Sollte es im Spessart einen Nationalpark geben, wäre in ihm die Spessarteiche selbst auf Jahrhunderte hinaus nicht gefährdet. Dies jedenfalls ist der Tenor einer wissenschaftlichen Expertise von Dr. Jörg Müller, Forstwissenschaftler und Professor am Biozentrum der Universität Würzburg.
Expertise im Auftrag des Umweltministeriums
Müller forscht schwerpunktmäßig zu Artenschwund und Waldökologie, auch zur Biodiversität in Buchenwäldern. Die 26-seitige Arbeit zur Eiche und zu einem möglichen Nationalpark im Spessart hat er im Auftrag des Bayerischen Umweltministeriums erstellt. Bekanntlich plant die Bayerische Staatsregierung die Ausweisung eines dritten Nationalparks, wobei der Spessart unter den vier im Rennen befindlichen Regionen offenbar heißer Kandidat ist.
Die Gegner eines Nationalparks im Spessart treibt unter anderem die Sorge um die Eiche um. Sie gehen davon aus, dass die Charakterbaumart des Spessarts ohne steuernde Eingriffe des Menschen von der konkurrenzkräftigeren Buche verdrängt würde. Müller hält diese Bedenken für unbegründet.
Einschätzung wurde Landräten und Bürgermeistern des Spessarts vorgestellt
Seine Einschätzung hat der Wissenschaftler vor einigen Tagen beim Treffen der Umweltministerin Ulrike Scharf mit Landräten, Bürgermeistern und Mandatsträgern in Aschaffenburg vorgestellt – allerdings hinter verschlossenen Türen. Mittlerweile jedoch findet sich die Arbeit des Wissenschaftlers auf der Internetseite, die das Ministerium eigens zum dritten Nationalpark erstellt hat (www.np3.bayern.de).
Widerspruch zu bisher häufig geäußerter Einschätzung
Darin schreibt Müller, dass eine Gefährdung der Eiche als Baumart durch einen Nationalpark aufgrund der heutigen Baumartenzusammensetzung und Altersverteilung im Spessartwald auf Jahrhunderte hinaus ausgeschlossen werden könne. Die in Forstkreisen weitverbreitete Ansicht, wonach die Eiche ohne die Hilfe des Menschen im Buchenmeer binnen weniger Jahrzehnte untergehen würde, sei durch datengestützte Abschätzungen aus Buchen-Eichen-Reservaten nicht gedeckt, so Müller.
Naturwaldreservat Eichhall im Spessart als Beispiel
Als ein Beispiel führt der Wissenschaftler das berühmte Naturwaldreservat Eichhall im Spessart an, in dem seit 2002 die Motorsäge ruht.
An der dortigen Mischung von Buche und Eiche im Verhältnis 50:50 habe sich seither nichts verändert. Freilich sei der Alteichenvorrat vor der Ausweisung des Naturwaldreservats reduziert worden, indem teilweise 400 Jahre alte Eichen gefällt und als Furnierholz verkauft wurden.
Im Spessart wurden laut Müller zuletzt deutlich mehr Alteichen gefällt, als man hätte entnehmen dürfen, wenn man den Alteichenbestand auf Dauer erhalten wollte. Es gebe bei der Eichenwirtschaft im Spessart eine ökonomische Nachhaltigkeit, nicht aber eine ökologische. Noch in den 1990er Jahren habe man trotz niedriger Eichenpreise im Hochspessart Uralteichen gefällt und verkauft um den Markt zu stimulieren. Eine Maßnahme, die „aus ökologischer Perspektive kaum nachvollziehbar“ sei, so Müller.
Welche Rolle spielt der Klimawandel?
Er ist überzeugt, dass nach heutigem Kenntnisstand die Eiche als Baumart im Spessart auch mit Nationalpark über die nächsten 500 Jahre nicht gefährdet wäre. Mit einem deutlichen Schwund des Eichenanteils sei erst in Zeiträumen von 250 bis 350 Jahren zu rechnen, allerdings auch nur dann, wenn man Aspekte wie den Klimawandel oder zu erwartende Störungsereignisse außer Acht lasse.
Bereits eine nur moderate Klimaerwärmung um zwei Grad werde die Konkurrenzkraft der Buche gegenüber der Eiche reduzieren, so Müller. Immer wahrscheinlicher werde jedoch eine Erwärmung um vier oder mehr Grad. Wie sich zunehmende Trockenheitsphasen auswirken, habe man bereits im Hitzesommer 2003 ebenfalls im Eichhall beobachten können. Dort seien Altbuchen innerhalb weniger Wochen abgestorben, während die Alteichen unbeeindruckt weiterwuchsen, so Müller.
Anteil der Alteichen könnte zunehmen
Ein Nationalpark könne „die Alteichen vor Übernutzung schützen und in nur 100 Jahren zu einer Verdoppelung der Altbaumflächen führen“, so der Wissenschaftler in seiner Expertise weiter. Im Spessart böten standortfremde Nadelholzbestände überdies Raum, um in der Pflegezone eines Nationalparks die Eiche und andere heimische Baumarten stärker als bisher zu fördern.
Der heutige Eichenanteil im Spessart von bis zu 25 Prozent gehe auf intensive menschliche Eingriffe in vergangenen Jahrhunderten zurück. Seit 1960 jedoch sei die Fläche der neu angelegten Eichenkulturen um 90 Prozent zurückgegangen, so Müller. Als Grund dafür sieht er den hohen finanziellen Aufwand für die Begründung von Eichenbeständen und die Hinwendung der Forstwirtschaft zu ökonomisch wesentlich rentableren Baumarten wie der aus Nordamerika stammenden und schnell wachsenden Douglasie. Kritisch für die heutige Eichenwirtschaft im Spessart sei auch die hohe Rehwilddichte und der daraus resultierende Verbiss an der dem Wild besonders gut schmeckenden Eiche, so Müller.
Lernraum für neue Erkenntnisse unter geänderten Rahmenbedingungen
Insgesamt sei der Spessart aus naturschutzfachlicher Sicht hervorragend für einen Nationalpark geeignet, lautet das Fazit des Wissenschaftlers. Gerade alte Bäume seien inzwischen weltweit Mangelware. Im europäischen Vergleich sei die Ansammlung alter Laubbäume im Spessart weitgehend ohne Vergleich.
Ein Nationalpark sei ein „gut geeignetes Instrument, diese einmaligen Wälder im Sinne unserer globalen Verantwortung zu schützen, einen hochkarätigen Raum für Erholung zu schaffen und einen wichtigen Lernort für Laubwälder in Bayern zu etablieren“, so Müller. Dieser Lernort zum Erforschern auch des Wechselspiels von Buche und Eiche sei umso wichtiger, als „die Prozesse in der Zukunft nicht mehr die der Vergangenheit sein werden.“
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