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Lohr/Kitzingen
Wenn die Seele der Schüler mehr gelitten hat als der Lernstoff
In Brückenkurse sollen Schüler aufholen, was sie während des Lockdowns verpasst haben. Viele Lehrkräfte in Unterfranken machen sich vor allem Sorgen um das seelische Wohl der Kinder.
Brückenkurse sollen Schülerinnen und Schülern nach der langen Lockdown-Zeit helfen, verpasste Lerninhalte zu verstehen und zu üben. 
Foto: Manuela Gehr | Brückenkurse sollen Schülerinnen und Schülern nach der langen Lockdown-Zeit helfen, verpasste Lerninhalte zu verstehen und zu üben. 
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 09.02.2024 10:27 Uhr

Marek, zwölf Jahre, hat während des sechs Monate währenden Lockdowns Skaten gelernt. "Ich komme jetzt jeden Bordstein rauf und jede Treppe runter", erzählt der Sechstklässler. Der Junge ist gut in Mathe, auch die anderen Hauptfächer kriegt er hin. Will Marek Sommerferienkurse besuchen? Das will das Kind nicht. "Wir fahren an die Nordsee, auf den Campingplatz", sagt er.

Kinder wie Marek erlebt Susanne Rinno, Leiterin der Gustav-Woernitz-Mittelschule Lohr (Lkr. Spessart), erfreulich oft. "Viele Kids, die hier nach den langen Wochen zu Hause wieder im Präsenzunterricht ankommen, sind entspannt, reden von einer coolen Zeit mit ihrer Familie", berichtet die Schulleiterin.

Für Pädagogen noch wichtiger: Wie geht es der Kinderseele?

Rinno sieht es allerdings als besonders wichtige Aufgabe für sich und ihr Kollegium an, jene Kinder aufzuspüren, die Problem-behaftet wieder zurück ins Klassenzimmer gekommen sind. Einerseits geht es natürlich darum, Lerndefizite insbesondere in Mathe zu erkennen und die Kinder entsprechend in Aufhol-Kurse, die sogenannten "Brückenkurse", zu bringen. Andererseits müssen die Lehrkräfte auch herausfinden, welche Kinder in der langen Zeit zu Hause emotional gelitten haben. "Und das ist eigentlich das Wichtigere", sagt Rinno.

Zwei Wochen nach Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts in ihrer Lohrer Mittelschule sieht die Rektorin eben auch Kinder, die in der Isolation verstummt sind. Kinder, die sich viel schwerer tun als in Vor-Pandemie-Zeiten, klare oder halbwegs hörbare Sätze im Unterricht zu formulieren. "Wir merken auch, dass manche Kinder die Klassenzimmer-Lautstärke nicht mehr aushalten." Manchen Schülern sei das Gruppengefühl verloren gegangen. "Es ist natürlich nicht leicht, jetzt die Kinder zu identifizieren, die wirklich Hilfe brauchen. Meistens sind die ja eher ruhig, unauffällig."

Schulleiterin aus Kitzingen: Brauchen Kinder nicht einfach mal sechs Wochen Pause?

Nicht nur in Lohr legt die Schulleitung auf die Frage nach Defiziten bei den Schülerinnen und Schülern den Fokus mindestens so sehr auf die Schülerseele wie auf den Lernstand. "Unsere Lehrer müssen jetzt den Spagat hinkriegen, einerseits Lernstände zu eruieren, andererseits auch hellhörig zu sein für seelische Probleme", sagt Monika Rahner, Leiterin des Armin-Knab-Gymnasiums in Kitzingen. Wie in der Lohrer Mittelschule auch, wird es im Kitzinger Gymnasium zwei Wochen lang Brückenkurse in den Sommerferien geben; in beiden Fällen profitieren die Rektorinnen da - dem aktuellen Lehrermangel zum Trotz - von schon länger bestehenden guten Kontakten zu Studierenden oder Teamlehrkräften.

Rektorin Rahner traut sich aber auch, auszusprechen, was vermutlich viele Eltern und Schüler denken: "Auch für die Kinder war es ein anstrengendes Jahr. Ich weiß nicht, ob sie nicht auch einfach mal sechs Wochen Pause brauchen können."

Rektor Jürgen Neuberger wünscht sich für Kinder einen "unbeschwerten Sommer"

Ähnlich äußert sich Rektor Jürgen Neuberger, der in Würzburg die Steinbachtal-Burkarder-Grundschule leitet. "Ob wir den Kindern wirklich auch noch die Ferien nehmen sollen?", fragt er sich und wünscht "seinen" Kindern eigentlich zuvorderst einen "leichten, unbeschwerten Sommer".

Doch auch die Steinbachtal-Burkarder-Grundschule bietet "mit Hilfe einer pensionierten Lehrkraft und Lehramtsstudenten" Schülern, die das brauchen, Aufhol-Kurse noch während des laufenden Schuljahrs und auch in den Sommerferien an.

Sommerspaß statt Nachholstunden? Ein Würzburger Schulleiter wünscht sich für die Kinder einfach nur einen  'leichten, unbeschwerten Sommer'.
Foto: Jens Büttner, dpa | Sommerspaß statt Nachholstunden? Ein Würzburger Schulleiter wünscht sich für die Kinder einfach nur einen  "leichten, unbeschwerten Sommer".

"Das Interesse für Kurse im Juni und Juli ist bei den Eltern hoch; für die Ferienzeit sinkt es", sagt Neuberger. An seiner Schule übrigens wird die Teilnahme am Brückenkurs keinem Schüler verwehrt – auch nicht einem sehr guten Schüler.

Von vielen anderen Schulen wird rückgemeldet, dass vorzugsweise die "Schüler mit großen Defiziten" an den Kursen teilnehmen sollten und erst dann jene, deren Leistungen passabel sind. "Meine Schule hat meinen Kindern die Teilnahme an den Brückenkursen verwehrt, weil sie zu gut sind", sagt eine Mutter, die nach langer Doppelbelastung durch Homeoffice und Homeschooling gerne ein paar Momente für sich allein erlebt hätte.

Brückenkurse werden meist von Lehramtsstudierenden gehalten

Während in der Universitätsstadt Würzburg und den umliegenden Gemeinden Brückenkurse oft von Lehramtsstudierenden gehalten werden, wird etwa die Staatliche Realschule Bad Kissingen auf eigene Lehrkräfte zurückgreifen. "Die Durchführung der Förderunterrichte erfolgt durch unsere eigenen Lehrkräfte, nicht durch Aushilfspersonal", berichtet Realschulleiter Torsten Stein.

Mindestens 125 Schülerinnen und Schüler könnten an den Kursen teilnehmen. Seine Schule bietet den Kindern im Sommer nicht nur den Brückenkurs an, sondern sogar die Teilnahme an einem fünftägigen Theaterprojekt gemeinsam mit dem Theater Maßbach.

Würzburger Konrektorin sorgt sich um eine Handvoll Kinder, die abgetaucht sind

Während etwa an der Realschule Bad Kissingen die Brückenkurse quasi schon eingetütet sind, wartet man an anderen Schulen in der Region noch auf die Rückmeldungen durch alle Eltern. "Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass die Eltern stark interessiert sind", sagt Elisabeth Haberzettl, Konrektorin der Würzburger Goethe-Mittelschule. Sie sieht aktuell das größte Problem nicht darin, Kräfte für die Kurse zu gewinnen; kompetente und arbeitswillige Studentinnen und Studenten gebe es.

"Das Problem ist, dass wir nicht an jene Schüler rankommen, die Aufhol-Unterricht am allernötigsten hätten", erklärte die Konrektorin. Sie sorgt sich besonders um eine Handvoll Schüler, die praktisch "verschollen" sind. Dies sei etwa der Fall bei Kindern, deren Eltern die verpflichtende Corona-Schnelltestung in der Schule verweigern, weshalb diese Kinder nicht am Präsenzunterricht teilnehmen. "Und zusätzlichen Online-Unterricht können unsere Lehrer seit Wiederbeginn des Präsenzunterrichts nicht leisten", sagt Haberzettl.

 
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  • FischersFritz
    Zitat: "‘Meine Schule hat meinen Kindern die Teilnahme an den Brückenkursen verwehrt, weil sie zu gut sind‘", sagt eine Mutter, die nach langer Doppelbelastung durch Homeoffice und Homeschooling gerne ein paar Momente für sich allein erlebt hätte.“

    Damit ist alles gesagt. Ich finde diese scheinheiligen Diskussionen, die angeblich im Namen und im Interesse unserer Kinder geführt wurden und geführt werden, absolut unerträglich.

    Es geht in Wahrheit um Kinderbetreuung, es geht um Lehrpläne, es geht um Leistungsnachweise und es geht darum, die Lehrer in ihrer Komfort-Zone des Präsenzunterrichts zu halten.

    Corona ist ein Problem der Schulen, der Lehrer und der Eltern. Die Kinder haben das weit überwiegend gut verkraftet.

    Ja, es gibt Ausnahmefälle. Also sollten wir versuchen, diese zu erkennen – bevor wir anfangen, uns schon wieder Sorgen um das „Leistungsniveau“ der Kinder zu machen.

    Wer sich nur um „Standards“ kümmert, der verliert zwangsläufig die Menschen aus dem Blick …
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  • poetry2000@web.de
    Das ist Ihre Sicht der Dinge. Meine Tochter will nicht mehr in die Schule, meidet soziale Kontakte. Sie würde gern ihre restliche Schulzeit zu Hause verbringen und ihre Schulaufgaben am Küchentisch erledigen. Ist das etwa erstrebenswert? Jedes Kind hat anders unter der Pandemie gelitten. Und wir als Eltern sind mittlerweile am Ende unserer Kräfte. Denn egal wie man es macht, es kommt immer jemand, der es uns hinterher vorwirft.
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  • Erding
    Was sollen Eltern sagen, die ein behindertes Kind mit z.B. Down-Syndrom haben? Familien, bei denen ein Eltern- oder Großelternteil erkrankt ist? Dauerstress, pur. Tja, warum haben die Eltern sich nicht noch ein zweites Kind gewünscht? Dann könnten sich die zwei dann "allein" beschäftigen. Arme Eltern? Wie war das eigentlich früher und ganz früher? "Jammern füllt keine Kammern!" Auch Lehrer brauchen eine gewisse Auszeit. Und auch die Möglichkeit auf ihre gesammelten Werke zurückgreifen zu können. Ansonsten gäb es nur Frontalunterricht und halbe Vorlesungen. Man kann nicht immer alles fordern und einfordern von den anderen, und sich selbst bedauern und bemitleiden. Wozu sind den Eltern da? In guten, wie in schlechten Zeiten? Last but not least, Lehrerinnen und Lehrer sind auch Eltern.
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  • FischersFritz
    Die Frage ist doch, WESHALB Ihre Tochter nicht mehr in die Schule möchte und soziale Kontakte meidet.

    Genau das meinte ich mit „Menschen aus dem Blick verlieren“: Erkennen, Ursachen ermitteln, helfen.

    Wobei auch nicht jedes Kind, das nicht in die Schule gehen möchte, zwangsläufig ein Problem haben muss … manche Kinder gehen gerne in die Schule, andere nicht. Es sind eben Individuen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten …

    Für den Fall, dass aber mehr dahintersteckt, sollte man den Grund dafür kennen …
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