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Tauberbischofsheim
Verschwörungstheorien eines „Reichsbürgers“: Der verquere Rückzug aus der Demokratie als Theaterstück
„Fühlen wir uns als Menschen eigentlich frei?“: Tobias Gondolf glänzte als verquerer Reichsbürger Wilhelm S. bei dem Gastspiel der Badischen Landesbühne in der Stadthalle.
Foto: Felix Röttger | „Fühlen wir uns als Menschen eigentlich frei?“: Tobias Gondolf glänzte als verquerer Reichsbürger Wilhelm S. bei dem Gastspiel der Badischen Landesbühne in der Stadthalle.
Felix Röttger
 |  aktualisiert: 25.03.2024 02:46 Uhr

Die Bereitschaft, über die Badische Landesbühne die Verschwörungstheorien eines „Reichsbürgers“ einmal „aus erster Hand“ vermittelt zu bekommen, verspürten etwas über 100 Besucher;  die ältere Generation fühlte sich angesprochen, während jüngeres Publikum ausblieb. Einige Abonnentenplätze in der Tauberbischofsheimer Stadthalle blieben bei dem von Sarah Johanna Steinfelder inszenierten Ein-Personen-Stück „Der Reichsbürger“ von Annalena und Konstantin Küspert unbesetzt.

Wer die Tiraden vom „Selbstverwalter“ Wilhelm S. (Tobias Gondolf) „tapfer“ ertrug, ließ sich dann, vielleicht auch angesichts bröckelnder Demokratien in vielen Nationen, die Nachbesprechung mit der Regisseurin und einem Vertreter der Landeszentrale für politische Bildung nicht entgehen. Angesichts des so nahen Bobstadt-Dramas, das Nordbaden kürzlich überregional in die Schlagzeilen brachte, war es keine schlechte Entscheidung.

Paralleluniversum aufgebaut

Alles fängt ganz harmlos an. Wilhelm S. bedankt sich bei der Landesbühne für die Einladung und stellt sich artig dem Publikum vor. Er kündigt eine kleine Einführung zum Thema Selbstverwaltung und Unabhängigkeit an, lobt die Versorgung mit regionalen Produkten und wirkt auf den ersten Blick nicht unsympathisch. „Fühlen wir uns als Menschen eigentlich frei?“, wird gefragt. Die Stimmung im Saal kippt ins Unbehagliche, als Wilhelm S. beginnt, seine politische Weltanschauung auszubreiten.

Die Bundesrepublik Deutschland sei nicht souverän, weil das Land nach wie vor von den Alliierten besetzt sei, im Grunde sich noch im Kriegszustand befinde, weil es keinen Friedensvertrag mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und keine Verfassung gebe. Deutschland sei kein Staat, sondern als „BRD-GmbH“ eine Firma. Die Bundesrepublik sei inklusive aller Gesetze illegal und bestehe rechtlich als „Deutsches Reich“ in den Grenzen von 1937 fort. Um sein Paralleluniversum noch anschaulicher zu machen, enthüllte Wilhelm S. auf der Bühne die riesige Kuppel des Kapitols in Washington als Symbol für die amerikanische Herrschaft über Deutschland.

Grundgesetz gilt für das ganze Volk

Zum Faktencheck: Richtig ist, dass völkerrechtlich – so das Bundesverfassungsgericht – ,  das „Deutsche Reich“ nicht untergegangen ist und die Bundesrepublik als Völkerrechtsobjekt mit ihm identisch ist. Unterschlagen wird von den „Reichsbürgern“ dabei, dass sich die Staatsform und die Verfassung der Bundesrepublik grundlegend geändert hat. Es gab zwar tatsächlich keinen Friedensvertrag,  jedoch nach der Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Kriegs hat der 2+4-Vertrag von 1990 als Friedensvertrag Bestand. Spätestens ab diesem Zeitpunkt entbehrt die Behauptung, Deutschland sei nicht souverän, jeder Grundlage. Denn mit diesem Vertrag verzichten die Besatzungsmächte auf sämtliche Rechte in Bezug auf Deutschland und Berlin. Artikel 146 des Grundgesetzes wurde ergänzt und festgelegt, dass das Grundgesetz für das gesamte deutsche Volk gilt.

Bevor nun Wilhelm S. endgültig die Felle davonzuschwimmen drohen, greift er in die demagogische Trickkiste und holt die Eltern in sein Boot, die ihre Sprösslinge ungern in Schulkassen belassen, in denen überwiegend Kinder mit Migrationshintergrund unterrichtet werden. Nachvollziehbar ist die Kritik an unsinniger Bürokratie, doch immer mulmiger wird es den Zuhörern. Besonders übel stößt auf, wie schamlos Wilhelm S. Texte von Georg Büchner als einem Verfechter demokratischer und liberaler Ideen vereinnahmt, um seine ablehnende Haltung zum Staat zu untermauern.

Alle ein Personal der „BRD-GmbH“

Die Personalausweise der Besucher unterzieht Wilhelm S. später einer hanebüchenen „Untersuchung“. Die Formulierung „Personal“ sei eindeutig der versteckte Hinweis, dass alle Deutschen nur Bedienstete der „BRD-GmbH“ seien. Außerdem sei Deutschland als GmbH im Handelsregister der USA eingetragen.

Zum Faktencheck: Da meint Wilhelm S. wohl das Frankfurter Handelsregister, in dem eine „Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur  GmbH“ aufgeführt ist, die lediglich als spezielles Finanzinstrument der Bundesregierung für die Verwaltung der Staatsschulden und Abwicklung von Finanzgeschäften zuständig ist. Und „Personal“ lässt sich aus dem lateinischen „Personalia“ als „persönliche Dinge“ ableiten.

„Fühlen wir uns als Menschen eigentlich frei?“: Tobias Gondolf glänzte als verquerer Reichsbürger Wilhelm S.
Foto: Felix Röttger | „Fühlen wir uns als Menschen eigentlich frei?“: Tobias Gondolf glänzte als verquerer Reichsbürger Wilhelm S.

Die immer spürbarer werdende ablehnende Haltung im Saal bringt Wilhelm S. endgültig in Wallung. Er lässt die Maske fallen, zäunt die Zuschauerreihen mit rotweißem Absperrband ein und erklärte alle Anwesenden, die seinen von ihm vorher verteilten Ausweis angenommen haben, zu Bewohnern seines Herrschaftsraumes, den er mit gezückter Pistole wirksam zu verteidigen gedenkt.

Fazit nach einer beeindruckenden schauspielerischen Leistung: So klein die heterogene Gruppierung noch sein dürfte, welche die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Institutionen infrage stellt:  Die „Reichsbürger“-Ideologie ist nur ein Aspekt der zunehmenden Demokratie-Verdrossenheit, die in allen sozialen Schichten Anhänger findet und von Fake News und Verschwörungstheorien befeuert wird.

 
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