Bis zu fünf Monate müssen Kinder mit Förderbedarf in Rhön-Grabfeld aktuell warten. Erst dann kann ihre Therapie nach Anmeldung bei der Frühförderstelle Bad Neustadt beginnen. Der Grund: Mit im Schnitt 330 Kindern ist die Einrichtung mitsamt den Außenstellen in Mellrichstadt und Bad Königshofen derzeit mehr als ausgelastet. Alle vorhandenen Räume in der Meininger Straße unterhalb der BayWa-Kreuzung in Bad Neustadt sind von früh bis spät belegt, das Team muss dauernd umräumen, damit die Zimmer für mehrere Zwecke genutzt werden können.
Es sind entscheidende fünf Monate, die Säuglingen und Kindern bis zum Vorschulalter so verloren gehen. Die Rede ist von Kindern, bei denen eine körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigung oder Entwicklungsverzögerung vorliegt, beziehungsweise, die davon bedroht sind.
Deshalb benötigt die Frühförderstelle Bad Neustadt dringend mehr Fläche
Der Bedarf an Frühförderung steigt, weiß Jens Fuhl, Geschäftsführer des Träger-Vereins Lebenshilfe Rhön-Grabfeld. Als Grund nennt er den inzwischen höheren Anteil an schwerst betroffenen Säuglingen, aber auch eine Zunahme von seelischen Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten, unter anderem durch die Corona-Pandemie. Durch die heute engmaschigen Vorsorgeuntersuchungen fielen Defizite zudem früher auf. Auch sei es inzwischen kein Stigma mehr, Hilfen in Anspruch zu nehmen.
In der Frühförderstelle unterstützt ein interdisziplinäres Team aus Psychologen, Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten die Entwicklung dieser Kinder. Ein Erfolgsmodell: Denn am Ende besuchen 90 Prozent der Frühförder-Kinder eine Regelschule, sagt Fuhl. Umso mehr schmerzt ihn sinnlose Wartezeit: "Gerade im frühkindlichen Bereich ist das ein Riesenproblem." Da müsste es möglichst sofort losgehen, sobald eine Beeinträchtigung festgestellt wurde.
Bis Herbst 2025 soll das ehemalige Zollamt in der Rederstraße saniert sein
Entsprechend erleichtert sind Fuhl und sein Team, dass sich die Situation voraussichtlich ab September 2025 entspannt: Dann soll die Sanierung des alten Zollamts in der Rederstraße Bad Neustadt, das die Lebenshilfe Rhön-Grabfeld vergangenes Jahr erworben hat, abgeschlossen sein. Dorthin wird die Frühförderstelle umziehen. Die bislang genutzten Räumlichkeiten in der Meininger Straße sind bereits verkauft und für die Übergangszeit nur noch angemietet.
Im früheren Zollamt sollen mehr und modernere Therapieräume – darunter Matsch-, Musik- und Bewegungsräume sowie ein Bällebad – für die Frühförderung entstehen. Auch die "Offenen Hilfen" mit Beratungsangeboten für Eltern von Kindern mit Behinderung werden dorthin umziehen. Bisher ist die Offene Behindertenarbeit (OBA) in der Villa Göb gegenüber der Stadthalle untergebracht. Die dort frei werdenden Flächen wiederum werden für die Lebenshilfe-Geschäftsstelle, die dort ebenfalls ihren Sitz hat, benötigt.
Wer das Projekt unterstützt: von den Sternstunden bis zur Stadt Bad Neustadt
Mit Umzug ins Zollamt gewinnen beide Einrichtungen deutlich an Fläche: Die Frühförderung wächst von 460 auf 680 Quadratmeter, die OBA - sie soll künftig im Dachgeschoss untergebracht sein - von 70 auf 300 Quadratmeter. Zudem wird die neue Örtlichkeit barrierefrei zugänglich sein und ausreichend Parkplätze zur Verfügung stellen. Die Nähe zur Innenstadt komme den Eltern entgegen, die Wartezeiten zum Einkaufen nutzen könnten. Für die OBA ist die nahe Bushaltestelle und der Bahnhof von Bedeutung.
Veranschlagt ist die Sanierung mit 3,2 Millionen Euro. "Eine Riesen-Summe", die die Lebenshilfe allein niemals hätte stemmen können, so Fuhl. Entsprechend froh ist er, dass Fördergeber das Potenzial des Projekts erkannt hätten, denn staatlich könnten Frühförderstellen nicht gefördert werden. Einen Löwenanteil des Projekts trägt nun mit 1,2 Millionen Euro die BR-Initiative Sternstunden, Aktion Mensch steuert 600.000 Euro zu, die Stadt Bad Neustadt 160.000 Euro, 220.000 Euro die Landessstiftung, 239.000 Euro sollen über energetische Förderpakete laufen. Letztlich verbleibe so "nur" ein Eigenanteil von rund 1 Million Euro bei der Lebenshilfe.
Vom sozialen Brennpunkt zu sozialem Miteinander:
Auch die Stadt Bad Neustadt profitiere letztlich von der Entwicklung, so Fuhl. Jahrelang war das ehemalige Zollamt leer gestanden. Zuletzt hatte es sich zu einer Art sozialem Brennpunkt entwickelt, wie zahlreiche Graffitis und Hinterlassenschaften im mittlerweile entkernten Rohbau verraten. Seit die Lebenshilfe das Grundstück eingefriedet habe, sei diesbezüglich Ruhe eingekehrt.
Gekauft hatte die Lebenshilfe Rhön-Grabfeld das Gebäude im Februar 2023 "weit unter Verkehrswert, weil für einen sozialen Zweck". Verkäufer war die Bundesanstalt für Immobilien-Aufgaben, als Zwischenkäufer fungierte aus rechtlichen Gründen die Stadt Bad Neustadt. Ende vergangenen Jahres wurde der Bauantrag genehmigt. Inzwischen wurden im hinteren Bereich erste Gebäudeteile abgebrochen, das Thema Altlasten durch neue Gutachten ausgeräumt: "Da besteht keine Gefahr", so Fuhl.
So soll das Gebäude umgestaltet werden: neuer Eingangsbereich mit Aufzug und Klimadecken
Wie die Architektenfamilie Karch-Fuchs aus Leutershausen – Michael Karch, Sabine Karch-Fuchs und Lena Karch – erläutern, sei geplant, eine Etage in Holzbauweise mit Pultdach aufzustocken. Das so entstehende neue Dachgeschoss wird dann die OBA beherbergen. Ein neuer Eingang mit Treppenhaus und Aufzug soll das Gebäude barrierefrei machen. Raumquerschnitte und Zimmeraufteilung könnten größtenteils erhalten bleiben. Die Gebäude-Hülle würde energetisch saniert, die Fenster ersetzt. Eine Photovoltaikanlage generiert den Strom für die Wärmepumpe. Das Gebäude werde komplett mit Klimadecken ausgestattet, die einerseits heizen, aber den Raum genauso kühlen können, so Sabine Karch-Fuchs.
Mit dem Umzug werde ausreichend Platz da sein, um auch in den nächsten Jahren einen noch wachsenden Bedarf an Frühförderung abdecken zu können, ist Lebenshilfe-Geschäftsführer Fuhl überzeugt. Einzige Unwägbarkeit, die er sieht: Es brauche auch künftig, das schon heute mitunter knappe, qualifizierte Personal.