Marek, zwölf Jahre, hat während des sechs Monate währenden Lockdowns Skaten gelernt. "Ich komme jetzt jeden Bordstein rauf und jede Treppe runter", erzählt der Sechstklässler. Der Junge ist gut in Mathe, auch die anderen Hauptfächer kriegt er hin. Will Marek Sommerferienkurse besuchen? Das will das Kind nicht. "Wir fahren an die Nordsee, auf den Campingplatz", sagt er.
Kinder wie Marek erlebt Susanne Rinno, Leiterin der Gustav-Woernitz-Mittelschule Lohr (Lkr. Spessart), erfreulich oft. "Viele Kids, die hier nach den langen Wochen zu Hause wieder im Präsenzunterricht ankommen, sind entspannt, reden von einer coolen Zeit mit ihrer Familie", berichtet die Schulleiterin.
Für Pädagogen noch wichtiger: Wie geht es der Kinderseele?
Rinno sieht es allerdings als besonders wichtige Aufgabe für sich und ihr Kollegium an, jene Kinder aufzuspüren, die Problem-behaftet wieder zurück ins Klassenzimmer gekommen sind. Einerseits geht es natürlich darum, Lerndefizite insbesondere in Mathe zu erkennen und die Kinder entsprechend in Aufhol-Kurse, die sogenannten "Brückenkurse", zu bringen. Andererseits müssen die Lehrkräfte auch herausfinden, welche Kinder in der langen Zeit zu Hause emotional gelitten haben. "Und das ist eigentlich das Wichtigere", sagt Rinno.
Zwei Wochen nach Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts in ihrer Lohrer Mittelschule sieht die Rektorin eben auch Kinder, die in der Isolation verstummt sind. Kinder, die sich viel schwerer tun als in Vor-Pandemie-Zeiten, klare oder halbwegs hörbare Sätze im Unterricht zu formulieren. "Wir merken auch, dass manche Kinder die Klassenzimmer-Lautstärke nicht mehr aushalten." Manchen Schülern sei das Gruppengefühl verloren gegangen. "Es ist natürlich nicht leicht, jetzt die Kinder zu identifizieren, die wirklich Hilfe brauchen. Meistens sind die ja eher ruhig, unauffällig."
Schulleiterin aus Kitzingen: Brauchen Kinder nicht einfach mal sechs Wochen Pause?
Nicht nur in Lohr legt die Schulleitung auf die Frage nach Defiziten bei den Schülerinnen und Schülern den Fokus mindestens so sehr auf die Schülerseele wie auf den Lernstand. "Unsere Lehrer müssen jetzt den Spagat hinkriegen, einerseits Lernstände zu eruieren, andererseits auch hellhörig zu sein für seelische Probleme", sagt Monika Rahner, Leiterin des Armin-Knab-Gymnasiums in Kitzingen. Wie in der Lohrer Mittelschule auch, wird es im Kitzinger Gymnasium zwei Wochen lang Brückenkurse in den Sommerferien geben; in beiden Fällen profitieren die Rektorinnen da - dem aktuellen Lehrermangel zum Trotz - von schon länger bestehenden guten Kontakten zu Studierenden oder Teamlehrkräften.
Rektorin Rahner traut sich aber auch, auszusprechen, was vermutlich viele Eltern und Schüler denken: "Auch für die Kinder war es ein anstrengendes Jahr. Ich weiß nicht, ob sie nicht auch einfach mal sechs Wochen Pause brauchen können."
Rektor Jürgen Neuberger wünscht sich für Kinder einen "unbeschwerten Sommer"
Ähnlich äußert sich Rektor Jürgen Neuberger, der in Würzburg die Steinbachtal-Burkarder-Grundschule leitet. "Ob wir den Kindern wirklich auch noch die Ferien nehmen sollen?", fragt er sich und wünscht "seinen" Kindern eigentlich zuvorderst einen "leichten, unbeschwerten Sommer".
Doch auch die Steinbachtal-Burkarder-Grundschule bietet "mit Hilfe einer pensionierten Lehrkraft und Lehramtsstudenten" Schülern, die das brauchen, Aufhol-Kurse noch während des laufenden Schuljahrs und auch in den Sommerferien an.
"Das Interesse für Kurse im Juni und Juli ist bei den Eltern hoch; für die Ferienzeit sinkt es", sagt Neuberger. An seiner Schule übrigens wird die Teilnahme am Brückenkurs keinem Schüler verwehrt – auch nicht einem sehr guten Schüler.
Von vielen anderen Schulen wird rückgemeldet, dass vorzugsweise die "Schüler mit großen Defiziten" an den Kursen teilnehmen sollten und erst dann jene, deren Leistungen passabel sind. "Meine Schule hat meinen Kindern die Teilnahme an den Brückenkursen verwehrt, weil sie zu gut sind", sagt eine Mutter, die nach langer Doppelbelastung durch Homeoffice und Homeschooling gerne ein paar Momente für sich allein erlebt hätte.
Brückenkurse werden meist von Lehramtsstudierenden gehalten
Während in der Universitätsstadt Würzburg und den umliegenden Gemeinden Brückenkurse oft von Lehramtsstudierenden gehalten werden, wird etwa die Staatliche Realschule Bad Kissingen auf eigene Lehrkräfte zurückgreifen. "Die Durchführung der Förderunterrichte erfolgt durch unsere eigenen Lehrkräfte, nicht durch Aushilfspersonal", berichtet Realschulleiter Torsten Stein.
Mindestens 125 Schülerinnen und Schüler könnten an den Kursen teilnehmen. Seine Schule bietet den Kindern im Sommer nicht nur den Brückenkurs an, sondern sogar die Teilnahme an einem fünftägigen Theaterprojekt gemeinsam mit dem Theater Maßbach.
Würzburger Konrektorin sorgt sich um eine Handvoll Kinder, die abgetaucht sind
Während etwa an der Realschule Bad Kissingen die Brückenkurse quasi schon eingetütet sind, wartet man an anderen Schulen in der Region noch auf die Rückmeldungen durch alle Eltern. "Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass die Eltern stark interessiert sind", sagt Elisabeth Haberzettl, Konrektorin der Würzburger Goethe-Mittelschule. Sie sieht aktuell das größte Problem nicht darin, Kräfte für die Kurse zu gewinnen; kompetente und arbeitswillige Studentinnen und Studenten gebe es.
"Das Problem ist, dass wir nicht an jene Schüler rankommen, die Aufhol-Unterricht am allernötigsten hätten", erklärte die Konrektorin. Sie sorgt sich besonders um eine Handvoll Schüler, die praktisch "verschollen" sind. Dies sei etwa der Fall bei Kindern, deren Eltern die verpflichtende Corona-Schnelltestung in der Schule verweigern, weshalb diese Kinder nicht am Präsenzunterricht teilnehmen. "Und zusätzlichen Online-Unterricht können unsere Lehrer seit Wiederbeginn des Präsenzunterrichts nicht leisten", sagt Haberzettl.
Damit ist alles gesagt. Ich finde diese scheinheiligen Diskussionen, die angeblich im Namen und im Interesse unserer Kinder geführt wurden und geführt werden, absolut unerträglich.
Es geht in Wahrheit um Kinderbetreuung, es geht um Lehrpläne, es geht um Leistungsnachweise und es geht darum, die Lehrer in ihrer Komfort-Zone des Präsenzunterrichts zu halten.
Corona ist ein Problem der Schulen, der Lehrer und der Eltern. Die Kinder haben das weit überwiegend gut verkraftet.
Ja, es gibt Ausnahmefälle. Also sollten wir versuchen, diese zu erkennen – bevor wir anfangen, uns schon wieder Sorgen um das „Leistungsniveau“ der Kinder zu machen.
Wer sich nur um „Standards“ kümmert, der verliert zwangsläufig die Menschen aus dem Blick …
Genau das meinte ich mit „Menschen aus dem Blick verlieren“: Erkennen, Ursachen ermitteln, helfen.
Wobei auch nicht jedes Kind, das nicht in die Schule gehen möchte, zwangsläufig ein Problem haben muss … manche Kinder gehen gerne in die Schule, andere nicht. Es sind eben Individuen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten …
Für den Fall, dass aber mehr dahintersteckt, sollte man den Grund dafür kennen …