Was haben Sie gemacht an dem Tag, an dem Apollo 11 auf dem Mond landete? Als die Mauer fiel, als zwei Flugzeuge in die New Yorker Twintowers gesteuert wurden? Ereignisse dieser Art graben sich tief ein in unser kollektives Gedächtnis. Solche bewegenden Ereignisse gibt es auch in kleinerem Maßstab für eine Region. Im Großraum Lohr sind das die Gasexplosion 1978 am Marktplatz und der Absturz einer Bundeswehr-Transportmaschine Transall, der sich an vergangenen Montag zum 30. Mal jährte.
Der Bericht von Folker Quack, der damals als Main-Post-Volontär in Lohr tätig war, hatte ungewöhnlich starke Resonanz in den sozialen Medien. "Ich kann mich noch gut erinnern", schreiben mehrere Nutzer auf Facebook. "Ich war gerade in der Fischergasse", erinnert sich zum Beispiel die heute 59-jährige Juliane Iyabi aus Lohr. "Wir haben den Knall gehört." Ein anderer Facebook-Nutzer aus Marktheidenfeld weiß noch genau, dass er an diesem Tag Unterricht in der Lohrer Berufsschule hatte.
- Was tatsächlich geschah: Chronologie eines Flugzeugabsturzes.
Tim Jäger, der in Marktheidenfeld eine Musikschule betreibt, hat nur indirekt etwas davon mitbekommen. "Mein Vater war mit der Feuerwehr dort", schreibt er. "Das muss kein schöner Anblick gewesen sein." In der Tat: "Solche Bilder prägen sich ein", erzählt der heute 71-jährige Kurt Jäger. Für ihn war es das Bild des Soldaten vorne links im aufgerissenen Cockpit, wo es nicht gebrannt hatte. Dann hat er noch im Ohr, wie "ein Uniformierter" durchgezählt hat. "Zwei, drei Tote ... vier, fünf ...", habe er dorthin gedeutet, wo er Leichen erkannte. "Ich hab da nix erkannt, nur ein Häufle Asche gesehen."
Die Feuerwehr brauchte nicht zu löschen
Kurt Jäger, damals Wassermeister in Marktheidenfeld und Maschinist bei der dortigen Feuerwehr, traf mit seinem Trupp als zweites Löschfahrzeug ein. Da hingen die Regenwolken noch in den Baumwipfeln, erinnert er sich. Seltsamerweise gab es seiner Erinnerung nach nichts zu löschen: Das Feuer, das die meisten Insassen hatte verkohlen lassen, sei wohl von selbst erloschen, womöglich auch wegen des Regens. Im Tank des Löschfahrzeugs wären 1,8 Kubikmeter gewesen. "Das hätte für den Anfang gereicht." Hätten die Bäume Feuer gefangen, wäre der Einsatz sicher noch dramatischer geworden.
"Wir hatten an diesem Tag mit der Schule auf Wandertag und waren Richtung Rodenbach unterwegs, als das Flugzeug tief über unsere Köpfe hinwegflog", erinnert sich Monika Pavlovic. "Da das Wetter zu diesem Zeitpunkt schlecht war, sind wir recht schnell wieder zurück zur Schule gelaufen und durften dann auch heim." Vom Absturz hat die damals 13-Jährige aus Lohr erst auf dem Nachhauseweg erfahren.
Jungs radelten zur Absturzstelle
Alexander Schuhmann war damals ebenso alt. "Wir sind als Kinder mit dem Fahrrad zur Absturzstelle gefahren", schildert er seine Erinnerung. "Wir waren ziemlich schnell dort und sind nahe ans Wrack gekommen. Wir haben nur die Hilfskräfte gesehen, den Rauch und Wrackteile, aber keine Leichen. Wir durften auf jeden Fall nicht ganz nahe hin, wollten wir aber auch nicht. Den Geruch vergesse ich nicht. Erstaunlich fand ich damals, dass die Bundeswehr sehr schnell mit schwerem Gerät vor Ort war."
Aufs Rad geschwungen hat sich auch Stefan Schmidt. Als die Maschine im Tiefflug über Lohr gekreuzt war, hatten alle im Klassenzimmer der Hauptschule Lohr zum Fenster geschaut. "Das Geräusch der Transall-Maschinen war uns bekannt, da sie öfter über Lohr flogen", erklärt er. "Doch diesmal war sie sehr viel lauter" – weil sie ungewöhnlich tief geflogen war.
Vom Absturz habe er erst später erfahren. "Wir sind mit dem Fahrrad Richtung Absturzstelle gefahren. Aber die Bundeswehr hatte bereits die Straßen gesperrt."
Später sind er und seine Kumpels noch einmal hingeradelt. "Der Kerosingeruch und die umgeknickten Bäume haben uns aber veranlasst, nicht näher dort hin zu gehen." Einige Tage später, so erinnert er sich, waren die Teile der Maschine an der Mainlände abgelegt und verdeckt worden.
Als Soldat mit scharfer Munition abgestellt zum Absperren
Hubertus Kreutz war selbst vor Ort im Einsatz – als einer der ersten Soldaten. Seine 24-Stunden-Wache am Haupttor in Hammelburg wäre am Mittag beendet gewesen, als Alarm ausgelöst wurde. "Wir erhielten Waffen aus der Waffenkammer und scharfe Munition. Dann ging es los – mit unbekanntem Ziel. In Lohr bat mich der Hauptmann in sein Fahrzeug, da ich ja Ortskenntnis hatte. Ich sollte ihm den Weg nach Rodenbach zeigen. Erst jetzt erfuhr ich den Grund des Einsatzes", schildert der damals 22-jährige Obergefreite aus Lohr.
"An der Unfallstelle angekommen, waren wir völlig entsetzt von der Tragödie. Alles war sehr ruhig, niemand sagte was und der sonst rasche Befehlston wurde nur noch geflüstert. Es war ein sehr trauriger Tag in meiner Wehrdienst-Zeit."
Kreutz und seine Kameraden hielten noch Wache bis in die Nacht. Dann wurden sie abgelöst. Tage später war er dann noch einmal vor Ort: Seine Einheit war beauftragt, die Wrackteile zu bergen und nach Lohr an die Mainlände zu transportieren.
- Hubertus Kreutz dokumentierte den Abtransport der Trümmer mit bisher unveröffentlichten Fotos, die er uns zur Verfügung stellte. Die Fotostrecke mit Archivbildern finden Sie hier.
Katrin Brendolise, Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit des Ortsverbands Lohr des Technischen Hilfswerks (THW) erinnert daran, dass neben vielen Einsatzkräften auch ihr Ortsverband beteiligt war. "Michael Nätscher, heute Ortsbeauftragter, war damals noch Zugführer und kam am Nachmittag des 11. Mai auf Anforderung des Landratsamtes zur Unglücksstelle." Der Einsatzauftrag lautete: Die Nachtwache am Unfallort übernehmen und nach drei Besatzungsmitgliedern suchen, die noch vermisst wurden.
Wofür das Technische Hilfswerk gebraucht wurde
Mit seiner 30-köpfigen Mannschaft habe das THW die Beleuchtung an der Unglückstelle sichergestellt. "Aus Langholz von vor Ort umgestürzten Bäumen wurden ein circa fünf Meter hoher Dreibock gebaut und mit Hilfe eines Greifzuges die Trümmerteile des Cockpits angehoben," zitiert sie Nätschers Erinnerungen. "Bis in die frühen Morgenstunden des darauffolgenden Tages arbeitete die Mannschaft unter hoher psychischer Belastung an der Bergung der drei Vermissten aus dem Cockpit. Für die Helfer war es ein nicht alltäglicher Einsatz, dessen Aufarbeitung sie eine ganze Weile beschäftigte."
Düstere Vorahnung
Georgia Viola-Richartz aus Lohr, damals 28, war erschüttert. Just am Tag zuvor – sie half Wombacher Freunden im Garten – hatte sie den Tiefflug einer Transall kommentiert mit den Worten: "Wenn die noch tiefer fliegen, klatschen die bald an die Bäume." Als hätte sie es geahnt ...
Bestatter-Konvoi nach Würzburg
Alle zehn Insassen, neun Soldaten und ein Zivilist, kamen bei dem Absturz ums Leben. "Das war recht schlimm", sagt Bea Scholz, damals 28 Jahre alt und (wie heute noch) angestellt bei Pietät Heldt. Am Nachmittag sei die Anfrage gekommen, wie viele Särge wir denn transportieren könnten, erzählt sie. Damals hätten die meisten Bestattungsinstitute nur ein Fahrzeug gehabt. Schließlich seien die Bestatter aus dem Umkreis im Konvoi von hier nach Würzburg zur Rechtsmedizin gefahren. "Wir haben uns schweigend gegenseitig geholfen." Eine "bedrückende Atmosphäre" sei das gewesen.
An dem Gedenkkreuz, das die Feuerwehr Rodenbach an der Absturzstelle aufgestellt hat, brannten in dieser Woche zwei Kerzen zum Gedenken an die Opfer.