
Rouven Müller arbeitet in der Suchtberatungsstelle des Main-Tauber-Kreises, deren Träger ist der AGJ Fachverband für Prävention und Rehabilitation in der Erzdiözese Freiburg. Der Sonderpädagoge sagt: "Der Paradigmenwechsel in der Cannabispolitik stellt eine große gesellschaftliche Aufgabe dar." Die AGJ-Suchtberatungsstelle stehe der Legalisierung mit gemischten Gefühlen gegenüber.
Entkriminalisierung ist ein positiver Aspekt
"Eine Legalisierung kann den Konsum sicherer machen, da Streckmittel wie Haarspray, Sand oder Glas dramatische gesundheitliche Folgen haben können. Zudem ist die Entkriminalisierung von Konsumierenden ein positiver Aspekt. Kritikpunkte betreffen den Jugendschutz, Höchstmengen im Eigenanbau und fehlende finanzielle Mittel für die zusätzlichen Aufgaben der bereits nicht auskömmlich finanzierten Suchtberatungsstellen."
Seit Inkrafttreten des Gesetzes im April seien Präventionsanfragen leicht gestiegen. "Die erste Schulung für Präventionsbeauftragte von Cannabisanbauvereinigungen (CAV) findet im Oktober statt. Veränderungen in der MPU-Beratung, neue Konzepte, Informationsmaterialien und Handlungsempfehlungen zur Kooperation mit CAV sind in Arbeit." Dieser höhere Zeitaufwand müsse zusätzlich zur Beratungsarbeit bewältigt werden. "Die Folgen der Legalisierung werden voraussichtlich erst im nächsten Jahr spürbar, da die CAV sich erst in der Gründungsphase befinden und der private Anbau dürfte legal erst jetzt die ersten Ernteerträge bringen."
Kein Cannabis Social Club im Taubertal
Daniel Lenz wollte im Taubertal zusammen mit anderen Personen einen Cannabis Social Club (CSC) gründen, einen Verein, über den der Anbau organisiert wird. Dieses Vorhaben habe er mittlerweile ausgesetzt, da vieles noch nicht gesetzlich geregelt sei: "So haben wir gesagt, lasst uns abwarten und schauen, welche Erfahrungswerte andere sammeln." Er stehe in Kontakt mit zwei CSCs in Würzburg.
Lenz stört, dass nach wie vor "ein abschreckendes Bild vom 'Kiffer' gezeichnet" werde. "Gleichzeitig sind Alkohol und Tabak problemlos zu erwerben, man hört selten eine mahnende Stimme, wie gefährlich diese seit Jahrzehnten legalen Drogen sind. In Deutschland wird akzeptiert, dass geraucht und gesoffen wird, und keiner spricht hier von einem Verbot oder einer besseren Aufklärung".
Zunahme von Arztbesuchen wegen Cannabiskonsum
Sowohl im Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim als auch im Krankenhaus Tauberbischofsheim sei die Zahl der Krankenhausbehandlungen, die auf Cannabis-Konsum zurückzuführen sind, gestiegen, bestätigt Ute Emig-Lange, Leiterin der Unternehmenskommunikation. "Im Schnitt behandeln wir seit der Legalisierung in der Zentralen Notaufnahme im Caritas-Krankenhaus pro Woche einen Patienten mit Beschwerden als Folge des Cannabis-Konsums", erklärt ZNA-Chefarzt Jürgen Weigand.
Diese Erfahrungen bestätigen Daten der AOK Heilbronn-Franken. Laut deren Pressemitteilung habe sich die Zahl der Krankenhausbehandlungen, die auf Cannabiskonsum zurückzuführen seien, in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht. Arztbesuche aus diesem Grund hätten in Baden-Württemberg von 2018 bis 2022 jährlich im Schnitt um 5,6 Prozent zugenommen – im Main-Tauber-Kreis sogar um 10,37 Prozent, eine der höchsten Steigerungsraten in Baden-Württemberg. Häufig könnten Patientinnen und Patienten nach einer kurzen Akutbehandlung entlassen werden.
Kein Konsum von Cannabis in Krankenhäusern
In der Abteilung für Psychiatrie, psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Krankenhaus Tauberbischofsheim werden Patientinnen und Patienten behandelt, die längerfristig unter den Folgen des Drogenkonsums leiden. "Wir verzeichnen eine Zunahme von stationären Behandlungen aufgrund von Cannabis-induzierten psychischen Störungen", berichtet Chefarzt Dr. Mathias Jähnel. Er sieht vor allem Personen mit Suchtproblemen gefährdet. "Hier droht über den Cannabis-Konsum der Rückfall auch bei anderen Suchtmitteln."
In den Krankenhäusern der BBT-Gruppe sei das Konsumieren von Cannabis ausdrücklich untersagt. Das betreffe sowohl Patienten, Besucher als auch Mitarbeitende. "Drogen und Alkohol stören das Heilverfahren empfindlich. Insbesondere wird die Wirkung von Medikamenten verstärkt oder abgeschwächt und macht deshalb eine gezielte Therapie unmöglich", erläutert Jähnel. Ausnahme sei lediglich die Verwendung von medizinischem Cannabis, etwa in der Schmerztherapie.