
Damals war alles anders, hört man gelegentlich, wenn vom ersten Jahrzehnt nach dem unseligen Zweiten Weltkrieg die Rede ist. Die Erinnerungen der etwas älteren Generation sind noch nicht erloschen – so auch nicht bei den beiden Schulfreunden Günter Reinwarth (81) und Georg Freudenberger (81). Sie wuchsen gemeinsam in Altfeld auf – in ihrer Kindheit ein ruhiges Örtchen, heute durch die Nähe zur Autobahn und international agierende Unternehmen wie Schneider Electric oder Delmonte ein echter Wirtschaftsstandort. Reinwarth, seit 1960 Mitarbeiter der Main-Post, hat gemeinsam mit Freudenberger zurückgeschaut auf gemeinsamen Kindheits- und Jugendjahren. Sie berichten von einer schönen und unbeschwerten Zeit:
"Wenn damals fünf Groschen in unseren Hosentaschen klingelten, dann empfanden wir das bereits als kleinen Reichtum. Wenn der Frühling im Vorspessart einzog, dann bot sich für uns die Möglichkeit, unsere spärlichen Finanzen etwas aufzustocken. Wir suchten dann im Gemeindewald die Stellen auf, wo es nach Maiglöckchen duftete.
Mit Maiglöckchen ließ sich Geld verdienen
Wenn das Wetter einigermaßen mitspielte, stellten wir uns einfach ein paar hundert Meter vom Ortsausgang entfernt an den Rand der Landstraße in Richtung Wertheim und winkten mit unseren Maiglöckchen-Sträußen den Autos entgegen. Immer wenn jemand die Geschwindigkeit reduzierte, stieg die Hoffnung, ins Geschäft zu kommen. Wer das Glück hatte, an einem Nachmittag drei Sträuße zum "Stückpreis" von 50 Pfennig an den Mann zu bringen, der hatte immerhin 1.50 Mark verdient – was für damalige Verhältnisse gutes Geld war
Der Maiglöckchen-Verkauf war nicht die einzige Möglichkeit, neben dem knappen elterlichen Taschengeld unsere Groschen etwas aufzustocken. Das nächste Stichwort hieß Feuerwehrfest! Wenn die Altfelder Blauröcke ein Jubiläum feierten und mit einem Festzug durch die geschmückten Dorfstraßen zogen, dann gab es für uns manchmal respektable Erträge. Wir trugen ein Täfelchen, auf dem in schöner Schrift zu lesen war, woher die uniformierten Zugteilnehmer kamen. Der Rest war quasi Glückssache: Wessen Wehr zahlenmäßig stark vertreten war, der durfte davon ausgehen, dass er viele Mark-Stücke bekommen würde. Bevor die Aktiven zum Maß-Halten ins Festzelt marschierten, mussten sie an einer "Sammel-Kappe" vorbeigehen und nach altem Brauch ihre Tafel-Buben mit klingender Münze entschädigen. Unser Verdienst schwankte, grob gerechnet, zwischen fünf und fünfzehn Mark – was für uns einem „Fest am Feuerwehrfest“ gleich kam.
Beim Schafkopfen kostete die Halbe nur fünfzig Pfennig
Nur als Zuschauer und geduldete Kibitze saßen wir in einer den beiden Dorfwirtschaften beim "Hauswirt" oder "Sternwirt" neben den Schafkopf-Partien. Das Schafkopfen war damals das Kartenspiel mit der höchsten Teilnehmer-Quote – obwohl es gelegentlich das "Gebetbuch des Teufels" genannt wurde. Wir waren zum Lernen dort, als Spielteilnehmer waren wir noch nicht alt genug. Höchstens dann, wenn einer der von uns geschätzten Aktiven einmal kurz in Richtung Toilette sputen musste, war unser Einsatz gefragt. Ein „scharfes Spiel“, wie zum Beispiel einen Solo mit wenigen Trümpfen in der Hand, wagten wir uns nie – die Schande, die wir von dem vertretenen Spieler gehört hätten, wäre zu groß gewesen – es sei denn, der Schafkopf-Gott hätte uns einen Solo mit vielen Trümpfen beschert.

In der guten alten Schafkopfzeit hatten die Wirtschaften noch Preise, die man heute als Billig-Angebote bezeichnen würde. Die "halbe Bier" kostete gerade mal fünfzig Pfennige, und ein mit "Fläschwurscht" oder Leberkäs belegtes Brötchen war schon für zehn Pfennig weniger zu haben.
Wurst und Weck waren das Highlight im Naturkundeunterricht
Der Naturkundeunterricht mit einem Spaziergang in den Gemeindewald, in dem der Altfelder Waldschütz Wilhelm Rücker quasi unseren Lehrer ersetzte, gehörte zu den schönen Seiten unserer Schulzeit. Nicht, weil wir etwas über die verschiedenen Baumarten und die Funktion des Waldes im Allgemeinen wissen wollten, freuten wir Kinder uns auf das Ende jeder grünen Unterrichtsstunde. Es war der kulinarische Schlussakkord, auf den wir warteten. Als kleines Dankeschön für unsere Aufmerksamkeit spendierte uns die Kommune Jahr für Jahr Wurst und Weck in Form von einem Paar Knackern. Unseren Durst durften wir mit einer Limo der Marke Bluna – abgefüllt vom bekannten „Hädefelder Wasser-Scheiner“, löschen.
Mit kindlicher Neugier beobachteten wir immer wieder den Ablauf einer Hausschlachtung, die auf manchen Höfen bis zu dreimal im Jahr stattfand und ausschließlich der Selbstversorgung diente. Der Geruch des dampfenden Kessels war gewöhnungsbedürftig. Mit einem Bolzenschuss machte der Hausmetzger einem meist kapitalen Schwein mit einem Schlachtgewicht von 150 bis 170 Kilogramm ein Ende. Das geschulte Helferteam stand bereit, wenn die stattliche Sau "borstenrein" gemacht wurde und der Metzger das Tier zerteilte, den Kessel füllte und alle weiteren Maßnahmen auf den Weg brachte, die irgendwie mit dem Wurstmachen und mit der Fleisch-Versorgung zu tun hatten.
Übrigens: Der Metzger bediente sich zur Brotzeit selten mit einem von ihm geschlachteten Produkt. Er ließ sich lieber zu einer "Schale" Kaffee und einem Stück Kuchen einladen. Das Abfüllen der Kesselsuppe, in Altfeld "Gretelbrüh" genannt, in die Behältnisse der Nachbarn, Freunde und nahen Verwandten beendete vor dem Groß-Reinemachen den Schlachttag, der uns Kindern meistens eine Portion frisches Kesselfleisch bescherte.
Skifahren auf dem Hofberg
Schneereiche Winter erlebten wir Kinder weitaus häufiger als heutzutage. Altfelds Gemarkung hatte zwar keinen voralpenländischen Charakter vorzuweisen, aber zwei Hügel reichten uns für das kleine Einmaleins des Skilaufs auf den betagten grün-weißen Wehrmachts-Skiern mit alten Lederbindungen, um irgendwie unfallfrei talwärts zu kommen.

Direkt nach Schulschluss stürmte im "Alfelder Schnee-Winter" ein halbes Dutzend fortgeschrittener ABC-Schützen in Richtung der beiden Hofberg-Hänge. Diese etwas flachen Talabfahrten befanden sich neben der Landstraße in Richtung Marktheidenfeld, gut einen Kilometer vom Dorf entfernt. Angeführt wurde Altfelds Ski-Nachwuchs von einem leibhaftigen Skilehrer, den es mit seiner Familie aus dem Erzgebirge in den Vorspessart verschlagen hatte. Auf dem Lehrplan des Meisters, der sogar in einem Luis-Trenker-Film in der Schweiz immerhin den weltbekannten und damals verletzten Arlberger Skimeister Hannes Schneider vertreten durfte, standen meistens die einfachen Übungen wie zum Beispiel sichere Schneepflug-Fahrten. Auf dem gegenüber liegenden Hofberg-Hang stand das Hüpfen über eine 15-Meter-Schanze, die wir als Provisorium errichtet hatten, auf dem Programm. So gut wie immer ging das äußerst kleine Einmaleins des Skisprungs ohne ernsthafte Verletzungen über die Bühne."