Schon von weitem ist das heisere Heulen von Motorsägen zu hören. Das markante Geräusch frisst sich am frühen Freitagmorgen durch die Gassen rund um das Landratsamt Aschaffenburg. Der Platz vor dem Gebäude ist geflutet vom Lärm knatternder Motoren, Trillerpfeifen und Trommeln. Lautstark machen Kritiker und Befürworter eines Nationalparks Spessart auf ihr jeweiliges Anliegen, auf ihre Sorgen und Ängste, ihre Wünsche und Hoffnungen aufmerksam.
Die Gegner eines Schutzgebietes sind deutlich in der Überzahl, 500 mögen es sein, schätzt die Polizei. Ihnen stehen rund 150 Befürworter eines Nationalparks im Spessart gegenüber. Etliche Dutzend Polizisten sorgen dafür, dass es lediglich zu einigen harmlosen Wortgefechten kommt. Gespannt warten auch Abgeordnete aus der Region und zahlreiche Bürgermeister von Spessartgemeinden auf Bayerns Umweltministerin. Ulrike Scharf (CSU) will Mandatsträgern und Kommunalpolitikern erläutern, wie man in München über einen Nationalpark im Spessart denkt und wie konkret die Überlegungen mittlerweile gediehen sind.
Auf einen Wink hin verstumment Motorsägen und Trillerpfeifen
Auf einen Wink hin verstummen Motorsägen und Trillerpfeifen, die Gegner eines Nationalparks singen voller Inbrunst das Spessartlied. „Weißt du, wo die Eichen trotzig ragen“ beginnt der Text des von Lehrer Georg Keimel 1930/31 komponierten Liedes. Heute ragen die Plakate und Spruchbänder trotzig in die Höhe. „Ein Nein dem Bayerischen Umweltministerium“ steht da zu lesen. Als wenn es das Umweltministerium gewesen wäre, das die Diskussion lostrat. „Wir verkaufen nicht unsere Heimat für Großprojekte der Staatsregierung.“ Die Aussage trifft es schon besser. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf die Entscheidung des Ministerrates für einen dritten Nationalpark in Bayern im Sommer 2016 das Land. Damit war auch der Spessart im Gespräch.
„Da wohnt stilIer Friede“, heißt es in der ersten Strophe des Spessartliedes. Damit ist es vorbei, längst spaltet die Diskussion die Bevölkerung, und die Fronten haben sich von Woche zu Woche verhärtet. Wie tief die Gräben und wie groß vor allem auf der Seite der Gegner der Zorn ist, wurde nicht zuletzt im Internet im sozialen Netzwerk Facebook deutlich. Dort äußerte eine Gegnerin des Nationalparks die Ansicht, dass man doch alle Befürworter in einen Saufang locken und erschießen solle.
„Ich hätte nicht gedacht, dass es hier Unfrieden geben könnte wie im Steigerwald“, klagt Heidi Wright aus Karlstadt. Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete hat sich bei den Befürwortern eingereiht. Für die Zuspitzung des Konflikts macht sie zwei CSU-Politiker aus der Region mitverantwortlich. Eberhard Sinner, den einflussreichen Ex-Staatskanzleichef aus Lohr, und Peter Winter, den umtriebigen Landtagsabgeordneten aus Aschaffenburg. Der zeigt sich vor dem Eintreffen der Ministerin unversöhnlich. Er sehe bis jetzt keine Argumente für einen Nationalpark im Spessart, erklärt er auf Nachfrage, „wenn die Eiche im Spessart vernichtet und unsere Holzrechte angetastet werden“.
Noch jeder der 16 Nationalparke in Deutschland stieß zunächst auf Vorbehalte
Werden die Rechtler denn tatsächlich rechtlos gestellt und die herrlichen Spessarteichen dem Siechtum ausgesetzt durch einen Nationalpark? Das ist ebenso wenig ausgemachte Sache wie die unkontrollierte Vermehrung der Wildschweine, vor der Jäger und Bauern warnen. Meint jedenfalls Erich Perchermeier, Urgestein beim Bund Naturschutz und der Aktionsgemeinschaft „Rettet das Hafenlohrtal“. Die Probleme lassen sich lösen, davon zeigt sich der Marktheidenfelder ebenso überzeugt wie von „der großen Chance für die Artenvielfalt“ in einem Nationalpark. Außerdem, so Perchermeier, „ist der Nationalpark nur ein kleiner Teil des Spessarts“. Im Interview mit der Redaktion hat die Ministerin eine Zahl genannt. Ein Nationalpark Spessart würde kaum größer als die im Freistaat unabdingbaren 10 000 Hektar, also 100 Quadratkilometer. Der „Naturpark Spessart“ umfasst 2400 Quadratkilometer.
Lässt sich der Riss durch den Spessart wieder kitten? Der Protest ist kein Einzelfall, noch jeder der 16 Nationalparks in Deutschland stieß zunächst auf Vorbehalte. Die Psychologin und Mediatorin Anke Blöbaum von der Universität in Magdeburg hat hinterfragt warum. Ein Grund ist, sagt sie, dass die Leute sich zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer vorstellen können, wie das Ganze in Zukunft aussehen wird. Daher die Angst vor etwas Unbekanntem und vor Kontrollverlust. Zudem nähmen Menschen dichte, unüberschaubare Wildnis eher als gefährlich wahr denn eine Kulturlandschaft. Obendrein würden Verhaltensregeln oft als Einschränkung persönlicher Freiheit empfunden.
Eine einfache und dennoch einleuchtende Erklärung
Gerhard Kraft, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag Main-Spessart, hat eine einfachere und vielleicht gerade deswegen einleuchtende Erklärung. Die Staatsregierung habe dem Volk im Sommer 2016 die Absichtserklärung für einen dritten Nationalpark in Spessart oder Rhön oder irgendwo sonst hingeworfen wie mehreren Hunden einen Brocken Fleisch. Das überfallartige und wenig informative Vorgehen hat zur Eskalation sicher beigetragen, mit der Meinung ist Kraft nicht allein.
Die Ministerin soll die Suppe nun auslöffeln. „Pfui, pfui“, schallt ihr aus hunderten Kehlen entgegen, als sie vor dem Landratsamt der Dienstlimousine entsteigt. Ulrike Scharf bleibt freundlich-gelassen. Sie geht auf die Demonstranten zu, spricht mit ihnen, ruft zum konstruktiven Dialog auf. Den allgemeinen Tumult kann sie nur ein wenig dämpfen. Der Lärm schwillt schnell wieder an, als Scharf und die anderen „Offiziellen“ im Gebäude entschwinden.