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Karlstadt
Von Wien über die Alpen nach Nizza: Luisa Werner aus Karlstadt siegt nach 2237 Kilometern auf dem Rennrad
Beim "Three Peaks Bike Race" sind die Teilnehmenden auf sich gestellt, selbst die Route müssen sie selbst austüften. Wie die Karlstadterin die knapp 31.000 Höhenmetern in nur sechs Tagen bewältigte.
Luisa Werner aus Karlstadt vor dem Start zum „Three Peaks Bike Race“ vor dem Schloss Schönbrunn in Wien.
Foto: Catriona Sens | Luisa Werner aus Karlstadt vor dem Start zum „Three Peaks Bike Race“ vor dem Schloss Schönbrunn in Wien.
Karl-Heinz Haase
Karlheinz Haase
 |  aktualisiert: 09.02.2024 12:21 Uhr

Während bei der Tour de France kaum eine Etappe länger ist als 200 Kilometer, beträgt die Distanz beim Radrennen "Three Peaks Bike Race" mehr als 2000 Kilometer. Von Wien führt die Strecke längs durch die Alpen bis Nizza. Dabei müssen die Teilnehmenden drei hoch gelegene Checkpoints anfahren: die Drei Zinnen in den Dolomiten, die Melchsee-Tannalp südlich des Vierwaldstätter Sees und den Colle del Nivolet in Italien.

Und noch einen gravierenden Unterschied gibt es zur Tour de France: Während bei der Frankreich-Rundfahrt die Athleten ständig begleitet werden, sind bei den "Three Peaks" alle auf sich alleine gestellt. Es gibt nicht einmal eine festgelegte Route.

Um zum dritten Checkpoint, dem Colle del Nivolet, zu gelangen, musste die Radlerin diese Serpentinen hinaufstrampeln.
Foto: Luisa Werner | Um zum dritten Checkpoint, dem Colle del Nivolet, zu gelangen, musste die Radlerin diese Serpentinen hinaufstrampeln.

"Ich habe mir die Strecke über die Komoot-App zusammengestellt und versucht, möglichst ökonomisch ans Ziel zu kommen", berichtet Luisa Werner. Die Karlstadterin war die schnellste Frau und belegte Platz sieben in der Gesamtwertung. Rund 300 Radfreaks hatten sich für das Rennen angemeldet, darunter 20 Frauen.

Rennrad mit Gepäck wog 16 Kilo

Neben ihrer außerordentlichen Kondition spielte bei der 27-Jährigen sicher auch die ausgefuchste Routenplanung eine Rolle für diesen Erfolg: "An zwei Stellen habe ich das Rad getragen. Einmal waren es zwei Kilometer. Das andere Mal – im Aosta-Tal – habe ich sieben Kilometer getragen und damit 70 Kilometer im Sattel gespart, die ich sonst auf Asphalt hätte außen herum fahren müssen. Es ist bei diesem Rennen auch mal schön, nicht nur auf dem Rad zu sitzen."

Alleine auf sich gestellt zu sein bedeutet auch: Selbst für die Übernachtung und fürs Essen zu sorgen. So waren eine Isomatte, ein Schlafsack, eine Regenjacke und Hygieneartikel dabei. Mit diesem Gepäck wog das Rennrad etwa 16 Kilo. Luisa Werner: "Viel Gewicht verursachte die Ladeelektronik - also die Powerbank und das Schnelllade-Netzteil."

Mahlzeiten auf dem Rad eingenommen

Damit wurden auch die Lichter bei den Nachtfahrten betrieben, denn viel Zeit zum Schlafen blieb nicht. Dreimal viereinhalb Stunden, in der vorletzten Nacht sechs Stunden, in der letzten nur eineinhalb Stunden, dazu ein 20-minütiger Powernapp – das war alles, was sich die Sportlerin an Erholung gönnte. Diese Schlafrhythmen seien aber genau richtig gewesen. "Andere ließen sich anfangs dazu verleiten, nachts durchzufahren. Das haben sie später gebüßt, während ich noch gute Laune hatte."

Einmal schlief Luisa Werner an dieser Stelle auf dem Steinboden hinter einer Kirche.
Foto: Luisa Werner | Einmal schlief Luisa Werner an dieser Stelle auf dem Steinboden hinter einer Kirche.

Ach so: Täglich eine halbe Stunde aß sie auch mal an einem Tisch. Die übrige Nahrung nahm sie während des Radelns zu sich: "Alles, wozu ich gerade Lust hatte – Hauptsache viel. Das ging dann schon ins Geld. Ich habe wohl 300 bis 400 Euro für Essen ausgegeben, weil ich mich oft auch schnell an einer Tankstelle oder Bäckerei versorgt habe. Aber es war richtig, viel zu essen. Dadurch gab es keine Verdauungsprobleme."

Nachtlager hinter einer Kirche aufgeschlagen

154 Stunden und 13 Minuten lautet Luisa Werners Rennzeit. Davon hat sie sich 117 Stunden bewegt. Das klingt nach Schinderei. Doch die Radsportlerin schildert: "Es war oft herrlich, den Sonnenaufgang und -untergang zu erleben und abends durch die Alpenwelt zu fahren, wenn die Touristen wieder weg waren. Man lernt auch viel übers sich selbst. Ich habe Höhen und Tiefen erlebt, das ist ja das, was man sucht."

Das Leben stecke so voller Probleme. Beim "Three Peaks" reduziere sich das auf ganz simple Fragen: "Wo ist der nächste Brunnen? Wo kann ich schlafen?" Die erste Nacht lagerte sie in einer Bushaltestelle, die nächste in einem Pavillon des Inntalradwegs, dann hinter einer Kirche und schließlich auch mal in einem Hotel. "Solche grundlegenden Fragen bringen dir bei, wie du mit Krisen umgehst. Du bist mal müde oder hast nichts zu essen. Du bist auf der Strecke auch viel alleine mit deinen Gedanken. Und wenn du durch schöne Landschaften fährst, merkst du: Es braucht nicht viel, zum glücklich zu sein."

Wechsel vom Ruder- zum Radsport

Solche Erlebnisse schätzt die 27-Jährige inzwischen höher als Erfolge im Leistungssport. Zu dem kam sie im Ruder-Club Karlstadt: Sie war deutsche Jugendmeisterin im Leichtgewichts-Einer, holte Bronze im Leichtgewichts-Doppelvierer U23 und belegte 2016 Platz acht bei der U23-WM im Leichtgewichts-Einer. "Ich profitiere jetzt von dem vieljährigen täglichen Training, habe den Sport in meine Lebensroutine integriert." Die Studentin macht gerade in Grenoble ihren Doktor der Informatik. Sie macht Skitouren und Skilanglauf, geht zum Schwimmen und Laufen. "Aber nicht mehr nach Plan, sondern nach Gefühl."

Vor dem "Three-Peaks"-Rennen hatte sie ein paar Einheiten mit 200 bis 300 Kilometern und je rund 7000 Höhenmetern gemacht, "damit sich die Sehnen und Muskeln darauf einstellen".

Zum Radfahren war sie gekommen, nachdem sie das Wettkampfrudern an den Nagel hängte. "Ich hatte mir beim Langlauf einen Schulterbruch zugezogen und später noch einen Fahrradunfall. Da habe ich gemerkt, wie schnell es vorbei sein kann, nachdem man unheimlich viel in den Leistungssport investiert hat." So wechselte sie 2018 die Sportart und fuhr Bundesliga-Amateur-Radrennen für das Team Stuttgart. Davon nahm sie aber wegen der Sturzgefahr im Peloton bald wieder Abstand.

Bei den "Three Peaks" nun hätte Luisa Werner am Ende eine noch bessere Zeit fahren können. Doch sie wusste, dass der Abstand zu den Vorausfahrenden und Nachkommenden riesig ist.

 
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  • M. F.
    wow, Respekt und herzlichen Glückwunsch. Ich meckere schon bei 700 Höhenmetern. Klingt anstrengend.
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