung", ordnet Blöck die Gefährdungslage ein.
Auch die neuerliche Allgemeinverfügung werde zwischen Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit abwägen. Bereits Anfang Dezember hatte das Bayerische Umweltministerium verstärkte "Biosicherheitsmaßnahmen" gegen die Geflügelpest angeordnet. In Themar im Nachbarlandkreis Hildburghausen musste zu Monatsbeginn ein kompletter Gänse-Bestand von rund 2300 Tieren gekeult werden, nachdem in einem Betrieb die Vogelgrippe festgestellt worden war.
Unterdessen bittet Ullrich, viele Jahre Gemeinderat in Stockheim, umliegende Geflügelhalter um erhöhte Vorsicht. Für Bernd Ullrich selbst endet nun nach vielen Jahren ein liebgewonnenes Hobby. "Aufgrund unseres fortgeschrittenen Alters werden wir die Gänsehaltung nach 43 Jahren endgültig beenden. Wir danken allen wohlgesonnenen Tierfreunden, die wir in diesen Jahren kennenlernen und erleben durften, die unsere Freude an den stolzen Kreaturen teilten", lässt der 79-Jährige auf seiner Facebook-Seite wissen. Den Bestand wieder aufzufrischen, wie es in früheren Jahren der Fall war, als er noch offiziell eine Haltung betrieb, das komme jetzt nicht mehr infrage. Eine Nachricht, die der eine oder andere Stockheimer, die eine oder andere Stockheimerin mit etwas Wehmut quittieren dürfte.