Es kracht, knallt und riecht nach Verbranntem. Während viele Menschen aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld das neue Jahr mit einem farbenfrohen Feuerwerk begrüßen, bedeutet der 31. Dezember für Tiere Stress. Besonders Hunde oder Wildtiere reagieren mit Panik. Die Redaktion hat bei Tierärztin Dr. Renate Diestel (58), die seit über 20 Jahren eine Kleintierpraxis in Unsleben betreibt, nachgefragt, wie Haustiere vor Böllern und Raketen geschützt werden können und worauf an Silvester geachtet werden sollte.
Renate Diestel: Tiere haben ein feineres Gehör und nehmen Töne wahr, die Menschen nicht hören. Auch der Geruch nach Verbranntem macht ihnen Angst. Neben Haustieren betrifft das vor allem Wildtiere. Wildtiere assoziieren das Geräusch von Feuerwerk mit einem Schuss. Das löst einen Fluchtreflex aus, der im Winter viel Energie unnötig verbraucht.
Auch Hunde besitzen diesen Fluchtreflex. Laut der Tierschutzorganisation TASSO wurden im vergangenen Jahr an Silvester und Neujahr 667 Hunde als vermisst gemeldet, die teilweise aufgrund des Feuerwerks vor lauter Panik abgehauen sind. Deshalb sollten Hund um Silvester draußen unbedingt angeleint bleiben.
Diestel: Gerade Böller, die wie Sirenen oder ein Heulen klingen, sind für Tiere eine Belastung. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass andere Feuerwerkskörper ungefährlich sind. Generell ist Feuerwerk für Tiere zu laut. Für sie ist das purer Stress. Denn sie wissen nicht, dass das Feuerwerk in einer Stunde vorbei ist. Für sie zählt nur das Hier und Jetzt und das mit voller Wucht. Ich kenne Kunden mit panischen Hunden, die mit dem Auto in die Hochrhön fahren oder eine Stunde auf der Autobahn unterwegs sind, weil es dort ruhig ist.
Diestel: Die einzige Lösung wäre, das Böllern sein zu lassen, auch im Sinne des Klimawandels. Es ist nicht mehr angesagt und aus Sicht der Tiere gehört es verboten. Feuerwerk ist selbst außerhalb der Ortschaften noch zu hören. Dabei sind Wildtiere aufgrund der dichten Besiedlung bereits einer hohen Belastung ausgesetzt und haben keinen ruhigen Fleck mehr. Dann kommt noch Silvester, das verlangt viel von den Tieren.
Diestel: Das funktioniert bedingt, man kann das Tier schon etwas darauf konditionieren. Ich würde aber dazu raten, dass Haustierbesitzer nicht im größten Getöse feiern, sondern gemütlich mit Freunden den Abend verbringen. Vor allem Hunde merken, wenn Menschen aufgeregt oder gestresst sind, deshalb gilt: Umso entspannter sich die Besitzer verhalten, umso entspannter verhält sich auch das Tier. Es bekommt dann gar nicht erst impliziert, dass eine Gefahr droht.
Diestel: Das kann funktionieren, wenn ich das Geräusch mit etwas Positivem verknüpfe. Dann wird das Feuerwerk nicht als Bedrohung wahrgenommen. Wichtig ist darauf zu achten, dass die Geräusche nicht in einer so hohen Lautstärke abgespielt werden, dass es bereits im Vorfeld zu Panik kommt. Die Lautstärke sollte langsam gesteigert werden.
Diestel: Ich empfehle, im Haus zu bleiben und den Fernseher oder das Radio anzumachen. Das lenkt das Tier ab und übertönt die Geräusche von draußen. Viele versuchen, ihr Tier mit Leckerlis abzulenken, auch das kann funktionieren. Hilfreich ist bei Hunden ein langer Spaziergang vor dem Silvesterabend, dadurch ist das Tier ausgepowert und möchte nur noch schlafen. Bei Katzen können Pheromone helfen, die in der Wohnung versprüht werden. Dabei handelt es sich um einen Duftstoff, der eine beruhigende Wirkung hat.
Diestel: Es muss etwas sein, was das Tier kennt. Bei Hunden wäre das das Körbchen. Wer Silvester nicht zu Hause verbringt, sollte das Körbchen deshalb unbedingt mitnehmen.
Diestel: Hunde beginnen zu zittern, sie hecheln, ziehen den Schwanz ein und verstecken sich. Hat ein Hund eine starke Besitzerbindung, dann kann es sein, dass er auf den Schoß seines Halters springt und dort nach Schutz sucht. Hunde können komplett unterschiedlich reagieren. Ich habe zum Beispiel einen völligen entspannten Dackel, ihm hat das Feuerwerk noch nie etwas ausgemacht, aber ich habe auch nie Panik verbreitet. Besitze ich aber einen Hund, der unter Epilepsie leidet und dessen Nervenkostüm sowieso schon schwach ist, dann habe ich einen Stressfaktor hoch fünf. Ein Hund, der für die Jagd gezüchtet und schussfest ist, dem ist das Feuerwerk egal, weil die Geräusche positiv besetzt sind.
Katzen machen Silvesterkracher weniger aus als Hunden. Eine gestresste Katze würde sich aber zurückziehen – beispielsweise in eine Höhle oder unter ein Bett und sich zusammenrollen. Sie verschanzen sich in der Regel so lange, bis die Gefahr vorüber ist.
Diestel: Kleine Hunde würde ich auf den Arm nehmen und an mich drücken. Es gibt auch spezielle Thundershirts – enganliegende Bodies aus Vlies oder Filz – die werden um den Hund gewickelt und spenden ihm ein Gefühl der Geborgenheit. Bei großen Hunden reicht es in vielen Fällen aus, sie auf einen Platz neben sich zu verweisen, zu streicheln und ihnen zu signalisieren: Ich bin da, ich kümmere mich, alles ist gut.
Diestel: Ich weiß, dass es extreme Fälle gibt, die Silvester ohne Medikamente nicht durchstehen. Auch viele meiner Kunden greifen darauf zurück. Bei leichten Fällen kann mit pflanzlichen Mitteln, die beispielsweise Baldrian, Melisse oder Magnesium beinhalten, gearbeitet werden. Es gibt aber auch stärkere, angstlösende Mittel, die speziell für Silvester zugelassen sind und auch bei Narkosen zum Einsatz kommen. Wichtig ist aber, Rücksprache mit dem eigenen Tierarzt zu halten, auch wenn die Medikamente von Hunden gut vertragen werden.
Diestel: Ich erinnere mich an einen Boxer, der bereits vor Silvester herrenlos herumgeirrt ist. Wir haben versucht, ihn anzufüttern, das hat nicht funktioniert. Dieser Hund wurde dann in seiner Panik an Silvester angefahren. Sein Fuß war gebrochen und er musste in der Tierklinik behandelt werden. Er hat den Abend zum Glück überstanden. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er ausgesetzt wurde und der Besitzer ihn nicht zurückwollte. Solche Fälle gibt es aber selten.
Diestel: Meist dauert es ein bis zwei Tage, bis das Tier sich wieder beruhigt hat, dabei helfen lange Spaziergänge. Sollte die Panik anhalten, dann können beruhigende Medikamente auch zwei bis vier Tage nach Silvester gefüttert werden.