Hat ein 28-jähriger Forensikpatient im März 2014 in einem Wachsaal der Lohrer Bezirksklinik einen Mitpatienten im Schlaf erstickt? Nach mittlerweile sieben Verhandlungstagen am Landgericht Würzburg zeigte sich Oberstaatsanwalt Boris Raufeisen am Freitag in seinem Plädoyer davon überzeugt, dass der Tatvorwurf in vollem Umfang zutreffend ist. Verteidiger Norman Jacob indes machte den Rechtsgrundsatz geltend, wonach im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden sei. Das Urteil ist für den 16. August angekündigt.
Angeklagter schweigt auch am vorletzten Verhandlungstag
Da der 28-Jährige vor Gericht bis zuletzt von seinem Recht Gebrauch machte, zu schweigen, stützte sich das Plädoyer des Oberstaatsanwalts auf Indizien und frühere Aussagen des Beschuldigten. Dieser hatte die Ermittlungen überhaupt erst ins Rollen gebracht, indem er am Tag nach dem bis dahin als natürlich angenommenen Tod des 78-Jährigen gegenüber einer Mitpatientin erklärte, „nachgeholfen“ zu haben.
Obduktion erbrachte Hinweise auf Ersticken
Die Obduktion der Leiche ergab tatsächlich deutliche Hinweise darauf, dass der Senior erstickt worden sein könnte. So fanden die Rechtsmediziner mehrere Rippenbrüche, die für die erfolgten Wiederbelebungsversuche untypisch waren, daneben auch für ein gewaltsames Ersticken typische Hautabschürfungen rund um Mund und Nase.
Tat gegenüber Mitpatienten und Polizei eingeräumt
Der Beschuldigte hatte die Tat nicht nur gegenüber der Mitpatientin eingeräumt, sondern anfänglich auch gegenüber der Polizei. Dabei sprach er davon, unter Medikamenteneinfluss unglücklich auf den im Bett liegenenden 78-Jährigen gestolpert zu sein, wobei Hand und Zudecke solange auf dem Gesicht geblieben seien, bis das mutmaßliche Opfer sich nicht mehr bewegt habe.
Staatsanwalt: Schuldunfähig
Der Verlauf der Gerichtsverhandlung lasse „überhaupt keinen anderen Schluss“ zu als den, dass der 28-Jährige seinen Mitpatienten vorsätzlich getötet habe, so Raufeisen. Die Tat sei im Zustand der Schuldunfähigkeit geschehen, der 28-Jährige mit neuer Anordnung weiter in einer psychiatrischen Anstalt unterzubringen. Als Motiv für die Tat seien Ärger über lautes Schnarchen ebenso denkbar wie der generelle Unmut über die jahrelange Unterbringung in der Forensik ohne Aussicht auf Entlassung, so Raufeisen.
Intelligenzminderung und gestörtes Sozialverhalten
In der Tat hat der 28-Jährige rund die Hälfte seines Lebens in psychiatrischen Einrichtungen verbracht. Seit 2007 war er in der Lohrer Forensik, weil er zuvor mehrere Brände mit erheblichem Schaden gelegt hatte. In der Forensik wurde ihm eine paranoide Schizophrenie bescheinigt, daneben eine Intelligenzminderung und ein gestörtes Sozialverhalten.
Gutachter bescheinigte Gefährlichkeit
In all den Jahren kam die Therapie wegen des Verhaltens des Beschuldigten nicht spürbar voran. Er hielt sich nicht an Regeln, bestahl und bedrohte Mitpatienten, beleidigte das Personal. Ein Gutachter bescheinigte, dass von dem als leicht reizbar und aggressiv geltenden 28-Jährigen mit großer Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten bis zu Tötungsdelikten zu erwarten seien, sofern er wieder in Freiheit gelangen sollte.
Auch Verteidiger sieht Angeklagten weiterhin in Psychiatrie
Doch in Freiheit wird der Mann wohl unabhängig vom Ausgang des jetzigen Prozesses so schnell nicht kommen. „Wir sind uns darin einig, dass der Angeklagte nicht nach Hause gehen kann“, sagte am Freitag selbst Verteidiger Jacob angesichts der Krankheits- und Kriminalitätsgeschichte des 28-Jährigen.
Er vertrat jedoch die Ansicht, dass sein Mandant alleine wegen der aus den Brandstiftungen resultierenden früheren Anordnung weiter dauerhaft im Maßregelvollzug unterzubringen ist. Die Tötung des 78-Jährigen Mitpatienten sei ihm nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Die Rippenbrüche des Opfers könnten auch von Stürzen stammen, so Jacob. Dass der 28-Jährige die Tat gegenüber Mitpatientin und Polizei eingeräumt habe, sei mit dessen Streben nach Aufmerksamkeit zu erklären.
Verteidiger: In einem Wachsaal muss gewacht werden
Der Verteidiger griff jedoch auch eine Frage auf, die im Verlauf des Prozesses nur ganz am Rande behandelt worden war: Wie könnte eine solche Tat in einem Wachsaal überhaupt geschehen? „In einem Wachsaal muss gewacht werden“, sagte der Anwalt. Dies gelte insbesondere dann, wenn darin zwei psychisch kranke Menschen eingesperrt seien. An jenem Abend jedoch, das war im Verlauf der Verhandlung deutlich geworden, blieb der Saal offenbar länger unbeobachtet. „Der Pfleger hat nichts gehört oder gesehen“, sagte Jacob und wertete dies als Indiz dafür, dass es „womöglich nicht so war“ wie in der Anklage dargestellt.
Kritik an Emittlern
Dass nach dem Tod des 78-Jährigen der Wachsaal noch vor Start der Ermittlungen gründlich gereinigt worden war, ergebe ebenfalls ein „eigenartiges Bild“. Zu erklären sei dies womöglich damit, dass die Lohrer Forensik zum damaligen Zeitpunkt aufgrund diverser Verfehlungen des Personals in den Negativschlagzeilen stand und man keine weiteren Schlagzeilen hatte haben wollen, mutmaßte der Verteidiger.
Kritik übte er auch an der Arbeit der Ermittler, die den Beschuldigten befragt hätten, ohne ihm einen Anwalt zu Seite zu stellen. Dies sei „befremdlich“, so der Anwalt. Sein Mandant sei stark beeinflussbar. Die Ermittler hätten bei ihm „mit Zigaretten Gesprächsbereitschaft erzeugt“, so Jacob.