zurück
Unsleben
"Aus Sicht der Tiere gehört Feuerwerk verboten": Tierärztin Renate Diestel aus Unsleben über Böller an Silvester
Am 31. Dezember wird es um Mitternacht laut. Zahlreiche Raketen werden gezündet. Für Tiere ist das eine Qual. Wie kann man seinen Hund oder seine Katze schützen?
Aus allen Ecken heraus blitzt und knallt es – für Tiere ist Silvester ein erschreckendes Ereignis. Da wird gerne nach einem Versteck gesucht.
Foto: Renate Heim (Archivbild) | Aus allen Ecken heraus blitzt und knallt es – für Tiere ist Silvester ein erschreckendes Ereignis. Da wird gerne nach einem Versteck gesucht.
Nicole Schmidt
 |  aktualisiert: 01.01.2024 02:38 Uhr

Es kracht, knallt und riecht nach Verbranntem. Während viele Menschen aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld das neue Jahr mit einem farbenfrohen Feuerwerk begrüßen, bedeutet der 31. Dezember für Tiere Stress. Besonders Hunde oder Wildtiere reagieren mit Panik. Die Redaktion hat bei Tierärztin Dr. Renate Diestel (58), die seit über 20 Jahren eine Kleintierpraxis in Unsleben betreibt, nachgefragt, wie Haustiere vor Böllern und Raketen geschützt werden können und worauf an Silvester geachtet werden sollte. 

Tierärztin Dr. Renate Diestel aus Unsleben (Lkr. Rhön-Grabfeld) gibt Tipps, wie man sein Haustier an Silvester vor Böllern und Feuerwerkslärm schützen kann.
Foto: Nicole Schmidt | Tierärztin Dr. Renate Diestel aus Unsleben (Lkr. Rhön-Grabfeld) gibt Tipps, wie man sein Haustier an Silvester vor Böllern und Feuerwerkslärm schützen kann.
Frage: Feuerwerk gehört für die meisten Menschen an Silvester dazu. Warum leiden gerade Tiere darunter?

Renate Diestel: Tiere haben ein feineres Gehör und nehmen Töne wahr, die Menschen nicht hören. Auch der Geruch nach Verbranntem macht ihnen Angst. Neben Haustieren betrifft das vor allem Wildtiere. Wildtiere assoziieren das Geräusch von Feuerwerk mit einem Schuss. Das löst einen Fluchtreflex aus, der im Winter viel Energie unnötig verbraucht.

Auch Hunde besitzen diesen Fluchtreflex. Laut der Tierschutzorganisation TASSO wurden im vergangenen Jahr an Silvester und Neujahr 667 Hunde als vermisst gemeldet, die teilweise aufgrund des Feuerwerks vor lauter Panik abgehauen sind. Deshalb sollten Hund um Silvester draußen unbedingt angeleint bleiben.

Unterscheiden sich die Auswirkungen je nach Feuerwerkskörper?

Diestel: Gerade Böller, die wie Sirenen oder ein Heulen klingen, sind für Tiere eine Belastung. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass andere Feuerwerkskörper ungefährlich sind. Generell ist Feuerwerk für Tiere zu laut. Für sie ist das purer Stress. Denn sie wissen nicht, dass das Feuerwerk in einer Stunde vorbei ist. Für sie zählt nur das Hier und Jetzt und das mit voller Wucht. Ich kenne Kunden mit panischen Hunden, die mit dem Auto in die Hochrhön fahren oder eine Stunde auf der Autobahn unterwegs sind, weil es dort ruhig ist. 

Worauf kann jeder von uns beim Böller zünden achten, um es den Tieren angenehmer zu machen?

Diestel: Die einzige Lösung wäre, das Böllern sein zu lassen, auch im Sinne des Klimawandels. Es ist nicht mehr angesagt und aus Sicht der Tiere gehört es verboten. Feuerwerk ist selbst außerhalb der Ortschaften noch zu hören. Dabei sind Wildtiere aufgrund der dichten Besiedlung bereits einer hohen Belastung ausgesetzt und haben keinen ruhigen Fleck mehr. Dann kommt noch Silvester, das verlangt viel von den Tieren.

Viele Hundehalter versuchen, vor Silvester ihr Haustier auf den Feuerwerkslärm vorzubereiten. Macht das Sinn?

Diestel: Das funktioniert bedingt, man kann das Tier schon etwas darauf konditionieren. Ich würde aber dazu raten, dass Haustierbesitzer nicht im größten Getöse feiern, sondern gemütlich mit Freunden den Abend verbringen. Vor allem Hunde merken, wenn Menschen aufgeregt oder gestresst sind, deshalb gilt: Umso entspannter sich die Besitzer verhalten, umso entspannter verhält sich auch das Tier. Es bekommt dann gar nicht erst impliziert, dass eine Gefahr droht.

Eine beliebte Strategie ist es, Hunden Feuerwerksgeräusche vorzuspielen. Bringt das was?

Diestel: Das kann funktionieren, wenn ich das Geräusch mit etwas Positivem verknüpfe. Dann wird das Feuerwerk nicht als Bedrohung wahrgenommen. Wichtig ist darauf zu achten, dass die Geräusche nicht in einer so hohen Lautstärke abgespielt werden, dass es bereits im Vorfeld zu Panik kommt. Die Lautstärke sollte langsam gesteigert werden.

Was kann ich an Silvester machen, um es meinem Tier so angenehm wie möglich zu machen?

Diestel: Ich empfehle, im Haus zu bleiben und den Fernseher oder das Radio anzumachen. Das lenkt das Tier ab und übertönt die Geräusche von draußen. Viele versuchen, ihr Tier mit Leckerlis abzulenken, auch das kann funktionieren. Hilfreich ist bei Hunden ein langer Spaziergang vor dem Silvesterabend, dadurch ist das Tier ausgepowert und möchte nur noch schlafen. Bei Katzen können Pheromone helfen, die in der Wohnung versprüht werden. Dabei handelt es sich um einen Duftstoff, der eine beruhigende Wirkung hat.

Eine andere Möglichkeit sind Schutzräume. Was gilt es dabei zu beachten?

Diestel: Es muss etwas sein, was das Tier kennt. Bei Hunden wäre das das Körbchen. Wer Silvester nicht zu Hause verbringt, sollte das Körbchen deshalb unbedingt mitnehmen.

Und wenn es dann so weit ist: Woran erkenne ich, ob ein Hund oder eine Katze gestresst ist? 

Diestel: Hunde beginnen zu zittern, sie hecheln, ziehen den Schwanz ein und verstecken sich. Hat ein Hund eine starke Besitzerbindung, dann kann es sein, dass er auf den Schoß seines Halters springt und dort nach Schutz sucht. Hunde können komplett unterschiedlich reagieren. Ich habe zum Beispiel einen völligen entspannten Dackel, ihm hat das Feuerwerk noch nie etwas ausgemacht, aber ich habe auch nie Panik verbreitet. Besitze ich aber einen Hund, der unter Epilepsie leidet und dessen Nervenkostüm sowieso schon schwach ist, dann habe ich einen Stressfaktor hoch fünf. Ein Hund, der für die Jagd gezüchtet und schussfest ist, dem ist das Feuerwerk egal, weil die Geräusche positiv besetzt sind.

Katzen machen Silvesterkracher weniger aus als Hunden. Eine gestresste Katze würde sich aber zurückziehen – beispielsweise in eine Höhle oder unter ein Bett und sich zusammenrollen. Sie verschanzen sich in der Regel so lange, bis die Gefahr vorüber ist.

Es kommt zum Schlimmsten: Mein Hund ist panisch. Wie beruhige ich ihn?

Diestel: Kleine Hunde würde ich auf den Arm nehmen und an mich drücken. Es gibt auch spezielle Thundershirts – enganliegende Bodies aus Vlies oder Filz – die werden um den Hund gewickelt und spenden ihm ein Gefühl der Geborgenheit. Bei großen Hunden reicht es in vielen Fällen aus, sie auf einen Platz neben sich zu verweisen, zu streicheln und ihnen zu signalisieren: Ich bin da, ich kümmere mich, alles ist gut.

Vor allem Hunde und Wildtiere leiden aufgrund der Lautstärke und des Geruches nach Verbranntem unter Böllern und Feuerwerksraketen. Immer wieder gibt es deshalb Tiere, die panisch werden.
Foto: Tobias Kleinschmidt, dpa | Vor allem Hunde und Wildtiere leiden aufgrund der Lautstärke und des Geruches nach Verbranntem unter Böllern und Feuerwerksraketen. Immer wieder gibt es deshalb Tiere, die panisch werden.
Es gibt auch Medikamente, um zum Beispiel Hunde zu beruhigen. Empfehlen sie das als Tierärztin?

Diestel: Ich weiß, dass es extreme Fälle gibt, die Silvester ohne Medikamente nicht durchstehen. Auch viele meiner Kunden greifen darauf zurück. Bei leichten Fällen kann mit pflanzlichen Mitteln, die beispielsweise Baldrian, Melisse oder Magnesium beinhalten, gearbeitet werden. Es gibt aber auch stärkere, angstlösende Mittel, die speziell für Silvester zugelassen sind und auch bei Narkosen zum Einsatz kommen. Wichtig ist aber, Rücksprache mit dem eigenen Tierarzt zu halten, auch wenn die Medikamente von Hunden gut vertragen werden.

Wie oft haben Sie Hunde, Katzen oder andere Kleintiere behandelt, die durch Feuerwerk verletzt wurden?

Diestel: Ich erinnere mich an einen Boxer, der bereits vor Silvester herrenlos herumgeirrt ist. Wir haben versucht, ihn anzufüttern, das hat nicht funktioniert. Dieser Hund wurde dann in seiner Panik an Silvester angefahren. Sein Fuß war gebrochen und er musste in der Tierklinik behandelt werden. Er hat den Abend zum Glück überstanden. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er ausgesetzt wurde und der Besitzer ihn nicht zurückwollte. Solche Fälle gibt es aber selten.

Und nach Silvester: Wie signalisiere ich Hunden, dass die Gefahr vorüber ist? 

Diestel: Meist dauert es ein bis zwei Tage, bis das Tier sich wieder beruhigt hat, dabei helfen lange Spaziergänge. Sollte die Panik anhalten, dann können beruhigende Medikamente auch zwei bis vier Tage nach Silvester gefüttert werden.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Unsleben
Nicole Schmidt
Hundehalter
Kleintiere
Silvesterabend
Tierärztinnen und Tierärzte
Wildtiere
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top