Doch jetzt ist sie tot wie die zehn anderen Gänse auch. Zwei Tierärzte des Veterinäramtes waren am Mittwochabend in Schutzanzügen gekommen und schläferten die Tiere ein. Am Donnerstag morgen wurden sie abgeholt und fachmännisch entsorgt.
Mühsam eingefangen
Am Dienstag ist es sehr spät geworden, bis Bernd Ullrich aus Stockheim endlich aus der eiskalten Streu steigen konnte. Es war schon stockdunkel, bis er die letzte seiner Gänse eingefangen, in den Pferch aus grünem Perlon-Netz gesteckt hatte und endlich seine Wat-Hose wieder ausziehen konnte.
Alle elf Gänse, auch die eigenwillige Steinbacher Kampf-Gans, waren nach einer mühsamen Hatz eingesammelt. In der letzten Woche, als Bernd Ullrich schon seine indischen Laufenten zusammen treiben wollte, hatten ihm die Freunde von der Reservisten-Kameradschaft geholfen. Die Stallpflicht als Konsequenz aus dem Auftreten der Vogelgrippe in Deutschland könnte nun das vorläufige Ende seines Hobbys bedeuten.
Nachdem es keine Sondergenehmigung für die Freilandhaltung der quasi wild lebenden Gänse gibt, gleichzeitig aber auch keine Möglichkeit, die Tiere artgerecht irgendwo unterzubekommen, blieb Ullrich nichts anderes übrig, als beim Veterinäramt um Amtshilfe zu ersuchen. Es war kein leichter Morgen für Bernd Ullrich, den Gänse-, Hühner- und Entenfreund.
Keine Ausnahmegenehmigung
Mit einer Ausnahmegenehmigung wollte der Wirtschaftsberater eigentlich retten. Denn als klassisches Nutzgeflügel sieht der gebürtige Thüringer seine Tiere nicht. "Es handelt sich um seit bis zu 26 Jahren in einem Freilandbiotop freilebende Haustiere", hatte Ullrich in seinem Antrag an das Bad Neustädter Veterinäramt letzte Woche noch geschrieben.
Auf Grund ihres Lebensalters kämen sie für eine Schlachtung nicht in Frage. Einer Tötung stünden tierschutzrechtliche Gründe entgegen, so der Züchter weiter in seinem ursprünglichen Antrag. Allerdings: Das Seuchenschutz-Gesetz hebt das Tierschutz-Gesetz auf.
Der Bau eines gesetzeskonformen Stalles wäre eine weitere Schwierigkeit. Denn die etwa 3000 Quadratmeter große Insel am ehemaligen Stockheimer E-Werk, wo Bernd Ullrich lebt, ist Eigentum der Gemeinde Stockheim. "Laut Gemeinderatsbeschluss steht mir die Insel lediglich im Rahmen des Allgemeingebrauchs zur Verfügung", erklärt Ullrich weiter. Er dürfe also keinen auch nur zeitlich befristeten Stall auf Gemeindegrund errichten. "Außerdem besteht derzeit Hochwassergefahr", weist der besorgte Tierfreund auf ein weiteres Problem hin.
Nicht nur wegen des möglichen Hochwassers ist die Zeit für die Aufstallung derzeit sehr ungünstig. "Jetzt beginnt die Balzzeit bei den Gänsen. Das heißt, sie werden gegeneinander aggressiv und führen Rangkämpfe", erklärt der Fachmann. Wenn die Tiere dann noch zusammengepfercht werden müssen, könne das böse Folgen haben.
Ein Leben im Stall nicht gewohnt
Gewöhnt sind sie an einen Stall nicht. Die Tiere sind frei laufend. Weder füttert Bernd Ullrich sie noch betreibt er eine planmäßige Zucht. "Die Tiere legen und brüten ausschließlich im Freiland", versichert der Stockheimer. Gerade das ermöglicht ihm längere berufliche Aufenthalte im Ausland. Die Stockheimer Geflügel-Insel, humorvoll mit dem Ortssschild "Entenhausen" versehen, ist sozusagen autonomes Gebiet.
Mit seinen Tieren beziehungsweise der Stallpflicht muss er mehr oder weniger alleine klar kommen. "Wer sollte in diesen Zeiten der Vogelgrippe-Hysterie bereit sein, meine Tiere in Pension zu nehmen? Wer tut sich diesen Stress an?", fragt Ullrich, der die negative Antwort darauf schon selbst gibt. Überhaupt würde jeder der Haftungsfrage aus dem Weg gehen. Denn was passiert, wenn ein möglicherweise infiziertes Tier das Virus auf einen nahen Geflügelhof übertragen würde, spekuliert Ullrich.
Die Gleichstellung seiner Tiere mit Wildtieren und damit der Verzicht auf die besonderen Auflagen hat er beim Veterinäramt nicht erreicht. Für den Amtsveterinär Dr. Reiner Kortmann vom Landratsamt war es keine leichte Entscheidung. "Wir haben monatelang hin und her überlegt, wie wir in diesem Fall handeln sollen", so Kortmann gegenüber dieser Zeitung.
"Aber hier handelt es sich um einen, wenn auch halb verwilderten, Haustier-Bestand", so das Urteil des Veterinärs. "Und deshalb können wir keine Ausnahmeregelung treffen", so Kortmann weiter. "Wir handeln hier auch im Sinne eines übergeordneten Tierschutzes", macht Kortmann klar.
Fair behandelt vom Veterinäramt
So traurig die Tötung seiner elf Gänse ist, so fair fühlt sich Ullrich allerdings vom Veterinäramt behandelt. "Wir haben ein langes Gespräch geführt und noch in letzter Minute nach einer Chance gesucht, das Einschläfern abzuwenden", lobte Ullrich gestern gegenüber der MAIN-POST die Beamten.
"Hier geht die Sicherheit absolut vor", so Landrat Thomas Habermann gestern gegenüber der MAIN-POST. Nachdem Ullrich beim Veterinäramt um Hilfe und Rat angesucht habe, sei man tätig geworden. "Wir haben letztendlich eine einvernehmliche Lösung gefunden", so der Landrat weiter.
Angesichts der aktuellen Lage rechnet er mit Verständnis für das Vorgehen seiner Behörde.