
Dr. Julian Wichmann ist zertifizierter Radiologe mit internationaler Forschungserfahrung und Geschäftsführer von Bloomwell, Europas größter Plattform für medizinisches Cannabis . Dr. Wichmann ist Ansprechpartner für die regulatorischen Aspekte der Telemedizin, ehemals unter Betäubungsmittelverordnungen.

Im Interview spricht Wichmann über die Erleichterungen für Patienten durch das neue Cannabis-Gesetz, die Wirkung der Pflanze und die Kosten, die auf Patienten zukommen.
Wie ist die Grundlage der Versorgung von Patienten mit medizinischem Cannabis ?
Seit März 2017 können alle Ärzte zumindest in der Theorie mit medizinischem Cannabis behandeln. Leider hat bislang aber nur ein Bruchteil der Ärzteschaft von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das liegt auch an der Komplexität sowie dem administrativen Aufwand, der zumindest bis zum 1. April mit der Behandlung verbunden war. Aus dieser Versorgungslücke heraus bieten wir eine Plattform für die Therapie mit medizinischem Cannabis an. Das geht noch nicht über die kassenärztliche Versorgung, sondern läuft privatärztlich ab. Die Kosten dafür sind erfreulicherweise in der jüngeren Vergangenheit massiv gesunken.
Warum sind die Kosten gesunken?
Am 1. April dieses Jahres trat das Cannabis-Gesetz in Kraft, das im sogenannten Medizinal-Cannabisgesetz auch den Umgang und die Klassifizierung von medizinischem Cannabis neu regelt. Davor war Cannabis als Betäubungsmittel eingestuft, wie etwa Morphium. Das hatte allgemein große Hürden und Kosten, von der Behandlung bis hin zur Logistik. Jetzt ist Cannabis als verschreibungspflichtiges Arzneimittel reklassifiziert worden und steht beispielsweise auf einer Stufe wie das Medikament Diclofenac, oder auch mit Schlafmitteln oder Antidepressiva .
Was bedeutet das für die Behandlung von Patienten?
Zunächst ist der Aufwand im Hintergrund geringer und die ärztliche Handhabung einfacher. Eine Behandlung mit Cannabis wird zum Beispiel aus ärztlicher Sicht viel früher in Erwägung gezogen. Und es funktioniert elektronisch mit Hilfe eines E-Rezeptes, was vorher nicht ging. Da wurde ein Kurier über Nacht mit dem Rezept in eine spezielle Apotheke geschickt. Was für Patienten auch besonders wichtig ist: Heute braucht man nicht mehr zwangsläufig ein fachärztliches Gutachten, gerade bei chronischen Schmerzen oder auch Schlafstörungen sind üblicherweise keine Gutachten mehr notwendig. Dadurch sind die Hürden massiv gesunken.
Ganz konkret: Wie wirkt sich das auf die Kosten aus?
Die Kosten sind auch gesunken, weil es ein immer größeres Angebot an Cannabis in den deutschen Apotheken gibt und dadurch ein Preisverfall zugunsten der Patienten stattgefunden hat. Konkret haben etwa Präparate früher rund zehn bis zwölf Euro pro Gramm gekostet, die jetzt teilweise bei sechs Euro pro Gramm angekommen sind. Und dennoch ist es heute noch so, dass nicht-spezialisierte Apotheken Cannabis-Blüten für 23 oder 22 Euro anbieten, aber in den spezialisierten Apotheken die gleiche Sorte eben nur sechs Euro pro Gramm kostet.
Seit kurzem darf jeder bis zu drei Cannabis-Pflanzen selbst anbauen oder sich in Clubs zusammentun. Warum sollten Patienten auf das medizinische Cannabis , von einem Arzt verschreiben, zurückgreifen, wenn sie es doch selbst zahlen müssen?
Menschen, die Cannabis medizinisch verordnet bekommen, haben einen anderen Status, rechtlich gesehen einen Patienten-Status. Das unterscheidet sich vom Freizeit-Gebrauch. Sie haben gewisse Privilegien. So können sie beispielsweise Autofahren, wenn sie fahrtüchtig sind, denn es gibt keinen Grenzwert im Blut und ein Patient darf auch mit dem verordneten Cannabis innerhalb der EU reisen. Zudem sollte jeder Mensch, der aus medizinischen Gründen Cannabis in Erwägung zieht, den Weg über die ärztlich begleitete Therapie gehen, auch um ein reines pharmazeutisches Präparat zu erhalten ohne mögliche Schadstoffe.
Kann man auch Rheuma-Erkrankungen mit Cannabis behandeln, bei denen der Patient bereits auf Morphium eingestellt ist?
Das ist möglich und wird auch gemacht. Grundsätzlich gilt dabei: Je früher, desto besser. Auch, weil dann das Schmerzgedächtnis noch nicht so beeinflusst ist. Und gerade bei medizinischem Cannabis kann man bereits nach etwa acht Wochen feststellen, ob es besser für mich ist als andere Medikamente.
Es ist auch möglich, mit medizinischem Cannabis zu beginnen, wenn man noch Morphium nimmt. Wir haben sehr häufig erlebt, dass Patienten nicht nur die starken Medikamente reduzieren, sondern diese sogar gänzlich eliminieren konnten. Das geht einher mit einer massiven Veränderung der Lebensqualität.
Viele Menschen scheuen sich auch vor hohen Kosten bei einer Therapie, die nicht von der Krankenkasse übernommen wird. Wie hoch sind den aktuell die Kosten für eine Cannabis-Therapie?
Wie gesagt, die Kosten sind sehr gesunken: Der ärztliche Anteil bei einer Behandlungauf unserem Portal liegt etwa bei 25 bis 50 Euro durchschnittlich im Monat. Bei den Kosten für das Präparat hängt es natürlich von der Dosierung ab – die günstigsten Sorten kosten unter fünf Euro je Gramm, der Durchschnittspreis bei Apotheken auf Bloomwell bei unter zehn Euro. Für einen erfahrenen Schmerzpatienten sollten vermutlich zehn Gramm Blüten im Monat reichen, für den Bezug aus einer spezialisierten Apotheke liegen die Kosten dann also bei etwa 60 Euro im Monat.
Was wirkt der Cannabis im Körper, beispielsweise bei chronischen-entzündlichen Schmerzen?
Cannabis behebt grundsätzlich nicht die Ursache. Und doch hat es mindestens drei medizinische Effekte, auf die ich gerne eingehen möchte. Erstens: Effektive Schmerzmodulation. Wenn der Schmerzreiz im Körper entsteht, kann medizinisches Cannabis dafür sorgen, im Gehirn die Schmerzverarbeitung zu verändern. Als Patient nimmt man den Schmerz dann eben nicht mehr wahr, zumindest nicht mehr so stark.
Zweitens: Im Vergleich zu anderen Medikamenten gibt es meist nur milde Nebenwirkungen, und das in nur fünf Prozent der Fälle. Beispielsweise können das Mundtrockenheit und Schläfrigkeit sein, was im Übrigen aber auch therapeutisch genutzt werden kann – beispielsweise um besser schlafen zu können. Gleiches gilt für Appetit-Steigerung in geringem Maße. Um es nochmal auf den Punkt zu bringen: Medizinisches Cannabis ist ein sicheres und effektives Medikament, was häufig leider unterschätzt wird.
Drittens wirkt Cannabis auf unser Endo-Cannabinoidsystem: Cannabis führt dazu, dass die entzündliche Reaktion im Körper heruntergefahren werden, wie zum Beispiel bei chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Morbus Crohn. Allerdings ist noch nicht im Detail erforscht, wie dieses Zusammenspiel im endogenen Cannabinoidsystem funktioniert.
Auf welche Inhaltsstoffe beziehen sich diese Wirkungen?
Es gibt mindestens zwei Klassen von Inhaltsstoffen: Einmal die Cannabinoide wie THC oder CBD und dann die sogenannten Terpene. Gerade bei Schmerzsymptomatiken haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Kombination aus allen Inhaltsstoffen wichtig ist. Das THC spricht das Schmerzzentrum im Gehirn an. Allerdings haben auch Inhaltsstoffe wie Terpene einen Einfluss. Da sind wir mit einem großen Datensatz noch ganz am Anfang der evidenzbasierten Forschung. Man braucht einfach einen spezialisierten und erfahrenen Arzt. Als Patient sollte man auf das pharmazeutisch reine, echte medizinische Cannabis zurückgreifen, um eine ausreichende Wirkung erzielen zu können.
Das Interview führte Julia Raab.
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